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Adler, Friedrich
Baugeschichtliche Forschungen in Deutschland (Band 2): Früh-romanische Baukunst im Elsass — Berlin, 1879

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https://doi.org/10.11588/diglit.7767#0017
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13

Schlüsse dos XII. Jahrhunderts seine höchste Höhe.54) Ein
großartiger neuer Chorbau, dessen Weihung Bischof Hein-
rich von Basel 1216 vollzog,55) erinnert noch heut an diese
Glanzzeit des Klosters. Von da ab ging es wie bei so vie-
len klösterlichen Stiftungen rasch bergabwärts. Im Jahre
1284 stürzte wegen unterlassener baulicher Fflego das Dach
der Capelle am Weiher zusammen, ohne dafs der Abt gleich
die Mittel zur Erneuerung gefunden hätte. — Der Bauern-
aufstand im Anfange des XVI. und die schwedische Invasion
im XVII. Jahrhundert untergruben den Wohlstand fast voll-
ständig; das weltlich - üppige Leben der Stiftsherren nahm
den Rest. Mehr als 100 Jahre lang stand das Langhaus der
grofsen Stiftskirche ohne Dach. Kurz vor der Aufhebung
verlegte das Stift seinen Sitz nach Gebweiler; indessen
erfolgte die vollständige Säcularisation 1764 durch Papst
Clemens VIII. Die zum deutschen Reiche gehörigen Be-
sitzungen blieben noch in lockerem Verbände zusammen,
dann wurden auch sie eingezogen; der letzte Abt Benedict
von Andlau starb 1838 in Eichstädt.

Von der grofsen Klosterkirche ist jetzt nur noch der
Ostbau erhalten, den, nach einer Braun'schcn Photographie
gezeichnet, Blatt IV. Fig. 1 zur Darstellung bringt. Glück-
licher Weise fehlt es nicht an einer ergänzenden Darstel-
lung, welche die Structur des Langhauses veranschaulicht.
Sie wird hier in Fig. 2 nach einer Silbcrmann'schen Zeich-
nung aus dem Jahre 1745, welche Piton und Winterer be-
reits publicirt haben, 6(fJ eingeschaltet, weil ohne dieselbe
eine sichere Charakterisirung des merkwürdigen, unter den
romanischen Denkmälern des Elsasses den ersten Platz ein-
nehmenden Bauwerks unmöglich ist.

Der aus trefflich behauenen Sandsteinquadern in grolsem
Maafsstabo angelegte Bau bestand aus einem dreischiffigen
ungewölbten basilikalen Langhause auf Pfeilerarkaden, und
dem gleichfalls dreischiffigen durchweg gewölbten Ostbaue.
Eine oblonge Vierung, von zwei stattlichen Thürmeu fian-
kirt, trennt Chor und Langhaus. Der Chor selbst ist platt-
geschlossen und wird von zwei ebensolchen Nebenchören
begleitet, die in der Form von Doppelcapcllen angelegt, sich
nach innen durch Arkaden öffnen.5 7) Zwei offene Vorhallen
LA) an der Ostseite (die südliche ist verbaut) führen in
tonnenüberwölbte Erweiterungen der Kreuzflügel und von
dort mittels besonderer Treppen zu den Obercapellen. Die
Wichtigkeit dieser Letzteren für die liturgische Praxis hat
jedenfalls zu der ebenso kostbaren wie eigenartigen Anlage
des Ostbaues geführt.

Das untergegangene Langhaus war, wie die Silbermann'-
sche Zeichnung zweifellos erkennen läfst, ungewölbt. Rund-
bogige Arkaden von nicht unbedeutenden Abmessungen trugen
die durch zahlreiche Fenster beleuchteten Obermauern. Die
Westfront schlofs ein Steingiebel, dessen Obergoschofs mit
Eck- und Mittellesinen, durch Bogenfriese verbunden, sehr
einfach gegliedert war. Einige Säulenfragmente, deren Maars-
stab und Arbeit auf eine Herkunft von der Kirche hinweist,
gestatten die Vermuthung, dafs eine überwölbte nach aufsen
geöffnete Vorhalle vorhanden war, wie solche auch in dem
benachbarten Lutenbach und in Maursmünster erscheint. 58)

54) Das BücheryerzeicbnifS aus dem XV. Jahrh. spricht rühmlich
für den Sammeleifer und die Bildung der Mönche. Ein™ besonderen
Ruhm hat Marbach dadurch erlangt, dafs Beatus Rhenanus 1515 in
der Klosterbibliothek das — letzte — Exemplar des Vellejus Pater-
culus fand.

55) Grandidier a.a.O. LXXIV.

56) Piton, Strassbourg illustre II. 75 u. Winterer, L'abbaye
de Murbach.

57) Diese Planbildung des Chores scheint auch in Niedermünster
vorhanden gewesen zu sein. Sie ist überhaupt typisch für Bauten
aus der Hirsauer Bauschule; für d. XI.—XII. Jahrhundert erinnere
ich an Hirsau St. Peter u. St. Aurclia; Allerheiligen in Schaffhausen,
Petersberg bei Erfurt u. A.; für d. XII. Jahrh. an: Bosau, Breitenau,
Paulinenzelle, Schwarzaeh, Petersberg bei Halle u. A.

