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Adler, Friedrich
Baugeschichtliche Forschungen in Deutschland (Band 1): Die Kloster- und Stiftskirchen auf der Insel Reichenau — Berlin, 1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.7766#0017
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13

die Spuren ausgebrochener Metallscheiben. Der Hintergrund
dicht neben dem Kreuze ist blau, der entferntere grün.

Die Gesammtcomposition ist klar und übersichtlich geord-
net; die einzelnen Motive sind verständlich gefafst und leicht
erkennbar. Doch ist von einer tieferen Durchdringung oder
Beherrschung des grofsartigen Vorwurfs keine Rede. Die
Zeichnung der einzelnen Gestalten ist incorrekt und zeusrt
besonders in den Händen und Füfsen von geringem Natur-
studium. In der Verschiedenheit des Maafsstabes erkennt man
den naiven Sinn, und doch in der nicht mehr unsicheren
Linienführung eine gewisse praktische Routine. Die Mager-
keit der Gesichter, die lichte Farbenstimmung, sowie die Vor-
liebe für farbige Hintergründe lassen eine byzantinisirende
Richtung erkennen, welche im Hinblick auf die so viel freiere
Behandlung in sicher datirten Bildern des XII. Jahrhunderts,
nur noch dem XI. Jahrhundert angehören kann. Die auf-
fallende schwarze Färbung aller Fleischtheile (mit Ausnahme
des gekreuzigten Christus) ist nicht einer chemischen Farben-
veränderung oder späteren Uebermalung zuzuschreiben, son-
dern ist, wie eine mehrfache Prüfung gelehrt hat, von Anfang
an hergestellt worden. Der Maler scheint damit in kindlich
naiver Weise eine dem Zwecke des Bildes besonders ent-
sprechende Wirkung beabsichtigt zu haben. 1 16)

Oberhalb des ganzen Bildes zieht sich unter der Decke
ein plastisch gemalter Mäander hin, dessen Farben leider so
sehr gelitten haben, dafs die ursprüngliche Gliederung nur
unsicher zu erkennen ist. Doch unterscheidet man in dem-
selben rechts und links vom Weltrichter zwei Köpfe von
Ringen umschlossen und durch die Farbengebung bestimmt
charakterisirt. Ueber der Maria schwebt ein schwarzes Haupt
mit rothem Schleier in grüner Luft, von einem gelben Ringe
umschlossen; neben dem Kreuze erscheint ein schwarzes Ge-
sicht, schwarz umringt auf weifsem Grunde, beides offenbar
Sonne und Mond.

Da die Wandkrönung in den Ecken schräg emporsteigt
und in der Mitte horizontal fortläuft, so ist mit Sicherheit
zu vermuthen, dafs die ursprüngliche Holzdecke diese Ab-
grenzung erforderte, also wohl Seitenconsolen oder Sattel-
hölzer besafs. Ebenso berechtigt ist der Schlufs, dafs das
Wandbild nie ohne eine schützende Vorhalle existirt hat,
sondern frühestens nach Vollendung derselben gemalt sein
kann. Nach den bauanalytischen Untersuchungen würde hier-
nach ein Datum von der ersten Hälfte des XI. Jahrhunderts
als frühester Ausgangspunkt festzuhalten sein.

Die Färbung der unteren Wandtheile ist theils zerstört,
theils durch Ueberweifsung unkenntlich geworden. Die hier
gegebenen Färbungen in Linien und Mustern sind daher
restaurirt worden, aber genau nach den Resten, welche noch
in der Kirche, über dem hölzernen Gewölbe des Chores, so-
wie über den Seitenschiffsdecken befindlich sind. Nach der
gut erhaltenen Chorwandkrönung (vergl. Bl. V, Fig. lfi) ist
beispielsweise das Archivoltenschema über dem scheitrechten
Thürsturze erneuert worden, ein Versuch, der um so gerecht-
fertigter sein dürfte, als die Farbenreste des Innern, Mäander-
und Torusbänder etc. im Maafsstabe, in der Farbenskala, wie
in der technischen Behandlung mit den entsprechenden Thei-
len des äufseren Bildes völlig übereinstimmen.

Das Wandbild selbst ist auf der feinkörnigen Oberfläche
des -J — 1 Zoll dicken und aus mehren Lagen bestehenden
Putzes in lichten Tönen aufgemalt worden; Lasuren und ab-
gestufte Schatten sind nicht vorhanden. Bemerkenswerth ist
die Thatsache, dafs in dem unteren Streifen, grade hinter den
Auferstehenden, eine 6 Zoll hohe Eichenbohle rings um die
Apsis läuft, doch an dem erkerartigen Wandbogen auf jeder
Seite aufhört. Wahrscheinlich sind mehre derartige zur Ver-
ankerung zwischen dem Fündlingsmauerwerk dienende Holz-
strukturen vorhanden, aber ohne Zerstörung des Putzes schwer
aufzufinden.

Die Beleuchtung, welche das Bild empfing, war stets
eine mäfsige; denn einmal waren an der Nordwand der Vor-
halle keine Oeffnungen vorhanden und andrerseits ergaben
die tief unten angelegten Pfeilerdoppelarkaden der Südwand
nur ein ungünstiges Refiexlicht. Das einzige direkte Streif-
licht wurde von zwei kleinen hochsitzenden Fenstern der
Südseite gegeben, doch war dies bei der Kleinheit der Licht-

116) Diese eigenartige Farbengebung erinnert an die ältere griechische
Vasenmalerei mit schwarzen Figuren auf rothem Grunde.

