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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Antike Denkmäler (Band 3) — Berlin, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.1792#0057
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die leise Einsenkung der Achselhöhle noch spürbar ist (Taf. VIII),
— das ist besondere Meisterleistung, es ist das Persönlichste eines
Künstlers, von dem wir mit Bestimmtheit sagen können: seine
Hand ist auf der Akropolis von Athen überhaupt nicht vertreten.
Die Verschiedenheit von den Koren der Burg erstreckt sich auch
auf die Ausbildung der nackten Gliedmaßen. Viel bewundert sind
die schlanken sehnigen Füße der älteren Akropolisfiguren, schon
im peisistratischen Giebel. Daß diese Modellierung sich in Athen
allmählich abschwächt, sehen wir an der Euthydikosfigur (Schrader
a. a. O. S. 33 Abb. 31 und 33, vgl. die Füße der ebenfalls zu
den jüngsten gehörigen Köre Nr. 696, Schrader S. 38 Abb. 38, dazu
die Hand der Figur Nr. 683, Schrader S. 46 Abb. 50). Selbst bei
diesen jüngsten Werken ist die Andeutung der Sehnen in ihrem
Verlauf von der Zehenwurzel nach oben noch überall sehr deutlich,
und dasselbe ist bei den Aegineten der Fall, während die Füße
der Berliner Göttin kaum eine
schwache Andeutung davon zeigen;
ihre Oberfläche ist nicht so ver-
wittert, daß man das einstige Her-
vortreten nicht bemerken würde.
Wenn ich eine hierin verwandte
Fußform nennen sollte, so käme
am ehesten die der Göttin links
am Bostoner Altarrelief in Betracht,
Studniczka, Jahrbuch d. Inst. XXVI
1911 S. 171 Abb. 76. Gänzlich
verschieden von allen Akropolis-
figuren ist endlich der Gesichtstypus.
Im Kopf der Euthydikosfigur mag
man allenfalls eine Verwandtschaft
im weichen Oval des Umrisses
spüren, alles übrige ist durchaus
abweichend: zunächst das Verhält-
nis von Kopf zu Körper, bei dem
die Euthydikosfigur fast zu schmal-
schultrig erscheint, dann der Mund,
die Augenbildung und das Profil:
bei der Akropolisfigur geradlinig,
bei der Göttin mit der deutlichen
Einsenkung; das Kinn: bei der
Euthydikosfigur voll und üppig, bei
der Göttin zwar stark, aber in
strafferem 'Zug zum Halse gefuhrt.
Grundverschieden ist auch das Ohr,
das überdies bei der Göttin richtig, i

bei der Euthydikosfigur dagegen

in auffalliger Weise zu hoch sitzt. In dem Streben nach
seelischem Ausdruck erhielt die Euthydikosfigur etwas Trotzig-
Derbes gegenüber der still-sicheren Anmut der Göttin. Nur
die Mädchenfigur Nr. 674 (Schrader S. 28 f. Abb. 23 und 24)
dürfte in der geistigen Auffassung des menschlichen Ge-
sichtes der Göttin ebenbürtig sein. Doch hat sie, ganz abge-
sehen von der zeitlichen Differenz der Entstehung, sonst nichts
direkt Vergleichbares. Auch die Eigenart des Kopfschmuckes gibt
keine Möglichkeit einer näheren Beziehung. Hauben wie die der
Göttin finden wir auf streng-rotfigurigen attischen Vasen ebenso
wie auf nordgriechischen archaischen Reliefs, auf kyzikenischen
wie auf sizüischen Münzen, auf unteritalischen Terrakotten wie an
einem Kopf der Aegineten (Furtwängler, Aegina Taf. 84), wo die
stilistische Vergleichung im übrigen ebensowenig weiterfuhrt wie
die mit den Giebelgruppen von Eretria (Antike Denkmäler III Taf.
27—29), wo z. B. das stark modellierte Gewand der Athena in
deutlichstem Gegensatz zu der Gewandbildung unserer Göttin steht.

Die Vergleichung mit Werken des großgriechischen Archais-
mus ergibt ebenfalls keine unmittelbar greifbare Übereinstimmung.
DieMetopen des Heraion vonSelinunt, bekanntlich etwas älter als die
Skulpturen des Zeustempels von Olympia, denen sie verwandt sind,
zeigen andere Formen der Gestalt, des Gewandes und der Kopfe,
wie ein Vergleich mit der Profilansicht bei Kekule, Festschrift für
O. Benndorf S. 123 links, sofort lehrt. Von kleineren Werken

Antike Denkmaler 1916-17.

