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Adler, Friedrich
Baugeschichtliche Forschungen in Deutschland (Band 1): Die Kloster- und Stiftskirchen auf der Insel Reichenau — Berlin, 1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.7766#0007
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3

Unter Waldo's Nachfolger, Hatto, der die kräftig sich
entwickelnde Klosterschule durch Vermehrung der Bibliothek
und Heranziehung tüchtiger Lehrer weiter zu fördern suchte,
empfing das Kloster von der Gunst Karl's des Grofsen wei-
tere Begabungen und Schenkungen, — darunter den Königs-
hof zu Ulm 18). Nach der Rückkehr von einer gesandt-
schaftlichen Reise nach Constantinopel begann Hatto um 813
den Neubau der Kloster-oder Münsterkirche zu Mittel-
zell und brachte sie im Jahre 816 so weit fertig, dafs eine
feierliche Einweihung erfolgen konnte 19). Bald darauf, 823,
legte Hatto die Abts- wie Bischofswürde nieder, um als
einfacher Mönch seine letzten Jahre in ruhiger wissenschaft-
licher Thätigkeit zu verleben.

Sein Nachfolger und Neffe Erlenbald leitete das Kloster
mit gleicher Tüchtigkeit; auch ihm verdankte die Bibliothek
erhebliche Bereicherungen, wozu die fortdauernden Verbin-
dungen mit Frankreich, mit Irland und Italien wesentlich bei-
trugen 2 °). Mit dem Bibliotheksvorsteher Reginbert, demselben
gewissenhaften Manne, dem wir das obenerwähnte werthvolle
Bücherverzeichnifs verdanken , wohnte Erlenbald 836 der
feierlichen Einweihung der durch Abt Gozbert neu erbauten
Klosterkirche von St. Gallen bei. Bei Gelegenheit der Voll-
endung dieses umfangreichen Klosterbaues, dessen glücklich
erhaltener Baurifs so wichtige architektonische Aufschlüsse
gewährt, um 850, — werden neben den Hofbaumeistern,
welche das Wohnhaus (aula) des Abtes mit Marmorsäulen
schmückten, in den Versen:

Aula palatinis perfecta est isla magistris
Insula pictores transmiserat augia daros*
zum ersten Male auch berühmte Maler von Reichenau er-
wähnt. Es ist zu beklagen, dafs wir über die speciellere Kunst-
pflege zu Reichenau so wenig unterrichtet sind22), ganz im
Gegensatze zu dem Treiben der St. Galler Klosterschule, von
welcher uns die Casus S. Galli bei Pertz II, 59—183 ein so
überaus anschauliches Bild entwerfen.

An der gesteigerten Reliquienverehrung jener Zeiten und
der Neigung, Märtyrerleiber zu besitzen, nahm auch Reichenau
schon unter Abt Erlenbald lebhaften Antheil. Ein zum Bischof
von Verona erhobener Mönch, Ratold, welcher der hohen
Stellung später entsagend, in sein altes Kloster zurückkehrte,
brachte 830 die Gebeine des heiligen Valens aus Italien mit.
In späterer Zeit wurde berichtet, dafs es nicht der Körper des
heiligen Valens, sondern der des Evangelisten Markus selbst
gewesen sei, welchen Ratold mit vieler Mühe und Gefahr
von Venedig aus erworben und um gefährlichen Ansprüchen
zu entgehen, unter dem verbergenden Namen des Valens der
Münsterkirche von Reichenau geschenkt habe 2 3). Die Ueber-
führung und Vereignung2 4) dieser ebensosehr bestrittenen,
wie vertheidigten Reliquie, welche noch vorhanden ist, hat auf
die bauliche Anlage der alten Münsterkirche von Mittelzell
grofsen Einflufs gehabt.

