Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Adler, Friedrich
Baugeschichtliche Forschungen in Deutschland (Band 1): Die Kloster- und Stiftskirchen auf der Insel Reichenau — Berlin, 1870

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7766#0016
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mit farbigen Sandsteinschichten auf einfach abgeschrägten
Platten ruhende Eingangsbogen der Vorhalle. Genau diesel-
ben Kunstformen zeigt der Westbau der Münsterkirche, wel-
cher, wie unten nachgewiesen werden wird, im Jahre 1048
eingeweiht worden ist. Derselben Epoche, kurz nach der Re-
gierungszeit des Abtes Berno mufs die Vorhalle von Oberzell an-
gehören. Höchstwahrscheinlich auch der interessante Hochaltar
im Chore, dessen merkwürdige Rückseite Fig. 13 auf Bl. V
veranschaulicht. Dieser Altar ist ein steinerner Märtyreraltar
mit Grabkammer, welche durch eine einflügelige Eisenblech-
thür verschlossen und durch zwei kreisförmige Oeffnungen
beleuchtet wird. Die strenge Behandlung des auf zwei Stufen
stehenden und in den Verhältnissen sehr wirkungsvoll ge-
zeichneten Altars hat etwas Klassisches und erinnert an
Gräber der antiken Baukunst. Seiner seltenen Erhaltung
halber — denn auch die Thür ist noch intakt — verdient er
eine allgemeinere Beachtung. Mit Recht darf er dem be-
kannten Steinaltare im sogenannten „alten Dome" zu Regens-
burg an die Seite gestellt werden, zumal er sicher derselben
Zeit, der Mitte der XI. Jahrhunderts angehört.

Blickt man nun auf diese, aus inneren Gründen etwas
eingehender behandelte Erörterung zurück, so zeigt sich, dafs
abgesehen von ganz untergeordneten spätgothischen Zusätzen,
wie das rippenförmige Vierungsgewölbe, die letzten und jüng-
sten Bauformen an der Stiftskirche von St. Georg schon bis
in die Mitte des XI. Jahrhunderts hinaufsteigen, und dafs
alles Andere älter oder höchstens gleichzeitig zu setzen ist.
Da aber die Vorhalle nachträglich an die Westapsis ange-
lehnt ist, mufs diese nebst dem Langhause etwas älter sein.
Hierbei liegt nun, unter Berücksichtigung der geschichtlichen
Nachrichten des Klosters die Annahme nahe, dafs die so
aufserordentlich intensive wenn auch kurze Bauthätigkeit des
Abtes Witigowo, von 984—96, auch nach Oberzell hingewirkt
haben kann und dafs die so flüchtige — man kann fast sagen
liederliche — Herstellung des Langhauses seinem eilfertigen
Einflüsse zuzuschreiben ist. Nach seiner Absetzung, wo man
sich mehr Zeit liefs, kann dann die Westapsis, nebst dem
gut durchgeführten Hauptportale in einem etwas längeren Zeit-
räume erbaut worden sein; also um das Jahr 10! 0, wo Abt
Berno sich auch urkundlich als Pfleger und Wohlthäter von
Oberzell zu erkennen giebt. (Vergl. Note 72.) Da ganz Siche-
res sich nicht ausmachen läfst, so mufs es genügen, die vor-
handenen Schwierigkeiten hervorzuheben und auszugleichen.
Immerhin lassen sich durch die Uebereinstimmung der cha-
rakterisirten Bauformen mit denen in den benachbarten Di-
stricten zeitliche Grenzwerthe gewinnen , welche die aus
willkürlichen Schätzungen oder aus theoretischen Conslructio-
nen so leicht hervorgehenden Irrthümer für die Chronologie
behindern oder in sehr enge Grenzen bannen. Dafs schliefs-
lich die östlichen Theile noch Reste des alten Stiftungsbaues
sind, wird, wie ich hoffe, nach vollständig und offen dar-
gelegter Analyse kaum noch zweifelhaft erscheinen.

Zu vielem Eigenartigen und Werthvollen, was diese kleine
Stiftskirche bietet, gesellt sich schliefslich als das Interessan-
teste das Wandgemälde, welches die Aufsenseite der West-
apsis innerhalb der Vorhalle schmückt. Dasselbe ist nach
den mir gewordenen Mittheilungen im Jahre 1846 durch
den Glasmaler Stantz zu Konstanz aufgedeckt worden. r,s)
Als ich es 1859 zum ersten Male sah, hatte es bereits
etwas gelitten Abgesehen von kleinen Lücken in der Mitte,
fehlte die untere Hälfte der untersten Zone zur Rechten.
Hie und da waren auch die Farben verblichen, und' manches
nur bei vorsichtigem Anfeuchten genauer zu erkennen. Den-
noch konnte innerhalb einiger Tage eine auf Hauptmaafse
gegründete Zeichnung angefertigt und mehre Figuren auf
der Wand selbst durchgezeichnet werden. 1 14) Die bei der
Kostbarkeit des Farbendrucks nicht ohne Schwierigkeit be-
wirkte und hier erfolgende Publication, bedarf nachsichtiger
Beurtheilung, weil die Originalzeichnung nicht — wie ich es

des mittleren Steinpfeilers mit einer Kehle versehen. Dies ist unrichtig;
es mufs dafür eine fein abgesetzte aber kräftig zurückspringende Ab-
sehrägung angenommen werden.

ll3) Waagen, der vor allen anderen berufen gewesen wäre, über
dieses Bild kunstgesehiehtlich sich zu äufsern, hat dasselbe leider nie ge-
sehen, weil er durch einen Zufall überhaupt nicht nach Oberzell gelangt
ist. Vergl. Kunstblatt 1848 a. a. O.

