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Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 1): Die Mark Brandenburg: 1. Die Stadt Brandenburg. 2. Die Altmark — Berlin, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.31747#0042
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32

Schluss.

Die auf Grund der mitgetheilten Einzelforschungen zusammengestellte
Chronologie der Bauwerke zu Brandenburg ist durch die Fülle und Be-
deutung ihres Inhalts wohl geeignet, ein allgemeineres Interesse zu er-
wecken.

Wir sehen darin, wie in ältester Zeit die Kraft eines grofsen
deutschen Kaisers den ersten Versuch rnacht, von Sachsen aus, deut-
schen Glauben und deutsche Sitte in die heidnischen fast unbekannten
Gegenden des nordöstlichen Deutschlands zu tragen. Aber minder kräf-
tige und umsichtige Nachfolger sind nicht im Stande, diesen politischen
und kirchlichen Schöpfungen Bestand zu verleihen. An dem einmiithi-
gen, in seiner Existenz bedrohten Nationalbewufstsein der slavischen
Völker scheitert der viel versprechende Versuch, und ein 200jäliriger
Kampf knüpft sich an die Germanisirungs - Politik des grofsen Kaisers.
Dennoch — und trotz des ausdauerndsten Widerstandes der Slaven —
siegt- das deutsche Element durch Glaubenskraft und Waffengewalt. Der
letzte Slavenfürst wird Christ und Stifter der ersten Gotteshäuser, deren
sächsische Bauweise das schwere ungefüge Material des Granits benutzt.
An die Stelle der absterbenden slavischen Ilerrschergewalt tritt die um-
fassende weitreichende Thätigkeit eines neuen Fürstengesclilechts der
Anhaltiner. Kolonisten aus Deutschland und den Niederlanden eilen
'herbei; deutsches Recht wie Sitte werden begründet, niederländische
Kultur iibertragen, und die bischöfliche Wirksamkeit zögert nicht, in
alte kaiserliche Schenkungen einzutreten. So prägt sich das unter hartem
Drucke emporwachsende Leben einer politisch wie kirchlich schwer be-
gründeten Existenz in den Bauwerken aus, welche das nächste unmittelbare
Bedürfnifs zu befriedigen, in gröfster Einfachheit und Schlichtheit erschei-
nen. Die Pfarrkirche St. Nicolaus und der Dom St. Peter und Paul haben
diesen Typus in einfach romanischen Formen bewahrt. Eigenthümlicher
und künstlerisch vollendeter gestaltet, aber auch im Aeufsern noch mäfsig
und bescheiden, wird der uralten Heiligkeit des Ortes und dem Drange
neuer Verehrung entsprechend, die Wallfahrts-Kirche St. Maria auf dem
Harlunger Berge errichtet, — durch ihre Zerstörung leider ein leeres,
schwer zu ergänzendes Blatt der Brandenburgischen Baugeschichte.

Aber die Städte wachsen an Einwohnerzahl, Macht und Ansehen.
Ihre Pfarrkirchen werden vollendet und nicht ohne Reichthum und Kunst-
sinn ausgestattet. Geistliche Körperschaften, welclie mit dem Gelübde
der Armuth an den Wohlthätigkeitssinn gedrängt zusammensitzender
Bürger gewiesen sind, bleiben nicht aus. Von den Landesherren ein-
geführt und beschützt, und durch steten Zusammenhang mit dem geist-
lichen Stuhle gefördert, erbauen die beiden rivalisirenden Bettelorden
ihre Klosterkirchen St. Johannes und St. Paul. Beide Kirchen zeigen
zuerst den neuen, in Frankreich ausgeprägten gothischen Styl in ein-
facher, den Bedingungen strenger Sparsamkeit stets Rechnung tragender
Weise. Die von ihnen aufgestellten Kirchenformen finden -Beifall, das
daran entwickelte consequente System leichter, aber feuersicherer Decken
baldige Nachahmung.

Zuerst entschliefst sich das Domkapitel aus solcher Riicksichtsnahme
zu einem Umbau des alten romanischen Domes, und überträgt die Lei-
tung desselben wie des Restaurationsbaues der St. Peters-Kapelle einem
erfahrenen Kleriker seiirer Genossenschaft. Kaum sind beide Bauten
durch Heinrich von Gardelegen in edlen und reinen Stylformen vollendet
und von Seiten der Neustadt der kleine Kapellenbau bei St. Jacob in
naiver Einfachheit beendigt, so unternimmt die Altstadt einen bedeu-
tenden Neubau ihrer alten Pfarrkirche St. Godehard.

Dieser erste Versuch einer selbstständigen städtischen Baupraxis
wird mit Erfolg gekrönt, und nun entfaltet sich in beiden Städten, nicht
ohne gegenseitige Rivalität, eine reiche und umfassende Bauthätigkeit.