Die schweren und unruhevollen Zeiten unter dem schwa-
chen Ludwig dem Frommen veranlafsten Erlenbald schon im
Jahre 838 der Abtswürde zu entsagen. Ihm folgte Ruodhelm,
der ganz im Geiste seiner Vorgänger der Klosterschule seine
eifrige Fürsorge widmete. Unter den von ihm für die Biblio-
thek erworbenen Büchern ist die Handschrift eines Vitruv
erwähnenswerth25)) weü dadurch die Kenntnifs dieses Schrift-
stellers auch für Reichenau bezeugt und ein weiterer Anhalt
für das hier fortdauernd geübte Studium der klassischen Kunst
gewonnen wird.

An die mehrfachen Besuche Ludwig's des Frommen, sowie
seiner Söhne auf der Insel schlössen sich fast immer reiche
Schenkungen und begründeten den Wohlstand des Klosters26)

1") Oheim, 48 ff. Doch wird die Urkunde wohl mit Recht bestritten.
Die erste ächte Urkunde von Ludwig dem Frommen gewährt 815 dem
Kloster nur die üblichen Immunitäten.

I9) Herrm. Contr. ad a. 81G.

2°) Neugart, Ep. Const. p. 87 und 142. Schönhuth 38.

21) Canisii Lect. antiq. ed Basnage T. 2 p. 3, 228.

2I) Wahrscheinlich wegen des Verlustes von Ermanrich's Geschichte
von Reichenau, s. Stalin I, 407 und Neugart 158—59.

23) Herrm. Contr. ad a. 830. Dafs ein frommer Betrug hier vor-
liegt, ist unzweifelhaft. Erst fünfzig Jahre später brachten die Mönche
diesen kostbarsten Besitz ihrer Kirche zur allgemeinen Verehrung. Wat-
tenbach 189. Miracula S. Marci bei Mone Quellens. I, C4. Neugart
Ep. Const. 1, 130.

21) Gerbert, Iter alemannicum p. 202.

ä5) S. Reginbert's Verzeichnifs der Bibliothek bei Neugart 536-52.
,s) Oheim 5, 54 u. f.

so sehr, dafs es seitdem den Namen „Augia dives" mit Recht
führen konnte.

Nach Ruodhelm's freiwilligem Rücktritte übernahm Wala-
fried Strabo, der frühgereifte Schüler Hrabanus Maurus zu
Fulda, im Jahre 842 die Leitung des Klosters. Seiner Be-
gabung, wie seinem Eifer verdankte die Klosterschule ihre
höchste Blüthe, denn er war „einer der besten Lateiner
seiner Zeit, ein vielbewunderter Gelehrter und gewandter
Dichter"27). Angesehen bei Hofe, im engen freundschaft-
lichen Verkehr mit den hervorragendsten Zeitgenossen ent-
faltete er eine staunenswerthe Thätigkeit, zumal auf littera-
rischem Gebiete. Wichtiger als das Lob, welches ihm Herr-
mann der Lahme spendet, bleibt die Thatsache, dafs zwei
solche Männer, wie Otfried, der Weifsenburger Mönch und
der Anonymus von Einsiedeln 2 9) (sicherlich ein Reichenauer
Mönch), seine Schüler gewesen sind. Leider war Walafried's
Wirksamkeit sehr kurz. Er starb im Alter von 43 Jahren
auf einer im kaiserlichen Auftrage nach Frankreich unternom-
menen Reise im Jahre 849 2 9). Aber das durch seine Stel-
lung und Wirksamkeit für Reichenau erworbene ruhmvolle
Ansehen ging nicht mit ihm unter, sondern überlebte ihn
lange3 °). Von Walafried's Schülern stiegen mehrere zu hohen
kirchlichen Aemtern empor; so wurde Bernald Bischof von
Strafsburg, Ermanrich Bischof von Passau, Chadolo Bischof
von Novara und Wiching Bischof von Neutra31).

Freilich blieb das thatsächliche Sinken des karolingischen
Hauses in der zweiten Hälfte des IX. Jahrhunderts ebenso
wenig ohne Einflufs auf die Wirksamkeit des Klosters als
die durch Normannen-Verwüstungen und Araberangriife ernst-
lich bedrohte Lage des christlichen Abendlandes.

