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Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 1): Die Mark Brandenburg: 1. Die Stadt Brandenburg. 2. Die Altmark — Berlin, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.31747#0090
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80

I. Pfarrkirche St. Martin.

Diese ldeine, aufserlialb der Stadt auf der „alten Stadt“
Stelle belegene Pfarrkirclie entspricht in Form, Gröfse und Tech-
nik den auf Bl. XXIV dargestellten Dorfkirchen bei Jeriehow.
Ihr Grundrifs stimmt bis auf wenige Fufse mit dem unter Fig. 2
mitgetheilten der Kirche zu Redekin völlig üherein, nur entbehrt
dieselbe des an fast allen Dorfkh'chen des Landes Jerichow auf-
tretenden oblongen Glockenhauses im Westen. An das mit höl-
zerner Balkendecke überspannte Langhaus lehnt sich östlich der
kleinere quadrate mit einem kuppelförmigen Kreuzgewölbe über-
wölbte Chor und eine halbrunde Apsis. Der ganze Bau ist aus
Granitfüllmauerwerk errichtet, innen wie aufsen aber in treffli-
cher Technik mit Backsteinen verblendet. Xur am unteren Theile
der Ohormauern und dem Fundamente der Apsis tritt Feldstein-
mauerwerk zu Tage, dagegen is.t der obere Theil, so wie die
Apsismauer selbst ganz in Backsteinen ausgeführt. Die kleinen,
schwach geschmiegten Fenster sind überall rundhbgig geschlos-
s.en. Die in der oberhalb mit Ecklissenen gegliederten Süd- und
Xordmauer des Schiffes vorhändenen Portale besitzen einfach ab-
gestufte, in den Ecken mit Rundstäben besetzte Profile und sind
gleichfalls rundbogig geschlossen. Die Kämpfer an den Porta-
len sind abgeschrägt, nur die des Triumphbogens mit einem aus
Kehle und Rundstabe gegliederten Gesimse verziert. Alle diese
technischen wie ästhetischen Eigenthümlichkeiten lassen keinen
Zweifel, dafs St. Martins-Kirche zu der mehrfach genannten
Gruppe von ältesten Bauwerken der Altmark gehört, welche den
eingewanderten Xiederländern ihren Ursprung verdanken.

Obgleich die Kirche im Wesentlichen noch vollständig er-
halten ist, so erkennt man doch, dafs in altgothischer Zeit eine
nothdürftige Ergänzung einiger ihrer Bautheile stattgefunden hat.
Dies zeigt sicli an der gröfstentheils in Granit emporgeführten
Westmauer, welche von schräg gestellten Streb.epfeilern flankirt
und oben mit einem durch Spitzbogenblenden liöchst einfach ge-
gliederten Giebel bekrönt wird. Da auch neben dem im Spitz-
bogen geschlossenen Hauptportale der Westfront kleinere Strebe-
pfeiler emporsteigen und an Xord- wie Südmauer Abbruchsspu-
ren sichtbar sind, so ist die Annahme zulässig, dafs diese ganze
Westmauer eine nothdürftige Ergänzung des vielleicht in der
schweren Felide von 1240 zu Grunde gegangenen Glockenhau-
ses ist und ca. 1250 hergestellt worden ist.

Ein eigenthümlicher Schmuck der Kirche sind die hochal-
terthümlichen, an dem Kreuzgewölbe des Chores in Fragmenten
erhaltenen Freskobilder, welche sich auf die Legende des heil.
Martin beziehen, aueh Darstellungen des Sündenfalls etc. in ziem-
lich grofsem Maafsstabe enthalten.

Mit Rücksicht auf die urkundlich gesicherte Existenz der
Stadt. Osterburg um 1151 darf die Bauzeit dieser ältesten Pfarr-
kirche St. Martin auf 1150 gestellt werden ').

II. Pfarrkirche St. Nikolaus.

Historisches.

Diese zweite Pfarrkirche, welche nach Verlegung der Stadt
an eine andere, den Ueberflutungen der Elbe minder ausgesetzte
Stejle nothwendig wurde, soll Graf Heinrich von Osterburg um
1170 gestiftet und erbaut haben. Von späteren Xaclirichten ist
nur hervorzuhehen, dafs Papst Urban V. im J. 1366 die Pfarr-
kirche von Osterburg dem damals sehr reichen Kloster Krewese
inkorporirte 2), dafs die Stadtschöffen im J. 1369 einen Altar
nebst geistlichem Lehn in derselben gründeten und dafs die an
der Xordostseite des Ohores belegene Kapelle Allerheiligen im

’) Grotse Aehnlichkeit mit St. Martin zn Ost'erburg besitzt dje kleine St. Maftins-
Kirche zu Meifsen, welche ror 1170 entstanden scin mufs. Vergl. Puttrich I. Abth. 2. Bd.
S.-2,T'4

J) ßiedel a. a. O. XVI, 331.

J. 1484 von dem Biirgermeister Hans Boldemann gestiftet und
erbaut, aber 1614 erneuert wurde. Sonstige Xachrichten fehlen-

Baubeschreibung.

