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Adler, Friedrich
Baugeschichtliche Forschungen in Deutschland (Band 2): Früh-romanische Baukunst im Elsass — Berlin, 1879

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https://doi.org/10.11588/diglit.7767#0011
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dach deckt jetzt die drei Schifte. Die inneren Arkaden,
fünf auf jeder Seite, ruhen theils auf Säulen, tlieils auf
Pfeilern. Diese Stützen sind so geordnet: im Westen zwei
Hälbsäulen, dann zwei achteckige Pfeiler, dann zwei Säulen,
dann wieder zwei achteckige Pfeiler und zuletzt nach Osten
zwei lauggezogene Oblongpfeiler, welche wahrscheinlich die
alte — seit dem gothischen Chorbau verschwundene —
Querschiffs- bezw. Choranlage einleiteten. Als Krönung der
Säulen und Achtcckspfeiler erscheinen überall Würfelkapitelle
mit einer fein gegliederten Deckplatte, die aus Abakus, zwei
Wellen und einer Hohlkehle besteht. Die prismatisirte Halb-
kugel, welche den Echinus ersetzt , ist noch sehr streng
gebildet und ohne Halsring. Die attischen Basen sind zwar
sehr beschädigt, dennoch erkennt man bei genauerer Prü-
fung, dafs Eckblätter nicht vorhanden waren. Mit dieser
älteren Formcnbchandlung stimmen auch die Arkadcnbogcn
überein, sie sind breit aber weder abgestuft noch abgefast.
Ueber ihrem Scheitel zieht sich in etwa O,ü0 m. Höhe ein
Schiniegengesims cutlang.

Der vier Stock hohe Thurm ist im Erdgeschosso wieder
als tonnengewölbte Vorhalle geöffnet. Eine etwas lebendi-
gere Gliederung tragen schon die Scitenwände; sie sind mit
gepaarten Blendarkaden auf Pflastern besetzt. Für die Letz-
teren sind Schmiegenkapitelle und Basen in der Form von
umgekehrten Würfelkapitellen charakteristisch. In den obe-
ren Stockwerken scheint der Thurm drei Mal gepaarte Klang-
arkaden besessen zu haben; leider sind diese Theile sehr
verändert. Das untere Stockwerk ist aus trefflich behauenen
Quadern mit abgeschrägtem Sockel errichtet. Aus der struc-
tiven Fügung ergiebt sich die Gleichzeitigkeit der Bauaus-
führung von Thurm und Kirche. Au einer Südthür sind
noch die alten halbmondförmigen Eisenbeschläge wie in dem
benachbarten St. Jean-des-Choux vorhanden.

Die Bauzeit für die alte Anlage — einschliefslich dos
Thurmes — darf wegen der alterthümlichen Formcnbehand-
lung mit grol'ser Wahrscheinlichkeit auf das zweite Viertel
des XI., die für den Chor auf die Mitte des XV. Jahrhun-
derts gestellt werden.

8. Die Doppelkapelle zu Neuweiler.

Diese originelle mit dem Chore der Stiftskirche St. Peter
und Paul in östlicher Richtung unmittelbar verbundene Bau-
anlage hat schon seit längerer Zeit die Aufmerksamkeit der
französischen wie deutschen Kunstforscher erregt und zu
vielfachen Discussionen, namentlich über ihre Entstehungs-
zeit geführt.25) Leider ist eine genaue bautechnische Unter-
suchung nicht mehr möglich, da die 1862 bewirkte, sehr
sorgfältige Restauration von Boeswilwald wichtige aufschlufs-
gebendc Punkte unzugänglich gemacht hat.

Die Figuren 13—15 auf Blatt II geben den Grund-
rifs der Untercapelle, den Querschnitt nach Osten gesehen
und ein Kapitell der Obercapelle. Jetzt ist die basiliken-
artige Obercapelle dem heiligen Sebastian, die ursprünglich
als Krypta hallenförmig angelegte Untercapelle der St. Katha-
rina gewidmet.

Dal's der Cultus dieser Heiligen nicht von Anfang an
hier geübt, sondern nach dem Aufhören eines älteren nach-
träglich eingerichtet worden ist, leidet keinen Zweifel, weil
die Verehrung der heiligen Katharina erst in Folge der
Kreuzzüge aus Alexandrien und dem Sinai nach dem Abend-
lande sich verbreitet hat. Ihr geweihte Kirchen und Capellen
erscheinen in Deutschland erst um die Mitte des XII. Jahr-
hunderts. Der ganze Bau ist aber zweifellos älter.

25) Die stattliche Litteratur über die Stiftskirche und ihren Annex
ist bei Kraus 1. 1G9 verzeichnet. Auch Abbildungen daselbst, sowie
bei Viollet-le-Due. Dict. II, 452 u. IX, 144. Die beste Darstel-
lung von Boeswilwald in den Archives d. 1. comniiss. I. mit
4 Tafeln; älter und minder genau bei Klein, Savcrnc et ses environs.