Die künstlerische Thätigkeit ruhte fast ganz; so in Rei-
chenau wie in Fulda und St. Gallen. Vermuthlich auch des-
halb, weil die wichtigsten Bedürfnisse für Gottesverehrung
und leibliche Existenz in einem schon monumentalen Sinne
— in Reichenau durch Hatto's Bauthätigkeit — befriedigt
waren. Dagegen flössen reiche Schenkungen von Karlmann
und Karl dem Dicken dem Kloster zu, von denen besonders
die reichen Güterzuwendungen am Corner See, darunter Grave-
dona und Tremezzo32) einen langdauernden, unmittelbaren
Verkehr des Klosters mit Oberitalien erheischten33). — Auch
an Reliquienerwerbungen fehlte es nicht. Im Jahre 871 ge-
langte der (in Reichenau später selbst angezweifelte) Körper
des h. Januarius auf die Insel und 910 ein Krug von der
Hochzeit zu Kana an, den der griechische Mönch Simeon Bardo
verkauft hatte34). Als jedenfalls ächte Reliquie wurde der
Körper des von Räubern in der Wildnifs des Oberlandes er-
schlagenen Meinrad, der im Kloster Reichenau gebildet, zu-
letzt als Klausner gelebt und dabei 861 seinen Tod gefunden
hatte, nach der Insel gebracht und dort bestattet35).

Im Jahre 888 starb nach einer wechselvollen und trau-
rigen Regierung in der Nähe des Bodensee's Kaiser Karl der
Dicke, Urenkel des grofsen Karl. Sein Leichnam kam nach
Reichenau und wurde als der eines Hauptwohlthäters an beson-
ders heiliger Stätte „by dem altar unser lieben frowen in
dem cor zu der rechten sitten36)" beigesetzt37). Noch
in demselben Jähre wurde Hatto als Abt erwählt, ein Mann
von Scharfsinn, Gewandtheit undThatkraft, mehr für die Welt

»*) Wattenbach 186.

28) Die bekannte Beschreibung Rom's, welche diesem ebenso gewissen-
haften wie kenntnifsreichen Pilger verdankt wird, ist bisher mehr für
die Topographie Rom's als für die Geschichte der römischen Baukunst
benutzt worden.

29) Herrm. Contr. ad a. 849.

30) Reichenau's Stellung und weitreichendes Ansehen lassen das Ne-
crologium in den Mi11h. d. antiq. Gesellsch. in Zürich VI. 2 sowie das
Confraternitätsverhältnifs mit anderen Klöstern und Brüderschaften bei
Mone, Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. 1835. 17 und 388
erkennen.

31) Vergl. Joh. Egon, de viris illustr. Mon. Augiae Majoris bei Pez.
Thes. Anecd. Nov. T. I, pars 3, p. 679 ff.

32) DUmge, Reg. Badens. No. 5 u. 9, auch Oheim 19 u. 62 ff.
Neugart II, 683. Besitzungen bei Mailand erwähnt Fumagalli cod.
dipl. S. Ambrog. p. 486. 542.

33) Diese Güter lieferten besonders Oel, Wein, Kastanien etc.

34) Wattenbach S. 189 und Schönhuth XVIII.

35) Herrm. Contr. ad a. 861. Dem über der Todesstätte Meinrad's
später gegründeten Kloster Einsiedeln wurde der Leichnam nach 178jäh-
riger Ruhe auf der Insel Reichenau wieder zurückgegeben.

36) Oheim 65.

37) Ueber das 1842 eröffnete Grab giebt Worsaae Ringstede 22
Note 1 die Mittheilung, dafs es auf dem Boden und an den Seitenwänden
mit blafsrothen durch Kitt verbundenen Backsteinen oder Ziegelplatten
ausgelegt gewesen sei.

1*
 
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