Fortan tritt die sonst eingreifende Hülfe der Landesherren in den Hinter-
grund, die Geistlichkeit übergiebt die bauliche Leitung den Laien-Werk-
meistern nnd bleibt nur noch die wohlthätige Förderinn aller kirchlichen
Bau - Unternehmungen.

Die Städte sind mündig geworden. Thore und Ringmauern nehmen
ihre Aufmerksamkeit und Geldmittel in Anspruch, aber wohlerworbenes
Vermögen erlaubt, diesen nackten Bediirfnifsbauten mehr und mehr
künstlerischen Schmuck zu verleihen. Noch sichtbarer wird dieser Hauch
soliden bürgerlichen Reiehthums an den Rathhäusern, den Mittelpunkten
kräftiger Selbstregierung wie geselliger Freude. Die Altstadt erreicht
hierin mit ihrem kleinen aber edlen Bau den Gipfelpunkt der Profan-
Architektur.

Bald darauf' und während das Domkapitel unter Anregung eiues
kunstbegeisterten Bischofs einen kostbaren Erneuerungsbau am Dome
vollzieht, fafst die Neustadt alle irgend verfügbaren Mittel zusammen
und stellt einen fast überreiclien Neubau ihrer Pfarrkirche St. Katha-
rina her. Der hierzu von Seiten der Stadt gewählte Meister Heinrich
Brunsberg entspricht den gesteigerten Anforderungen seiner Zeit im voll-
sten Sinne des Worts. St. Katharina ist sein eigenes und der Neustadt
vollendetes Denkmal. Aber der Gipfelpunkt ist erreicht, neue und
grofse, von dem Bewufstsein der Zeit getragene Aufgaben kommen nicht
mehr vor, die künstlerische Kraft erlahmt, nur die Technik schreitet
noch vorwärts. So treten an die Stelle grofser Künstler tüehtige
Handwerksmeister, deren bester, Nicolaus Kraft (wohl ein Schüler
Heinrich Brunsberg’s), im Sinne des Meisters von St. Katharina fort-
zuwirken sucht.

Auch der Versuch einer landesherrlichen Bauthätigkeit wird in die-
ser Zeit noch einmal sichtbar. Ein Fürst aus dem Geschlechte der Ho-
henzollern erbaut in frommer Verehrung neben der Wallfahrtskirche
St. Maria — die Kapelle des Schwanenordens. In diesem kleinen, aber
edlen Bau zeigt sich noch eiu Abglanz des reichen Fapadenbaues von
St. Katharina, mit welchem auch die Altstadt noch einmal in den
Kapellenbauten bei St. Godehard zu wetteifern sucht. Aber vergeblich.
Die lebendige schöpferische Kraft ist erloschen, denn die erstrebten Ziele
sind erreicht und die baulichen Bedürfnisse des Mittelalters vollständig
befriedigt.

Zuletzt bleibt drei Jahrhunderte hindurch die fromme anerkennens-
werthe Pietät, welche nicht ohne Opfer die Werke der Vorfahren als
Zeugen einer grofsen Vergangenheit so gut als möglich der Nachwelt
zu überliefern sucht.

In diesem Sinne, kurz und andeutend gelesen, ist die vorangestellte
Chronologie der Bauwerke fiir die Stadt Brandenburg der Gesammt-
Inhalt einer vierhundertjährigen, reichen und mannigfaltigen Bauthätig-
keit, die für alle Zeiten niedergelegte Urkunde ihrer politischen selbst-
ständigen Existenz. Was aber für die Stadt Brandenburg gilt, findet
auch auf die übrigen Städte der Mark volle Anwendung. Jede der-
selben hat diesen kulturhistorischen Entwickelungsgang im Mittelalter
fast in gleicher Weise genommen, und den A.usdruck desselben in ihren
Bauwerken rein und vollendet ausgeprägt.

Aber schon ist ein grofser Theil dieser baulichen Schöpfungen zu
Grunde gegangen, und von den übrig gebliebenen ist es unendlich schwer,
oft ganz unmöglich, ihr für die Geschichte der Stadt wie der Kunst
stets so wichtiges Datum zu ermitteln. In beiden Beziehungen stehen
die Städte Brandenburg obenan. Eine zusammenhängende Reihenfolge
von Bauwerken und eine seltene Fülle von Urkunden und Nachrich-
ten ergeben bei sorgfältiger Priifung und Zusammenstellung eine ge-
sicherte Chronologie und darin das Fundament für alle weiteren Un-
tersuchungen des Backsteinbaues und seiner Monumente im nordöstli-
chen Deutschland.

Siegel der Neustadt Brandenburg.

Gedruckt bei A. W. Soh ade in Berlin, Griinstrafse 18.
 
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