,14) Die Originalzeiehnung, sowie die Durchzeichnungen besitzt jetzt
das Königliche Kupferstich-Cabinet zu Berlin.

sehr gewünscht — vor dem Bilde noch einmal hat retonchirt
werden können, sondern nach einzelnen Farbenskizzen zu-
sammengestellt werden mufste.

Das Bild stellt den Beginn des jüngsten Gerichts
dar. Die Composition ist in alterthümlicher Weise mit sym-
metrischer Anordnung in drei Horizontalstreifen reliefartig
übereinander gegliedert. Davon nehmen die Auferstehenden
den unteren, Christus nebst Maria und den Aposteln den
mittleren, und fliegende Engel den oberen Streifen ein.

In der Mitte, von einer doppelten Mandorla umgeben,
thront Christus feierlich streng als Weltrichter. Sein bartloses
Gesicht ist schwarz wie die Brust, Hände und Füfse. Das
Haupt umgiebt der kreuzbelegte Nimbus, die Füfse stehen
auf der Weltkugel, die ausgebreiteten Hände zeigen die Wun-
denmaale. Das grüne Untergewand besitzt gelbe und rothe
Umrisse; der Mantel ist hellgelb und roth gerändert; den
weifsen Nimbus theilt ein schwarzes sternenbesetztes Kreuz.
Der Raum zwischen den beiden Mandorlen ist ultramarin
oder lasurfarben, der schmale innerste Grund wieder hell-
grün. Die breiten schwarzen Ränder der Mandorlen waren
früher mit (wahrscheinlich vergoldeten) Sternen aus Bronze-
oder Silberblech reich geschmückt. Doch sind diese Sterne
nicht mehr erhalten, sondern nur die Umrifslinien, sowie die
Löcher der herausgebrochenen Dübel im Putze sichtbar. Die
gleichen Spuren in der Zone zwischen den Apostelköpfen
und neben dem Crucifixus lassen auf denselben Schmuck auch
an jenen Stellen schliefsen.

Links von dem Weltriehter steht Maria, zu ihm hinauf-
blickend, — die linke Hand bittend erhoben, die rechte zum
Petrus hinabgesenkt, — offenbar als Fürbitterin. Sie ist ge-
kleidet wie ihr Sohn und steht auf Wolken. In der Gröfse
übertrifft sie die Apostel, doch ist sie selbst beträchtlich klei-
ner als Christus. Neben beiden — dem Sohne und der Mut-
ter — durchfliegen den. oberen Streifen, der aus zwei Zonen,
einer grünen und einer schwarzen bestehe, vier Engel. Alle
tragen weifse Unterkleider und hellgelbe Obergewänder; ihre
weifsen Schwingen sind schwarz gesäumt. Zwei der Engel
blasen auf gekrümmten Hörnern, um die Todten zu erwecken
und die Erscheinung des Richters zu verkünden. Zwei an-
dere schweben herbei, dem Herrn das Buch des Lebens und
das Buch der Schuld zu bringen. Der fünfte, welcher in der
Composition das Gegengewicht zur Maria bildet, ist rechts
vom Heilande herabgestiegen, um neben dem Throne das
Golgathakreuz aufzurichten.

Den zweiten Hauptstreifen, welchen drei Farbenzonen
bilden, eine blaue, eine grüne und eine weifse, nehmen die
zwölf Apostel ein, sechs zur Rechten, sechs zur Linken.
Alle halten Bücher in den Händen mit Ausnahme von Petrus,
welcher den Schlüssel führt. Sie sitzen in völlig antiker
Tracht auf einer durchgehenden, gelb gefärbten Bank. Ihre
Haltung ist feierlich, fast steif, doch lassen Geberden des
Staunens und Schreckens ihre innere Theilnahme erkennen.
Ihre Füfse reichen zu einem gürtelartig ornamentirten Band-
streifen hinunter, welcher in charakteristischer Sonderung die
beiden oberen Streifen, den Himmel, von dem untersten, der
Erde, trennt.

In diesem sind wieder zwei Farbenzonen angeordnet,
eine blaugrüne und eine weifse. Auf jeder Seite sieht man
sechs Auferstehende in lebhafter Bewegung nach oben flehend,
sich anrufend, emporzeigend. ' 1 5) Zwei derselben, wahr-,
scheinlich Priester, heben mit ihren von Gewändern verhüll-
ten Händen gemeinschaftlich einen Kelch empor. Andere er-
heben sich aus den plattenförmig umstellten Gräbern.

Unter dem Weltrichter befindet sich die oben erwähnte,
auf vorgekragten Consolsteinen ruhende, erkerartige Bogen-
nische. In ihrem Grunde ist die Kr uzigung dargestellt.
In trauernder Geberde mit dem Evangelienbuche steht rechts
Johannes, links mit klagend erhobenen Händen Maria. Beide
sind gleichmäfsig gekleidet, ihre Gesichter, Hände und Füfse
wieder schwarz gefärbt. In diesem kleinen Bilde erscheint
der hagere Körper des Heilandes weifs mit rothen Umrissen,
röthlichen Haaren und weifsem Lendenschurze bekleidet. Die
Füfse sind mit zwei Nägeln befestigt, der Nimbus ist blut-
roth Das Kreuz ist goldgelb; neben demselben finden sich

,l5) Von der rechten Hälfte sind nur Bruchstücke — Köpfe und
Arme — erhalten, doch genügend, um die Unterkörper in der Zeichnung
annähernd richtig zu ergänzen.
 
Annotationen