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steht im Vordergrund des Interesses alles, was ionisch beeinflußt
erscheint, so die thronende weibliche Terrakottafigur von Gran-
michele, Orsi, Monumenti antichi XVIII Sp. 136 ff. Taf. IV
und V; aber nur für die allgemein archaische Haltung und allen-
falls für die knappe Modellierung des Gewandes ist sie verwert-
bar. Bei den lokrischen Terrakottareliefs (Quagliati, Ausonia
III 1908 S. 136 ff.) kann von einem Vergleich der Köpfe nach Maß-
stab und Erhaltungszustand kaum die Rede sein, das Gewand ist
nach Modellierung und Tracht verschieden: diesen Figuren fehlt
z. B. der schräge ionische Überwurf, sie tragen das Umschlage-
tuch gleich über dem Chiton; wenn man in einem Fall (S. 147
Abb. 9) in der blühenden kräftigen Bildung der Brust eine gewisse
Übereinstimmung mit der Körperbildung unserer Göttin zu finden
meint, so erscheint eine solche Einzelheit doch als untergeordnet
gegenüber dem, was die lokrischen Reliefs grundsätzlich von un-
serer Statue trennt. Das Durch-
scheinen des Umrisses der Bein-
linien unter dem Gewand (Ausonia
a. a. O. S. 218 Abb. 66 ff., S. 232
Abb. 83) findet sich ganz ähnlich
auf Reliefs auch anderer Herkunft,
z. B. der melischen Gruppe; man
findet es am Leukothea-Relief der
Villa Albani (Friederichs - Wolters
Nr. 243) und den thronenden Figuren
des Harpyien-Monumentes (Friede-
richs-Wolters Nr. 127) ')■

Als sicheres Resultat der Ver-
gleichung ergibt sich, daß die Göttin
nur um die Zeit von 480 vor Chr.
entstanden sein kann. Wenn der
oben erwähnte, entwickeltste aller
in Aegina gefundenen Köpfe von
Furtwängler (Aegina S. 362) mit
Recht schon etwas nach 480 vor
Chr. gesetzt wird, dann wird die
Berliner Göttin mit den noch reife-
ren Gesichtszügen sogar noch einige
Jahre jünger datiert werden können.
Die Palmetten auf der Rückseite des
Thrones würden dazu passen, sie
entsprechen den Formen der rot-
figurigen Malerei dieser Zeit.

Schwieriger ist die Frage, ob
die Verschiedenheit des Werkes von
den besprochenen Denkmälern der
Inselkunst auf anderer Schultradition oder nur auf anderer Künstler-
individualität beruht. Wäre es denkbar, daß ein Meister der jüngeren
„parischen11 Schule sich in der Richtung der Göttin entwickelt hat?
Gewiß hat Schrader recht damit, daß am Ende des reichen, dekora-
tiven Stils dieser Schule ein Umschlag einsetzt, eine Rückkehr zur
Natur, wie sie die folgende Epoche des 5. Jahrhunderts beherrscht.
Die Eigenart der Göttin läßt sich damit jedoch nicht erklaren,
denn die flache, anklebende Behandlung des Gewandes ist keine
Rückkehr zur Natur, sie bringt auch keine Vereinfachung des Or-
namentalen mit sich. Nicht individueller Arbeit, sondern alter
Überlieferung entstammt diese Behandlung. Ihre Vorstufen liegen
nicht im „parischen", sondern eher im altionischen Gebiet. Dort
findet sich ganz früh dieses Anschmiegen des Gewandes in wei-
chem Übergang bis in die Tiefe, weitgehender als es dem natür-
lichen Schwergewicht des Stoffes entspricht; schon die Branchiden-
figuren liefern dafür auffällige Beweise. Bei der Statue Nr. 16
des Britischen Museums (Brunn-Bruckmann Taf. 143 a) sind

') Jünger als die Berliner GHttin, aber in der Haltung noch an den Archaismus an-
klingend, scheint die thronende Pcrsephone mit dem Mohnkolben auf der Broniemünze von
Lokmi Epuephynoi aus dem 3. Jahrh. v. Chr, die in der rechten Hand eine Schale hllt,
vergl. Egge«, Auktionskatalog Nr. XL (Sammlung Prowc) Mai 1912 Iafel IV 373. Über
den L>erUhmten Persephonctempel daselbst, iu dem diese1; alte Kultbild offenbar gehörte,
vgl. Eckhel, Doctnna numm. I Si 175. Sambon, Recherches sur les momuics de la presqu'ile
italique (1870) S. 338,35, Gwucet, Le monete dell' Italia antica (1885} S. 160,5 r»f
CX1H, 5-

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