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Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 1): Die Mark Brandenburg: 1. Die Stadt Brandenburg. 2. Die Altmark — Berlin, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.31747#0094
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84

Stellung unter den Schwesterstädten der Altmark behauptet. Aus
der uralten Burg, der Alt- und der Neu-Stadt erwachsen, und
durch zwei Vorstädte — den Perwer und den Bockhorn — er-
weitert, besafs die umfangreiche und wohlbefestigte Stadt am
Schlusse des Mittelalters drei Pfarrkirchen, drei Klosterkirchen
und vier Kapellen, ferner zwei Rathhäuser, die Burg und die mit
Mauer- und Thorthürmen besetzte Ringmauer. Diese seltene
Fülle von Bauwerken, welche das Alter, den Reichthum und die
politische Stellung der mittelalterlichen Stadt so bestimmt be-
zeichnete, ist leider im Laufe der beiden letzten Jahrhunderte
sehr wesentlich verringert worden. Indessen ist doch noch eine
sb bedeutende Anzahl von kunsthistorisch interessanten Monu-
menten vorhanden, dafs nur einzelne für die Baugeschichte der
Mark Brandenburg besonders wichtige Bauwerke in dieser Samm-
lung eingehender mitgetheilt, die übrigen nur kurz charakterisirt
werden konnten.

I. Pfarrkirche St. Lorenz.

II i s t o r i s c h e s.

Von dieser nahe bei der Burg belegenen kleinen, aber al-
ten Pfarrkirche sind urkundliche Nachrichten selten und lücken-
haft ‘). Aufser gelegentlich erwähnten Altarstiftungen im J. 1315
und 1404 werden nur zwei Brüderschaften, die des heiligen Kreu-
zes und St. Jakobs Gilde, genannt, welche die Kirche gottesdienst-
lich benutzten. Aber sclion zur Reformationszeit war die Kirche
aufser Gebrauch, wurde dann nach mannigfach erlittenen Ein-
bufsen Jahrhunderte lang als Salzmagazin benutzt und ist erst
in der neuesten Zeit der katholischen Gemeinde zu Salzwedel
als Pfarrkirche wieder überlassen worden.

Baubeschreibung.

Die auf Bl. XXX in ihren wesentlichsten Theilen dargestellte
Kirche bestand ursprünglich nur aus dem dreischiffigen Lang-
hause, an welches nicht viel später zuerst das Glockenhaus im
Westen und dann der einschiffige platt gescblossene Chor im
Osten angebaut wurden * 2 3). Obgleich die ganze Bau-Anlage nur
fragmentarisch erhalten ist, so gehört dieselbe zu den werthvoll-
sten Backsteinbauwerken der Mark Brandenburg. Sie ist das
einzige Beispiel einer in Formen des Uebergangsstyls entwickel-
ten gewölbten Basilika und bildet das baugeschichtlich wich-
tige Glied zwischen den romanischen gewölbten Basiliken von
Diesdorf und Arendsee mit den altgothischen gewölbten Basili-
ken, deren Reste in St. Maria und St. Katharina zu Salzwedel
erhalten sind.

Wie der Grundrifs Fig. 10 und die Durchschnitte Fig. 1 und
8 lehren, war das nach dem Struktursysteme einer Basilika ge-
staltete Langhaus stets überwölbt. Zwar sind die Seitenschiffe
längst abgerissen, aber man erkennt diese Thatsache an der auf
Gewölbebau veranlagten Pfeilerbildung. Weniger leicht ersicht-
lich ist das Faktum, dafs die jetzigen Gewölbe des Mittelschiffs
nicht mehr die ursprünglichen sind. Indessen sind für diese An-
nahme zwingende Gründe vorhanden. Zunächst besitzen die Pro-
file der Rippen und Gurtbogen (in Fig. 5 und 11 dargestellt)
eine Formation, welche nur in spätgothischen Bauwerken auf-
zutreten pflegt a), ferner werden dieselben von aus Stuck herge-
stellt.en menschlichen Köpfen getragen, — eine Anordnung, die
ebenfalls erst in der Mitte des XV. Jahrh. in den Marken er-
sichtlich wird — endlich sind die Kreuzkappen hochbusig und
sehr dünn, nur 5 Zoll stark konstruirt. Da nun das im West-
hause befindliche Kreuzgewölbe 10 Zoll stark und flachbusig ge-
wölbt ist und auf derben einfach abgespitzten, theils rothen, theils-

') Vergl. Da-nneil’s vortreffliche Iiirchengesch. von Salzwedel. S. 62 ff.

2) Dicse Thätsaeho Hifst sich sowohl aus den entwickelteren Kunstformen des Choros
und Westhauses gegen die des Sehiffes, als auch aus den deulich sichtbaren Ansatzspuren
beider Bautheile mit völliger Gewifsheit entnehmen.

