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Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 1): Die Mark Brandenburg: 1. Die Stadt Brandenburg. 2. Die Altmark — Berlin, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.31747#0076
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IX-X. Thore.

Die Stadt Stendal, welche schon im J. 1285 als eine feste
Stadt der Altmark angesehen wurde und innerhalb 1288-—1300
eine beträchtliche Erweiterung ihrer Mauern erfahren hatte, war
am Schlusse des Mittelalters durch einen Wall und doppelten
Graben, an einzelnen Strecken sogar durch Doppelwall und drei-
fachen Graben befestigt. Yier Thore, das Uenglinger, Tanger-
münder, Vieh- und Arneburger Thor, durchbrachen die mit vor-
springenden halbrunden und quadratförmigen Mauerthürmen gesi-
cherte Ringmauer, welche unterhalb aus Granitgeschieben, ober-
halb aus Backsteinen erbaut war. Von dieser höchst äusgedehn-
ten und starken Befestigungsanlage haben sich aufser der Ring-
mauer nur die Innenthorfhürme am Uenghnger und Tangermün-
der Thore erhalten ').

IX. Das Uenglinger Thor.

Historisches.

Aus den unter Historisches der Pfarrkirche St. Peter ange-
führten Urkunden geht hervor, dafs die Erweiterung der städti-
schen Ringmauer zwischen 1288 und 1300 stattgefunden haben
mufs, wodurch die Bauzeit der ältesten Reste, des dicht bei St.
Peter belegenen Uenglinger Thores mit Sicherheit gegeben ist.

Baubeschreibung 2).

Nach der vor einigen Jahren .bewirkten Abtragung der
Mauer- und Bogenreste eines schiefwinklig davor angelegten Vor-
thores besteht jetzt das Uenglinger Thor noch aus dem quadrat-
förmigen Thorhause und dem unmittelbar darauf ruhenden run-
den Oberthurme. Vergl. Bl. XXXVI. Fig. 1. Nur der Unterbau
des Thorhauses, welcher bis auf eine Höhe von 13 Fufs eben
so wie die anstofsenden Ringmauern aus behauenen Granitqua-
dern hergestellt ist, darf mit Rücksicht auf die Thatsache, dafs
der spätere Backsteinbau ziemlich regellos theils in denselben
eingeschroten, theils auf denselben aufgesetzt ist, als ein Rest
des Mauerbaues von 1288 — 1300 betrachtet werden. Der bei
weitem gröfsere Theil des ganzen, grofsartig entworfenen und
mit seltenem Reichthume an Kunstformen durchgeführten Bau-
werks ist ein einheitlicher Bau aus der Mitte des XV. Jahrh.

Das quadratförmige Thorhaus ist in drei, auch im Aeufse-
ren charakterisirte Geschosse getheilt. Vergl. die in Fig. 3, 4,
6 u. 7 mitgetheilten Grundrisse mit der Faqade Fig. 1 und dem
Querschnitte Fig. 2. Das Erdgeschofs mit zwei
reich profilirten Spitzbogenöffnungen, deren Pro-

(ilpÄ fil der Holzschnitt darstellt, nach der Stadt-
J|jj|gjp und Feldseite geöffnet und mit einem flachen
l|!j Kreuzgewölbe auf Rippen bedeckt, vermittelte

den Durchgangsverkehr. Die beiden oberen Ge-
schosse, nur mit Balkenlagen überdeckt, und mit vergitterten
Flachbogenfenstern, die von Spitzbogenblenden umrahmt werden,
ausgestattet, dienten zur Wohnung der Besatzung, doch sind die
ehemaligen Heizvorrichtungen durch einen Umbau fast verwischt
und nur die Abtrittsanlage noch vorhanden. Oberhalb des drit-
ten Geschosses wird das Thorhaus mittelst. einer reich geglie-

*) Auf der Stadt-Ansicht in Merian’s Topographie der Mark S. 1 0 sind drei Thore,
aber wie es scheint nicht zuverl'assig richtig, dargestellt. Viel besser ist der Stadtprospekt
in Beckmann a. a. O. Sp. 1. 2.

2) Eine perspektivische Darstellung' des Uenglinger Thors ist in Strack a. a. O. Bl. 9
und in der Zeitschr. f. Bauw.VII. Bl. 36 von Borstell gegeben wordcn. Obwohl letztere
das Bauwerk nach der vor einigen Jahren bewirkten Restauration, also vollständiger mit-
theilt, entbehrt sie doch der wiinschenswerthen Genauigkeit in den Hauptverhältnissen wie
in einzelnen Details. Noch fehlerhafter ist der von demselben Verfasser auf BI. 37 Fig. 1
mitgetheilte geometrisehe. Aufrifs, in welchem beispielsweise der Durehmesser des runden
Oberthurmes um vier Fufs zu klein angegeben worden ist. Ebenso irrthümlich ist die Form
des ünteren Bogenfrieses und die Anzahl und Anordnung der glasirten Ziegelstreifen an
den kleinen Eckthiirmehen wie an dem O’berthurme wiedergegeben. Ilurch alle dicse Män-
gel veränlafst, entbehrt die Borstellsche Darstellung des in der Wirklichkeit vorhande-
nen kraftvollen und energischen Charakters des Thorgebäudes.

