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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Antike Denkmäler (Band 3) — Berlin, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.1792#0055
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Spitze der Sandale mit den Zehen über den Schemel herausragt;
dadurch erhält die ganze Fußstellung etwas Leichtes, demMomentAb-
gelauschtes. Entsprechend tritt das rechte Knie etwas weiter vor als
das linke. Beruht einerseits die Wirkung der Gestalt auf einem
Beharren im Archaischen, so ist auf der andern Seite das Hinaus-
gehen über die Grenzen des Archaismus von größter Bedeutung.
Altertümlich ist die noch sehr in sich geschlossene Haltung, die
namentlich im Profil an die lange Vorgeschichte des Typus erin-
nert, und das Vorstrecken der Arme. Altertümlich wirken ferner
die überlieferten Formen der Tracht mit ihren parallelen, senkrech-
ten Falten und welligen Zipfeln. Als altertümlich berührt uns
die Haltung des Kopfes, die Haartracht und beim Gesicht vor
allem die Augenbildung. Zwar ist die Schrägstellung vermieden,
auch sind die Tränendrüsen leicht angedeutet, und es ist bemer-
kenswert, mit wie weicher und sicherer Wölbung das untere Lid
zur Wange übergeht; aber die flache Mandelform und die
Vorwölbung des Augapfels über die Grundlinie des unteren
Lides ist noch vorhanden, die Partie zwischen dem Oberlid
und den weitgeschwungenen Brauen ist flach und ganz in alter
Überlieferung gehalten. Auch die ganz flache Stirn beharrt in
überkommener Form. Der Mund steht in seiner allgemeinen Bil-
dung den älteren Formen näher als etwa denen des olympischen
oder phidiasischen Kreises. Aber hier dürfen wir feststellen, daß
die Freundlichkeit des Ausdrucks eine ganz unbefangene geworden
ist und nichts mehr zu tun hat mit archaischem Unvermögen.
Dieses Lächeln ist natürlicher Wirkung ganz nahe gebracht, es
enthält keinen Zug von Leerheit mehr. Während die Unterlippe
im Mundwinkel spitz und fein verläuft, endet die Oberlippe in
breiterer Fläche. Dies und ein fast unmerkliches Fältchen an den
Mundwinkeln, nicht etwa eine wesentliche Biegung des Lippen-
spaltes nach oben, ruft den still heiteren Ausdruck hervor, der so
geheimnisvoll anziehend wirkt. In vollendet reifer Form stellt sich
das Ohr und der gesamte ovale Umriß des Kopfes dar, dessen
Profil an der Nasenwurzel leicht eingesenkt ist. Schmaler und
Antike Denkmaler 1916-17.

feiner als sonst meistens bei archaischen Köpfen sind die Nasen-
flügel. Das willensstarke Kinn und die Wangen mit der sehr
deutlichen Betonung der Nasolabialfalte und der zarten Einsenkung
in der Gegend unterhalb des Jochbeins sind fast individuell mo-
delliert; ihre Wirkung trägt namentlich in der Seitenansicht sehr
zu dem persönlichen Eindruck des Kopfes bei. Die Lockerung
des Archaismus macht sich auch in den komplizierten Formen des
Gewandes bemerkbar: die Zipfel hängen unsymmetrisch, die welli-
gen Falten entsprechen einander nur in den allgemeinsten Zügen.
Auch ist die Mittelfalte des Überwurfs auf dem Schoß seitlich ver-
schoben gegen die senkrechte Mittelfalte des ionischen Chitons,
welche die wirkliche Mittelachse der Figur angibt. Wie raffiniert
der Künstler das Spiel von Licht und Schatten zu variieren ver-
stand, zeigt das Umschlagetuch, dessen oberster Faltenzug unter-
schnitten ist, so daß der Schatten nach unten fallt, während die
drei folgenden Falten im Gegensinne geführt sind, so daß leuch-
tende Lichtkanten ihren Verlauf bezeichnen. Etwas Entsprechendes
zeigen die langen Schrägfalten des Überwurfs an der Vorderseite
des Oberkörpers: die oberste Falte dicht unter dem schrägen
Überfall links hat die entgegengesetzte Lichtwirkung wie die fol-
genden sechs. Die Erscheinung des Halses gewinnt in der Vor-
deransicht noch an Schlankheit dadurch, daß die Schulterlocken
von ihm getrennt sind und so eine eigene Schatten Wirkung ver-
ursachen. Unbeschreiblich zart ist die Art, wie der Künstler das
in der Haube geborgene Haar als Ganzes umfaßt hat. Auch die
Loslösung der Figur von der Rücklehne durch das eingeschobene
Kissen ist eine geschickte Neuerung.

Die Stellung der Göttin im Kreise des Archaischen ist durch
die geschilderten Besonderheiten der Ausführung schon angedeutet:
sie ist ein Werk des reifsten Archaismus, Am klarsten ergibt
sich dies bei einem Vergleich mit dem Hauptfund archaischer
Plastik, den wir dem Perserschutt der Akropolis von Athen ver-
danken. Ganz ausscheiden darf man dabei sofort das altsamische
und das altnaxische Gut, aber auch die älteren Werke der übri-

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