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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Antike Denkmäler (Band 3) — Berlin, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.1792#0017
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■H

Vorderseite erkennbar). Dieser konnte nur von einer Verbindung
zwischen dem Korper und dem rechten Arm oder dessen Attribut
herrühren (Osten*. Jahreshefte Heiblatt S. 221). Auch ich glaubte
danach den Unterarm schräg abwärts und vor den Körper der
Athena bewegen zu müssen. Hält man an der Lanze fest, die
auf den Münzen allerdings nicht erkennbar ist, so müßte man sie
schräg aufwärts gerichtet an dem Körper der Athena vorüber,
also dem Marsyas entgegengehen lassen, freilich nicht zum Stoß,
überhaupt, wie es die Situation erfordert, nicht zu ernster Abwehr.
Die Haltung der Finger ist die, welche die Hand unwillkürlich
einnimmt, wenn man mit einer Stange einen Schlag fuhren will,
die man etwa in der Mitte gefaßt hält. Der an den Schaft ge-
druckte Daumen dient gleichsam dazu, das Gleichgewicht zu-
gunsten des oberen Teiles zu verschieben. Diesem Ergänzungs-
versuch begegnete der Ausdruck (jraiovav) des Pausanias (I 24,1),
der doch die Gruppe gesehen hat, und aus dessen Worten man
wenigstens das entnehmen muß, daß die Göttin eine Bewegung
machte, die Pausanias als ein Schlagen auffassen konnte. Sie geht
dem Silen nicht wirklich mit der Waffe zu Leibe, sondern fuhrt
einen Schlag nach ihm, um ihn zu verscheuchen.

Zu einer ganz ähnlichen Ergänzung ist mittlerweile P.J.Meier
gekommen. Er hat seinen Ergänzungsversuch, den er mit Hilfe des
Bildhauers Kircheisen an einem Abguß der Frankfurter Statue
gemacht hat, in den Neuen Jahrb. f. klass. Altertum XXVII 1911
S. 553 erläutert. Ich will aber trotz dieser Übereinstimmung
auch einige Bedenken dagegen nicht verschweigen. Zunächst
hege ich Zweifel, ob der erhaltene Unterarm und die rechte
Hand wirklich zusammengehören, wie man jetzt im Frankfurter
Museum glaubt und Meier ebenfalls annimmt. Auf den ersten
Blick ist die Zusammenfügung allerdings bestechend. Aber bei
genauem Versuche schließen die beiden Stücke doch nicht fugen-
los aneinander, wie sie müßten. Es fehlt, wenn man die beiden
Dübelreste aufeinanderfügt, ein Weniges zwischen den beiden
Bruchflächen, ein dünnes Scheibchen gleichsam, wie es nicht weg-
brechen kann. So bin ich wieder zu der ersten Annahme zurück-
gekehrt, daß uns ein linker Arm und eine rechte Hand erhalten
sei. Für die Rekonstruktion macht das nicht viel aus, es er-
leichtert sie sogar in gewissem Sinne. Da weder der Arm noch
die Hand eine Ansatzspur aufweisen, so konnte P. J. Meier nur
das Attribut mit dem Stützenrest am Peplos in Verbindung bringen,
während jetzt die theoretische Möglichkeit bleibt, die Stütze zu
dem zu ergänzenden rechten Unterarm hinüberzufuhren.

Ich will ferner nicht verschweigen, daß ich vor dem Original
immer wieder Zweifel hatte, ob es möglich sei, bei der Haltung
des erhaltenen Oberarm stumpfes an die kleine Stütze heranzu-
kommen. Nach der in Braunschweig vorgenommenen Ergänzung,
die ich allerdings nur nach der von Meier a. a. O. gegebenen
Abbildung beurteilen kann, scheint das ja der Fall.

Schwerer ist das Bedenken, daß wir bei dieser Rekonstruktion
mit den Münzen in Widerspruch geraten. Daß die Lanze dort
nicht erkennbar ist, macht mir weniger Sorge, als daß der rechte
Arm dort doch deutlich anders bewegt ist. Man müßte denn

dieses Abweichen dem Stempelschneider zur Last legen, der den
vor den Körper gelegten Arm vermeiden wollte.

Ein weiteres Bedenken erregt die technische Ergänzung der
Lanze. Der zylindrische Stabrest, den die rechte Hand hält,
schließt oben und unten mit Schnittfläche ab, in die ein flaches
Loch gebohrt ist. Dies genügt aber nicht, um die schweren
fehlenden Teile zu befestigen, und überhaupt war es schwer, diese
freistehende Stange aus Marmor herzustellen. Meier weist auf
einen Stützenrest an der linken Schulter der Replik in Toulouse
hin und bringt ihn mit der Befestigung der Lanze an dieser
Stelle in Zusammenhang. Bei der Frankfurter Replik fehlt diese
Spur. Und jedenfalls bleibt der freischwebende untere Teil der
Lanze.

So kommen wir hier auf Schwierigkeiten, und das Ergebnis
ist einstweilen noch unbefriedigend.

Auch für die linke Seite scheint mir noch keine endgültige
Lösung gefunden. Ist der erhaltene Unterarm der linke, was
sich auch deshalb empfiehlt, weil dann das rechtwinklig zu dem
Dübelloch in den Arm gebohrte Vergußloch nach oben gekehrt
wird, so würde seine Richtung durch den Dübelrest in dem
Oberarm verbunden mit dem Bohrloch im Unterarm gegeben
sein. Der Unterarm muß dann etwas mehr nach vorn bewegt
werden, als die Rekonstruktion Meiers zeigt. Wie die linke
Hand bewegt war, bleibt einstweilen ungewiß; sicher nicht in der
etwas theatralisch anmutenden Geste der Münchner Rekonstruktion.
Aber auch P.J.Meiers Annahme, der die Göttin direkt mit dem
Finger auf die Flöten, die am Boden liegen, zeigen läßt, gefallt
mir nicht.

An die Athena tänzelt oder schleicht vielmehr auf den Zehen,
von den Flöten angelockt, der Silen heran. Die Arme dienen,
wie P. J. Meier richtig deutet, gleichsam zum Balancieren des
Körpers. Den Unken muß man, wie ich ebenfalls mit Meier an-
nehme, nach hinten strecken, während der rechte entsprechend
den Münzbildern der Gruppe wohl noch etwas mehr nach oben
gestreckt war, als die Münchner Rekonstruktion annahm. Stellt
man die Athena ganz in Vorderansicht, wie unsere Tafel sie
zeigt, so muß auch der Marsyas möglichst in die gleiche Fläche
gebracht werden.

So bleiben vorerst noch eine Reihe von Zweifeln bei der rein
formalen Ergänzung der Figuren zu lösen, und damit bleibt zu-
gleich ein unsicherer Rest für die Erklärung der Gnippe, den
Moment, den der Künstler als Erzähler gewählt hat, übrig. Aber
wir dürfen hoffen, daß auch diese letzten Schwierigkeiten mit der
Zeit durch vereinte Bemühungen gehoben werden. Einstweilen
entschädigt uns dafür die Schönheit, die wir auch noch an dem
verstümmelten Werke genießen. Wenn so häufig ein lange ge-
suchtes Werk, mit dem die Phantasie sich viel beschäftigt hat,
bei seinem endlichen Erscheinen enttäuscht, in diesem Falle sind,
glaube ich, die Erwartungen übertroffen worden. Eines der feinsten
und zugleich eines der originellsten Werke des V. Jahrhunderts
ist uns in der Frankfurter Athena wiedergegeben.

Hans Dragendorff.

Antim DenkmAler 1 y 1 ^.
 
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