derten Zinnenwand abgeschlossen. Zur Verstärkung derselben
und zur Herstellung der nöthigen Verbindungr- .reppe sind runde,
zierlich durchgebildete Eckthürmchen aufgemauert, welche mit
massiven Spitzen beendigt, einen höchst wirkungsvollen archi-
tektonischen Abschiufs gewähren. Der unmittelbar hinter der
Zinnenwand belegene Rundthurm, dessen Umfangslinie durch
Ueberführung des Quadrats ins Achteck mittelst Eckzwickelbo-
gen gewonnen worden ist (vergl. den Durchschnitt Fig. 2), steigt
noch zwei Geschosse höher ffinauf und ist im Innern mit einein
starken Rundkuppeigewölbe bedeckt. Oberhalb desselben ist die
Plateform mit starkem Gefälle abgepflastert und mit einem Zin-
nenkranze als Brustwehr umgeben '). Die Treppe, welche den
gezinnten Umgang des quadratförmigen Thorhauses mit der Pla-
teform des Oberthurmes verbindet, liegt in der Mauerdicke des
Letzteren. Die Totalhöhe des Thores beträgt 87 Fufs 4 Zoll Q-
Die Gestaltung der beiden übereinstimmend behandelten Front-
faf'aden giebt Fig. 1, den Charakter der Details Fig. 5, wäh-
rend für die Gliederung der Zinnenpfeiler, Gurt- und Hauptge-
simse auf die entsprechenden Details des Nordkreuzflügels voin
Dome Bl. XXXIII Fig. 2, 4 und 5 verwiesen wird.

Die grofsartige Gesammtkomposition,— welche die schwierige
Aufgabe, ein quadratesThorliausmiteinemRundthurme unmittelbai'
zu verbinden, lösen mufste, — ferner die Trefflichkeit der Haupt-
• verhältnisse, die Reinheit und Eleganz der Profilirungen, endlich
die wohlüberlegte und sinnreiche Anwendung des durch das Bau-
material gegebenen Farbenwechsels mit glasirten Steinen, Thon-
platten, Putzflächen etc. — alle diese Vorzüge erheben das Ueng'-
linger Thor auf eine der höchsten Stufen der mittelalterlichen
Profanbaukunst, nicht nur in der Mark, sondern in den balti-
schen Ländern. Es ist dieses Thor ein ebenbürtiges Seitenstück
zu der Nordkreuzfront des Domes zu Stendal und wie aus der
Gleichheit der Kunst- und Strukturformen hervorgeht, nicht nui’
gleichzeitig oder unmittelbar darauf, sondern höchst wahrschein-
lich von demselben Meister erbaut.. Hierfür sprechen die aufser-
ordentlich maafsvolle aber vortreffliche Profilirung beider Bau-
körper, ferner die Gleichartigkeit der Formsteine, besonders der
Bogensteine des kleeblattförmigen Bogenfrieses, der Gurtgesimse,
der Pfeiler- und Fenstereinfassungen, endlich noch die seltene
Anordnung der zinnenartig ausgeschnittenen Putzflächen, welche
am Uenglinger Thor unterhalb des zweiten Gurtgesimses und ani
Domkreuzflügel unterhalb des Giebel-Dreiecks in gleicher Gröfse
und Behandlung angeordnet sind. Ein besonderer Unterschied
zwischen beiden Bauwerken liegt nur darin, dafs das Uenglingei’
Thor bereits eine schmuckreiche Verwendung von glasirten
Mauer- und Formsteinen erfahren hat, deren die Nordfront des
Domes noch entbehrt. Auch darf nicht verschwiegen werden,
dafs das Thor in dem Reichthume seiner Gliederung und der Fülle
seiner Kunstformen die Grenze des künstlerisch Vollendeten
mcht nur erreicht, sondern durch ein zu weit getriebenes Raffi-
nement überschreitet. Dahin gehört besonders die Ausbildung
der an beiden Fronten vorhandenen Mittel-Erker, welche durch die
Wrwendung aller möglichen Bogenformen, sowie durch die selt-
same Einziehung der Ecksteine in jeder zweiten Schicht von künst-
leriscker Uebertreibung nicht frei zu sprechen ist. Aber trotz
j dieser Mängel bildet das Uenglinger Thor, welches strenge Würde
mit seltener Eleganz höchst wirkungsvoll verbindet, eine dei'
edelsten und hervorragendsten Schöpfungen des BacksteinbaueS
und läfst uns den Verlust des Namens und der Lebensbeziehun-
gen seines in künstlerisclier Beziehung so reich begabten Mei-
sters doppelt bedauern.

“) Der obere Zinnenkranz ist durch die jiingste, im Allgemeinen wohlgelungene B e"
stauration nicht richtig erneuert worden. Die am Oberthurme vorhandenen, schwach vof'
springenden vier Erker gingen unzweifelhaft als Zinnenpfeilor höher hinauf, wie eine gleich 0
Anordnung am Neustädter Tliore zu Tangermünde Bl. XL auf Grund alter Abbildungo 11
dargestellt worden ist.

’ 2) Während des dreifsigjährigen Krieges war ein kegelförmiges Ziegeldach über dci
Plateform des oberen Rundthurmes hergestellt und bis zur Mitte des vorigen Jahrh. orhfti'
ten worden, wie aus der Ahb. bei Beekmann a. a. O. Sp. 1 hervorgeht.
 
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