Öffnungen so knapp bemessen, dafs man wahrscheinlich die
einzelnen Figuren nur in eben genügender Weise von unten
her erkennen konnte. Freilich ist es sicher, dafs diese däm-
merhafte Beleuchtung mit aller Absicht gewählt und aus-
geführt worden ist. Sie entsprach dem ethischen Zwecke des
Bildes am besten. Denn die Vorhalle diente speciell zum
Aufenthalte für solche Christen, welche der Kirchenbufse ver-
fallen und von dem Eintritte zum Gotteshause ausgeschlos-
sen waren. Ihnen gestattete man vor der verschlossenen
Pforte mittelst der beiden kleinen Doppelarkaden in der
Westapsis eine indirekte Theilnahme an dem Gottesdienste,
an seinen Gesängen und Opfern; aber man zeigte ihnen auch
hoch oben in halber Dämmerung in der Darstellung des jüng-
sten Gerichts das Ende aller irdischen Dinge. Dafs aber eine
solche Darstellung volksthümlich war, und dem germanischen
Gemüthe tief zugesagt hat, läfst schon die Vorliebe erkennen,
mit welcher der erhabene Stoff des jüngsten Gerichts im
Heliand und Muspilli von Seiten der ältesten deutschen
Dichter behandelt worden ist. ' '')

Es erklärt sich nach dieser kurzen Erläuterung die be-
sondere architektonische Anlage, sowie die speciellere Glie-
derung der Vorhalle und der Westapsis in ungezwungener
Weise. Die Darstellung des jüngsten Gerichts ist sehr oft von
der mittelalterlichen Malerei in den Klöstern behandelt und
einzelne später immer wiederkehrende Motive aus derselben
sind frühzeitig und dauernd festgestellt worden. Indessen liegt
eine Darlegung des stattgehabten Entwicklungsganges aufser-
halb der Grenzen dieser Arbeit. Ich erinnere nur daran,
dafs ein in St. Gallen befindlicher Codex, von Keller und
Waagen in den Mittheilungen der Antiquarischen Gesell-
schaft von Zürich (Band VII) behandelt, schon im VIII.
Jahrhundert die Darstellung eines jüngsten Gerichts in
echt irischer, halbroher Auffassung liefert. In dieser Mi-
niaturmalerei ist die allgemeine Anordnung schon mit dem
Oberzeller Bilde verwandt, denn Christus ist sitzend darge-
stellt, neben ihm zwei blasende Engel und unten in zwei
Reihen die zwölf Apostel mit Büchern in den Armen. Ein
Jahrhundert später giebt das aus St. Denis stammende gol-
dene Buch von St. Emmeram zu Regensburg eine wesentlich
andere und künstlerischere Auffassung desselben Vorwurfs
zu erkennen. Aus dem X. Jahrhundert scheint nach dem
frühen Untergange der vielgerühmten Wandmalereien von
Petershausen keine Darstellung mehr vorhanden zu sein.
Dem XI. Jahrhundert glaube ich das hier publicirte Bild aus
den oben entwickelten Gründen zuschreiben zu müssen, und
zwar vermutlich bald nach dem Tode des Abtes Berno und
Herrmann des Lahmen, also um 1060.

Wenn man sich nun erinnert, dafs in St. Gallen schon
frühzeitig (im IX. Jahrhundert) die Mönche von Reichenau
als berühmte Maler beschäftigt wurden, so ist es interessant,
wenigstens aus einer Schriftstelle zu ersehen, dafs auch in
St. Gallen bald nach der Herstellung des Bildes von Ober-
zell das jüngste Gericht als Wandgemälde in einer Vorhalle
gemalt worden ist. Es heifst vom Abt Manegold in den
Casus S. Galli bei Pertz II, 161: ^Fuit etiam ornamentorvm
ecclesie saneti galli talis amator, quod praeter alia ornamenta,
quae ei reparavit, etiam lacunar illud, quod est extra c hör um
de materia genealogie Christi depingeret et diem judicii
in muro bonis coloribus ordinaret." Offenbar handelt es sich
um die Wiederherstellung der älteren bemalten Holzdecke eines
vor dem Chore belegenen Vorraumes, und um die Neumalerei
des jüngsten Gerichts in guten (d. h. als dauerhaft bekannten)
Farben an der Mauer daselbst. Zweifelhaft bleibt nur, ob
dieses Wandbild an einer Seitenmauer oder an der Chormauer
befindlich war. Mit Rücksicht auf die Bedeutsamkeit des
Gegenstandes scheint mir die Chormauer und zwar an ihrer
Aufsenseite den Vorzug zu verdienen, zumal ein so nahelie-
gendes, zutreffendes Analogon in der Vorhalle von Oberzell
jetzt vorhanden ist. Jenes Wandbild von St. Gallen ist um
das Jahr 1125 ausgeführt worden, also bald nach dem Auf-
hören des schweren päpstlich-kaiserlichen Kampfes, während
das Reichenauer Bild noch sicherlich vor dem Beginne des
verheerenden Bürgerkrieges — zwischen 1060—1080 — her-
gestellt worden ist. Durch die Combination jener Schriftstelle
mit dem Oberzeller Bilde wird aufs Neue der innige Zu-

1 ") Rettberg TT, 803. Gervinus T, 77.
 
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