3) Die Rippen des 1476 hergestellten Sterngewölbes der heil. Geistkapelle zu Berlin
haben genau dieselben abgekehlten Rippenprofile.

schwarz glasirten Rippensteinen ruht, mithin einen wirklichen
altgothischen Gharakter besitzt'), endlich der einzige Quergurt-
bogen des Mittelschiffs auf den Kapitellen der tragenden Halb-
säulen ganz unorganisch aufsetzt, nämlich um mehr als einen Fufs
hinter der Vorderflucht der Halbsäulen zurückspringt, so wird
durch alle diese Kennzeichen die oben ausgesprochene Annahme
begründet. Znletzt giebt die merkwürdige Pfeilerbildung des
Schiff'es den Ausschlag. Die Pfeiler sind verschieden und zwai'
abwechselnd so gegliedert, dafs ein Haupt- mit einem Zwischen-
pfeiler wechselt; auch ist die Axehentfernung der Hauptpfeiler
fast so grofs, als die Axenweite des Mittelschiffs, so dafs nahezu
quadratische Hauptjoche im Mittelschiffe entstehen. In diesen
Eigenthümlichkeiten lassen sich ohne Schwierigkeit Reminiscen-
zen des romanischen, an quadrate Theilung des Grundplanes ge-
bundenen Gewölbebausystems erkennen und daher ist die Aul-
fassung gerechtfertigt, dafs das Langhaus von St. Lorenz seiner
Plan- und Pfeilerbildung nach ursprünglich die Herstellung von
quadratischen Kreuzgewölben erstrebte. Man würde sogar die
nicht unbegründete Vermuthung aussprechen können, dafs die
Zwischenpfeiler besondere Querrippen getragen liaben, — wo-
nach das Schiff mit sechskappigen Kreuzgewölben überdeckt
gewesen sein würde 2), — wenn nicht die alten eingebundenen
Schildbogen mehr auf die Anördnung von oblongen Kreuzge-
wölben, deren Form und Stärke durch das eine noch erhaltenß
Gewölbe des Westhauses veranschaulicht wird, hinwiesen. I' 1
jedem Falle sind diese alten oblongen Kreuzgewölbe in Folg e
eines Umbaues,.der frühestens der Mitte des XV. Jahrh. ang e'
hört, durcli die jetzigen Gewölbe ersetzt worden.

Fafst man die Reste des älteren Baues näher ins Auge, so biß'
ten dieselben für die Entwickelung des Backsteinbaues nach zw el
Richtungen hin interessante Gesichtspunkte. Einerseits erkeniV
man darin das allmählige Auftreten neuer Kunst- und Struktur-
formen, andrerseits zeigt sich eine frühe schmuckreiche Durch-
bildung aller Details mit schwärz glasirten Backsteinen.

Die Vorliebe für romanische Formen ist in dem Langhaus e
noch besonders erkennbar, denn in demselben erscheinen aH e
Rundpfeiler, Dreiviertel- und Halbsäulen mit romanischen Baseu
und trapezschildigen Würfelkapitellen ganz ähnlich ausgebilde^
wie zu Arendsee und Diesdorf. Die rundbogigen Arkaden sin^
mit besonderen Rundstabarchivolten eingefafst, welche auch an
den kleinen kreisförmigen Oberfenstern auftreten, und das HaupP
gesims besteht aus dem einfachen Bogenfriese mit Stromschid 1'
ten darüber. Vergl. zu den Durchschnitten Fig. 1 und 8 die Dat'
stellung der betreffenden Details in Fig. 4, 9 und 11.

Im Westhause und im Chore erscheinen dagegen spitzbo-
gige Arkaden, Schildbogen und Fenster, wobei aber die Detad'
formen dieser Bautheile mit denen des Langhauses so übere» 1'
stimmen, dafs eine völlige Einheit entstanden ist. Besondei' eS
Interesse erwecken die beiden Fenstergruppen in der West- uu a
Ostmauer. Jede derselben besteht aus drei spitzbogigen FeU'
stern, deren mittelstes höher emporsteigt als die zur Seite bd e'
genen. Die Gliederung der Fensterprofile ist ganz in romau 1'
scher Weise mit abgestuften Gewänden und Ecksäulchen erfolgh
aber die Fenster selbst sind schmal und schlank gezeichnet uu^
die Tendenz des Vertikalismus tritt unverkennbar hervor. LU
dieselben überdies mit ringförmigen Kämpfer- und Schlufsste’ 1'
nen besonders charakt.erisirt sind, das mittelste sogar durch e1'
nen steinernen Mittelpfosten zweitheilig gegliedert ist, so gu 30
sich diese ganze Formation als eine interessante und eigenthüiU'
liche Zwischenstufe zwischen den spätromanischen und den ah'

') Da das Westhaus vor der jetzt bewirkten Restauration sehr schwer zugängH 1' 11’
theilweis sogar vermauert war, so sind bei der Aufnahme einige Fehler gemacht wofd 0* 1’
welche erst später nach Vollendung des Stiches entdeckt wurden. Dahin gehört die
des westlichsten Gewölbes, welchc 10 ZoH statt 5 Zoll beträgt, ferner die Thatsache, d“ ls
die Arkaden dieses Joches init niedrigen Spitzbo’gen und nicht mit Rundbogen geschloss 0’)
sind und dafs das äufsere Westportal mit Rundstäben in den Ecken besetzt, also reid' 01
gegliedert ist, als dies die Zeichnungen des L'angenschnittes und Grundrisses angeben.

2) Vorbilder fiir dieses Syste.m mit sechskappigen Kreuzgewölben liefern: St. Apo sl°''
zu Cöln, der Dom zu Bremen und in nächster Nähe die Liebfrauenkirche zu Magdebtnb'
 
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