58) Das älteste mir bekannte Beispiel, eine überwölbte Vorhalle
mittels offener Arkaden als Eaeaden - Motiv zu verwerthen, hat der
berühmte Poppo in der Klosterkirche von Limburg a/H. um 1030 auf-
gestellt. Von dort aus ist es zuerst im unteren Elsafs adoptirt und

Das Chorquadrat, die Vierung und die Nebenchöre in
zwei Geschossen sind mit Kreuzgewölben (aus Bruchsteinen)
auf schweren viereckigen Werksteinrippen ohne Schlufssteine
bedeckt. Die Rippen ruhen — Fig. 4 — auf Eckdienston
mit theils axial, theils diagonal gestellten Würfelknäüfen,
deren Glieder mit geringer Variation als Kämpfergesims rings
umlaufen. Diese Eckdienste erheben sich nicht vom Fufs-
boden, sondern fangen erst in bedeutender Höhe kegelförmig
an, — ein sicherer Beweis, dafs anfänglich scharfgratige,
nicht rippenförmigo Kreuzgewölbe beabsichtigt waren und
dal's die jetzigen Gewölbe ein späterer Zusatz sind. Die
beiden Obercapellen der Nebenchöre öffnen sich jederseits
durch zwei Doppelarkaden, welche von einer Zwergsäule mit
weit ausladendem Sattelsteine — ähnlich den Zwcrgsäulen
an Klangarkaden — getragen werden. Im Erdgeschosse sind
diese Nobenchörc mittels einfacher Arkaden mit dem Haupt-
chore verbunden. Ihre einfache Ueberwölbung besteht aus
zwei scharfgratigen Kreuzgewölben, welche ein Qucrgurt
trennt. In gleicher Weise ist die Deckung der Obercapellen
bewirkt ; doch ruht hier der trennende Gurt an clor Wand
auf Halbsäulen, mit Würfelkapitellen und zehenbesetzten
attischen Basen. Auch sind hier die Gurte und Schildbögen
elliptisch gestaltet. Zweifellos sind diese Gewölbe alt und
aus der ersten Bauzeit von 1139.

Die inneren Erweiterungen südlich und nördlich von
den Thürmen sind gleichfalls zweigeschossig angelegt und in
beiden Geschossen mit Quertonnen überwölbt. Die zum
Querschiffe gezogenen Quadratjocho unter den Thürmen be-
sitzen Kreuzgewölbe auf Quadratrippen, die von Diensten
mit diagonal gestellton Würfelknäufen getragen werden und
in den Basen wie Kämpfern die Gestaltung der Details im
Hauptchore und der Vierung, welche Fig. 5 vorführt, wieder-
holen. Die Westseite der Vierung lehrt, — in Ueberein-
stimmung mit Silbcrmanns Zeichnung — dafs das Langhaus
nie gewölbt war; eine fernere Bestätigung bieten einzelne
noch erhaltene grofse attische Pfeilerbasen. Leider ist eine
sichere Entscheidung über die alte Pfeilerform nicht mehr
möglich; vermuthlich waren die Pfeiler in der Längsaxe
abgestuft und mit Ecksäulchen besetzt.59) An Hirsaucr Ein-
flufs zu denken, hat man auch sonst Veranlassung, denn der
in den Schwarzwaldklöstorn besonders beliebte und bis zur
Ermüdung wiederholte Schachbrettfries fehlte auch hier nicht;
er zog sich dicht unter der Balkendecke an den Obermauern
des Langhauses entlang.

Wenn das Innere des Chores durch die enge Begren-
zung und üble Verwahrlosung jetzt einen wenig günstigen
Eindruck macht, so ist der Aufsenanblick des Ostbaues,
Zumal von einem gut gewählten Standpunkte aus, um so
erfreulicher. Ein grofser ernster künstlerischer Zug geht
durch die Facade. Mit ihm sind wieder Aeufserungen einer
sorglosen Naivetät zu einer ganz eigenartigen Harmonie
verschmolzen. Die Horizontalen sind fast vollständig aufge-
löst, die Fenster stehen oft zerstreut, die Dachflächen haben
verschiedene Neigungswinkel, trotz der einfachen Umrifslinien
des Planes findet ein lobhaftes Vor- und Zurückspringen in
den Massen statt und — doch ist eine wahrhaft grofsartigo
Einheit gewahrt.

Von besonderer Schönheit sind die Thürme; ernst und
stolz gebildet, trefflich erhalten und von wundervoller grau-
brauner Farbe. Beide sind trotz ziemlich gleicher Abmes-
sungen im Grund- wie Aufrisse nicht identisch gestaltet. Die
Stockwerksmauern sind trefflich verjüngt, ihre Oeffnungen gut
vertheilt und mannigfach gegliedert; eine fast zarte Profilirung
verstärkt die wohlverstandenen Contraste. Das oberste Ge-
schol's beleben dreifache Klangarkaden auf Zwergsäulen; das

erst später sowohl in Sachsen, wie in Schwaben und im oberen Elsafs
angewendet worden.

59) Wie die gleichfalls aus der Hirsauer Schule hervorgegangene
so grofsartige Kirche auf dem Petersberge bei Erfurt. Das ältere
Breitenau hat strengere Pfeiler.
 
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