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Bischofs Johann III. von Havelberg ') vora J. 1396, nach wel-
cher alle Einkünfte von den Wallfahrten nach Wilsnack lediglich
zum Bau von Kirchengebäuden, und zwar ein Drittel derselben
für die bischöflichen Gebäude, ein zweites Drittel für die Bauten
des Propstes und des Capitels von Havelberg, das letzte Drit-
tel für den Bau der Domkirche selbst (tertia vero pro mona-
sterii nostri duntaxat structura) verwendet werden sollen
darf geschlossen werden, dafs das erste lind dringendste Be-
dürfnifs — die Vollendung des Neubau’s der Wilsnacker Kirche

— bereits befriedigt war, und die reichlich fliefsenden Einkünfte
nun den Gebäuden des ganzen Bisthuras zu Hülfe kommen soll-
ten. a) Bald darauf, seit dem Anfange, besonders aber von der
Mitte des XV. Jahrh. ab, erwachte ein Geist des Widerspruches
gegen die vermeintlichen Wunder des heiligen Blutes zu Wilsnäck,

— so in Böhmen, in Sachsen, am nachdrücklichsten zu Mag-
deburg, woselbst der Domlierr Heinrich Tocke vom J. 1446
ab, unablässig in den Erzbischof Friedrich drang, diese Ab-
götterei zu Wilsnack nicht zu dulden. Indessen vermochte diese
von dem Erzbischofe zwar gebilligte und mit grofser Ausdauer
auf mehreren Synoden verfochtene freimüthige Ueberzeugu.ng
nicht durchzudringen. Zwar sah die päpstliche Ourie zur Bei-
legung des heftig geführten Streites durch einen 1451 publi-
cirten Erlafs sich veranlafst, bei Strafe des Interdiktes die’
öffentliche VorZeigung blutiger Hostien in Deutschland über-
haupt zu verbieten, worauf der Erzbischof von Magdeburg den
Bischof von Havelberg excommunicirte und die Kirche zu Wils-
nack mit dem Interdikte belegte.') Gleichwohl dauerte der aus
allen Gegenden Deutschlands, selbst aus Frankreich, England,
Spanien, Schweden und Polen zusammenströmende Zuflufs der
Wallfahrer ununterbrochen fort, und der fromme Kurfürst Frie-
drich II., welcher zur Verehrung des heiligen Blutes selbst oft
nach Wilsnack pilgerte und daselbst Hoftage und Zusammen-
künfte hielt, schützte mit Rath und That den angegriffenen Bischof
und das Domcapitel von Havelberg. Schon vor der um 1453 ■')
erfolgten Beilegung des Streites, hat dieser Fürst sogar die Ab-
sicht gehegt, an die Stelle der Mönchsconvente an den Domen
zu Havelberg und Brandenburg, weltliche Domherren zu setzen,
dafür aber ein neues Kloster in Wilsnack selbst zu gründen,
welches unter Annahme strenger Observanzen geistige Zucht
und neue Ordnung in der sehr verwiklerten märkischen Geist-
lichkeit verbreiten sollte. * * 3 4 5 6) Dieses Kloster ist zwar nie zu
Stande gekommen, indessen scheint der Vergröfserungsbau der
bei dem ungeheuren Zulaufe der Wallfahrer viel zu kleiii ge-
wordenen Pfarrkirche vom Kurfürsten selbst veranlafst und
durch päpstliche Ablässe seit dem J. 1447 reichlich unterstützt
worden zu sein.°) Der Anfang dieses langsam gefilhrten, aber
allmählig zu einem Neubau sich gestaltenden Erweiterungsbaues
ist urkundlich nur indirect zu erweisen. In dem Ablafsbriefe
des Papstes Eugen vom J. 1446 ist nur von Beiträgen zur Er-
haltung der Kirche, nicht von solchen zur Baukasse die Rede,

— während indem Ablafsbriefe des Papstes Nikolaus vom Jahre
1447 7) dagegen bereits die Formel eingeschaltet ist: „et ad
conservationem hujusmödi, nec non ipsius fahricam Ecclesiae
manus adjutrices porrexerint“, so dafs hieraus die Absicht einer
erneuten Bauthätigkeit unzweifelhaft hervorgeht. Sicherlich ha-
ben die oben erwähnten heftigen theologischen Streitigkeiten

*) Derselbe Bischof mit dem Beinamen Wopelitz, weleher als lumstsinniger Baulierr
bei den Banten zu Havelberg und Wittstoek schon mehrfaeh Band I, S. 50, Noto 4) und
Band II, S. 3 ff. und S. 12 genannt worden ist.

*) Riedel a. a. 0. II, 143, Dei‘ glänzende iChorurxbaii des Dornes xa Havelberg, der
Umbau des Iireuzganges und der Stiftsgeb'aude daselbst (1396—1411),. sbwie der Neubau
der Sclilofskapelle zu Wittstock (f 1399) sind höchstwahrscheinlich äuf Grund dieser Thei-
lung. der reichen Einkünftc von Wilsnack durchgeführt worden.

3) Vergl. Math. Ludecus. Historia von der erfindung, wunderwercken und zerstö- •
rung'des .v.ermeinten heiligen Blutes zu Wilsnack. Wittenberg. 1586.