Die Untercapelle bildet eine kleine dreischiffige Hallen-
kirche21') von vier Jochen mit drei im Osten unmittelbar
angeschlossenen, sehr tief gelaibten Apsiden. Scharfgratige
Kreuzgewölbe auf Gurten bilden die Decke des Langhauses,
Tonnen und Halbkuppeln die der drei Chöre. Die Stirn-
bügen der Apsiden sind aus abwechselnd rothen und weifsen
Sandsteinquadern hergestellt. Ringsherum an den Wänden
(auch an den Wandstirnen der Apsiden) stehen 14 Hälb-
säulen , in der Mitte 6 Vollsäulen. Beide Sorten sind gleich-
mäfsig gestaltet, — der kleine Unterschied, dafs die Basen-
plinthen der Mittelsäulen etwas niedriger sind, als die der
Hälbsäulen, fällt nicht ins Gewicht — mit steilen attischen
Basen auf Plinthen und einfachen rundschildigcn Würfel-
kapitellen ohne Halsring, mit dem Schmiegengesims als
Deckplatte. Dieses Gesims bildet auch den Kämpfer der
sich anschliefsenden Wandtheile.

Das Wichtigste bei der Kleinbauanlage ist ein beson-
deres Moment in der Grundrifsdisposition, welches bisher
übersehen worden ist. Das auffallend breite Mittelschiff ist
mit oblongen Kreuzgewölben bedeckt, deren Anordnung
selbstverständlich zu allerlei technischen Compromissen bei
der gleichen Höhenlage der Scheitel und der Kämpfer nöthigte.
Hieraus erklären sich: die Stutzung der Quergurte, die
Stclzung der Längsgurte und die Stechung der Kreuzkappen.
Dieses eine Moment: Verwendung oblonger Kreuzgewölbe
entscheidet für eine relativ späte Bauzeit. Die Capelle kann
frühestens dem Schlüsse des XI. Jahrhunderts angehören,
obschon ihr Formencharakter aus irgend welchen, ökonomi-
schen oder individuellen Gründen die Ilauptzüge der früh-
romanischen Baukunst aus der ersten Hälfte desselben Jahr-
hunderts noch vollständig bewahrt hat. Vom X. Jahrhundert
zu sprechen,27) konnte unter Sachverständigen nur Viollet
le Duc beifallen, der die mittelalterliche Baukunst Deutsch-
lands nur sehr oberflächlich kennt.

Die Obercapellc ist gleichzeitig erbaut. Sie stellt eine
kleine, im Mittelschiffe sehr hochräumige Basilika mit drei
Apsiden dar und besitzt weder Wandpfeiler noch Hälbsäulen
mit Schildbögen. Dadurch ist eine völlig verschiedene, brei-
tere und luftigere Raumwirkung gewonnen, als in der Unter-
capelle, wie solches ein prüfender Blick auf den Querschnitt
Fig. 15 sofort erkennen läl'st. Sonst waltet auch hier eine
ökonomische Sinnesweise. Die Mittelsäulcn sind niedrig und
etwas feist gezeichnet; sie besitzen wenig ausladende attische
Basen ohne Plinthen und tragen vollständig skulptirte Wür-
felkapitelle, deren Rundschilden bereits die Einfassung,
ja selbst der Rand fehlt. Dieses Moment bestätigt auch
in formaler Beziehung das oben festgestellte relativ späte
Datuni. Die Deckplatten sind mit laufenden Ranken und
Blättern, die Knäufe selbst in altirischem Geschmacke mit
Drachen, Ranken und Geriemsel geschmückt. Vergl. Fig. 13.
Die Arbeit zeugt von Fleifs und sicherem Geschicke; der
Charakter der verwertheten Motive trägt alte Züge, aber die
Sicherheit ja die Flottheit der Technik spricht sofort für eine
jüngere Zeit.

Der Eingang zur Obercapellc liegt um einige Stufen
höher als der Chor der Stiftskirche und die Thür ist, —
was gleichfalls als eine festgehaltene ältere Reminisccnz zu
bezeichnen ist — mit einer grofsen Oberschwelle bed' i.
welche ein Keilbogen entlastet.

Neben dem Mittelschiffe der Untercape1'^ liegt nach
Westen ein niedriges tonnenüberwölbtes S arium, zu dem
9 Stufen hinaufführen. Noch weiter »östlich — vergl. den
Grundril's Fig. 14 — befindet ein zweiter, sehr schma-

26) Eine Aiiord'"*'ig, für welcho schou altere Vorbilder nach-
weisbar sind z V* 1) >St. Bartholomäus- Capelle zu Paderborn, von
Meinwerk i»i7 — 1020 , 2) die Krypta zu Limburg a/H., von Poppo
1030 — 3» erbaut u. v. A. Die Angabe bei Kraus 173, dafs beide
(':,,.. ..on Basiliken sind, ist ein Flüchtigkeitsfehler dieses sonst so

östlichen Buches, der sich leicht hätte vermeiden lassen.

27) Vioilet-lc-Duc. Dict. II, 451.

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