Wie der auffallend unregelmäfsig gestaltete Grundrifs Bl-
XLVI, Fig. 6 lehrt, hat die Kirche in Folge verschiedener Um-
und Erweiterungs-Bauten während des Mittelalters ihre jetzig e
Erscheinung empfangen. Ursprünglich stellte dieselbe eine Pfei-
lerbasilika mit Westthurm, Querschiff und vermuthlich absiden-
artig beendigtem Chore dar. Von diesem ganz aus sorgfältig
behauenen Granitquadern errichteten Stiftungsbaue sind noch be-
trächtliche Bautheile vorhanden, nämlich der oblonge Westthurnb
die Schiffs- und Vierungspfeiler und die Untermauern der Xord-
und Südquerschiffsfronten.

Die Schiffspfeiler besitzen eine für den Granitbau auffallend
reiche Formenbildung, denn es sind quadratische, kreuzförmig e?
runde und achteckige Querschnitte darin vertreten. Obgleich die
Xatur des Materials jeder reicheren Gestaltung entschieden v'i-
derstrebt, so zeigen gerade die ältesten Granitbauten in den Mar-
ken derartige höchst bemerkenswerthe Versuche, dem spröden
Materiale. ein Maximum von Formen abzuringen '). Da an den
sichtbaren Theilen des Baues, am Thurme und den alten Quer-
schiffsfliigeln gleichfalls das trefflichste Bahnenmauerwerk sicht-
bar wird, und diese Technik wie jene Pfeilerbildung auch an dei’
ebenfalls in Granit erbauten Klosterkirche zu Krewese 1157 er-
scheint, so ist man völlig berechtigt, alle diese Theile als erheb-
liche Reste des vom Grafen Heinrich von Osterbure’ um 1170

Ö

ausgeführten Stiftungsbaues zu betrachten.

Die romanische Pfeilerbasilika wurde in der zweiten Hälft e
des, XIV. Jahrh., wahrscheinlich um 1366 in eine spitzbogig e
Hallenkirche in der Weise verwandelt, dafs die Seitenschiff s'
mauern abgebrochen und hinausgerückt und die Schiffspfeil eI’
nach der Abtragung der Obermauern um das Doppelte ilu' eI’
Höhe erhöht wurden. Dabei wurde das Granitmaterial des »l'
ten Baues zur Herstellung der Seitenschiffsmauern und Strebß'
pfeiler von Neuem verwendet und nur zu den oberen Bauthei'
len, Gurtbogen, Fensterprofilen, Wandverzierungen, Strebepfeilei’'
Abdeckungen etc., Backsteirimaterial benutzt. Wie man das aff e
Material geschont hat, zeigen die alten, sorgfältig aus Granit g e'
hauenen, Fig.4 dargestellten Kämpfersteine, auf denen die spätere’ 1
theils profilirten, theils abgestuften Gurtbogen ruhen. Die Aufsßü'
fa^aden des Langhauses mit kräftig gegliederten Strehepfeilern b e'
setzt, von dreitheiligen Spitzbogenfenstern durchbrochen und md
einem glasirten, gekreuzten Stabfriese unter dem HauptgesiraS e
geschmückt, zeigen bei treff’licher Technik so gute Gesammtver-
liältnisse und eine so edle Detailgliederung, dafs sie als eine her'
vorragende Leistung unter den Bauausführungen der kleinereü
ältmärkischen Städte bezeichnet werden müssen. Das Inner e
des Langhauses macht einen weniger günstigen Eindruch, deiü 1
sämmtliche Gewölbe und ein Theil der Gurtbogen aus jener B» u'
zeit sind nicht mehr vorhanden.

Die jetzigen, auf schwächlich profilirten Rippen ruhendef»
hochbusigen Kreuzgewölbe, welche an den Wänden von schwet'
fällig abgerundeten Dienstbiindeln Fig. 5 getragen werden, eiff'
stammen der zweiten Hälfte des XV. Jahrh. Ihre Herstellung'
scheint einen Umbau eingeleitet zu haben, der längere Zeit g' e'
dauert hat und mit der beträchtlich erweiterten Choranlage g' e'
gen den Schlufs des Jahrhunderts vollendet wurde. Die höchV
unregelmäfsig gestaltete Choranlage schliefst sich an das Syste» 1
des Chors von Werben mit der geringen Variation an, dafs di e
Axen der Xebenchöre nicht parallel mit der Mittelaxe des HaupP
chors laufen, sondern diagonal zu derselben gerichtet wurdeö''
Auch erkennt man an struktiven Kennzeichen deutlich, dafs di e
Chorpfeiler das Letzte derBauanlage gewesen sind und ihre höch st

*) Ein ähnliches Beispiel solcher verschieden gebildeter Granitpfeiler zeigt auch 1,0
in der Mitte des XII. Jahrh. erbaute St. Nikolaus - Kirche zu Loburg. Vergl. den Aufc‘ ltz
von Wiggert Histor. Wanderungen durch Kirchen des ßeg.-Bez. Magdeburg in Fürst 0'
mann Mittheilungen etc. III, 4. S. 102 ff.
 
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