4) Riedel a. a. 0. II, 156.

5) Lenz. Diplomat. Stiftshist. v. Brandenburg, S. 77.

6) Riedel a. a. 0. II, 151.

7) Das oben Band II, S. 3 irrthümlich als 1439, gegebene Datum ist ein stehen ge-
blicbencr Druckfehler und mufs 1447 lieifsen.

ebensosehr die Förderung des Baues gehemmt, als die noth-
wendige Rücksichtnalnne auf die täglichen Gottesdienste, welche
an so vielbesuchter und hochverehrter Stätte nicht unterbrochen
werden konnten. Daher treffen wir nur in auffallend langen
Zeiträumen auf Ablafsbriefe hoher geistlicher Würdenträg-er,
z. B. 1471 und 1500'), welche alle die fast gleichlautende For-
mel „ad reparationem et conservationem“ (scil. ecclesiae) oder:
„nl pdrochialis ecclesia .... in suis structuris et aedißciis debite
reparetur et couserretur etc.“ enthalten und darin den Fort-
gang eines Umbaues zweifellos bezeugen. Unter schliefslicher
Beachtung der inschriftlichen Daten von 1512 und 1518 an
dem hölzernen Gestühle des Innern und von 1525 an einigen
Gewölbekappen des SiVdkreuzflügels und des Mittelsbhiffs darf
daher der wesentliche Abschlufs des vorhandenen Bauwerks
bald n'ach Eintritt der Reformation, um 1530 angenommen wer-
den. Aber obschon das grofse Werk der Glaubensverbesserung
unzählige Gemüther tief ergriff und von der Verehrung falscher
Wunder mächtig zurückhielt, so dauerten die Wallfahrten nach
Wilsnack cloch bis in die Mitte des XVI. Jahrh. hinein, zu wel-
cher Zeit der seit 1548 als lutherischer Prediger angestellte
Geistliche Joach. Ellefeld, ein entschlossener und thatkräftiger
Mann, die dr.ei Hostien im J. 1552 verbrannte, um ihrer fort-
dauernden Verehrung und der Ansammlung von Opferspenden
durch das Domcapitel von Havelberg ein Ende zu machen.
Seit jener Zeit haben die grofsen Wallfahrten nach Wilsnack
nach und nach aufgeliört uhd sincl mit dem Schlusse des XVI.
Jahrh. gariz erloschen. Mit Ausnahme des Silbergerath.es und
der gröfsten Glocke, welche Kurfürst Joachim II. für das Ber-
liner Domstift an sicli nahm, blieben die Einrichtung und Aus-
stattung unangetastet, a) cloch hat ein grofser Brand im J. 1690
den Dachreiter ilber der Vierung und den westlichen Giebel
beschädigt. :!)

B a u b e;s chre ibung.

Der Grundrifs Blatt LVI., Fig. 5 zeigt eine Kreuzkirche mit
dreischiffigem Langhause, einschiffigem Chore und zweischiffigem
(über den östlich belegenen Räumen als Emporen geöffnetem)
Querschiffe, — kurz eine Planbildung, welche derjenigen des auf
Blatt XXXII, Fig. 6 mitgetheilten Grundrisses vom Dome zu
Stendal in allen wesentlichen Theilen so genau entspricht, dafs
sie als eine Kopie zu bezeichnen ist. Abgesehen von den ab-
solnten Maafsen, welche in Stendal überwiegen und dem rela-
tiven Maafsstabe, der in Wilsnack gröfser ist, zeigen sich nur
darin Verschiedenheiten, dafs die Wallfahrtskirche der dop-
pelthürmigen Westfront, des Lettners vor dem hohen Chore und
der kleinen Xebenkapellen an den Langhausmauern entbehrt,
während sie dagegen in den Kreuzflügeln jederseits zwei nach innen
geöffnete Oberkapellen, ferner einen zwischen den Chorstrebe-
pfeilern eingespannten, überwölbten und nach aufsen geöffneten
Umgang besitzt und an ihrem Nordkreuzflügel mittelst einer be-
deckten Brücke mit dem ehemaligen Prälatenhause verbunden ist.

Bei näfferer Prüfung der Bauanlage ergiebt sich ohne Schwie-
rigkeit die Thatsache, dafs der theilweis abgetragene aber inner-
halb des Mittelschiffs noch stehen gebliebene westliche Glocken-
thurm als em Rest der zweiten Bauausführung — gleich nach dem
Brande — zu betrachten ist. Dafs dieser im Innern aus Granitfind-
lingen hergestellte, aufsen mit Backsteinen verblendete Thurmrest
bestimmt von dem Schlusse des XIV. Jalirh. herrührt, beweist zu-
nächst das zweithürjge sandsteinerne Westportal mit drei daran be-
findlichen Konsolen und Baldachinen, welches in Komposition wie
Behandlung den Chorschranken des Domes zu Havelberg ge-
nau entspricht. Sodann bestätigen diese Annahme die gepaarten

)) Riedel a. a. 0. II, 163 u. 165.

2) Beckmann, V. Tfi. II. B. S. 309 ff. hat noch im vorigen Jahrh. einen grofsen Theil
dieser jetzt fast völlig. verschwundenen Ausstattung gesehen nnd beschrieben.

3) Beckmann a. a. 0. S. 315.
 
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