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lagen, wohl geschützt. Zwei Tliore führten hinein, das Neu-
Ruppiner und clas Alte — aueh St. Johannes genannte — Thor
und beide Tliore waren später noch durcli yorgescliobene
Aufsenthore verstärkt worden. Nachdem die Einebnung der
Wälle und Ausfüllung cler Gräben schon \ Tm i 1714 — 36 er-
folgt war, wurde das Alt-e Thor am Ende des vorigen Jahr-
hunderts abgebrochen und das Ruppiner Thor seines Yorthores
1819 beraubt. In den vierziger Jahren wurden auf dem
Letzteren das Dach und die Giebel schadhaft, so dafs 1864,
als die hier veröffentlichte Aufnahme stattfand, die Obertheile
fehlten und das Thor Iiuine zu werden drohte. In neuester
Zeit ist es indessen in würdiger Weise und im Wesentliehen
nacli dem Restaurationsversuche auf Blatt LXXVII wieder
liergestellt worden, wobei für alle fehlenden Ziegel die alten
Steinformate wieder zur Verwendung kamen.

Die Stadt hat seit dem Ausgange des Mittelalters schwere
Unglücksfälle erlebt, theils durch vernichtende Brände, theils
durch verheerende Seuchen und kriegerisclie Ereignisse. Für
clie geschichtliche Erkenntnifs ist der grofse Brand von 1606
besonders unheilvoll gewesen, weil bei clemselben alle Urkunden
verloren gingen.

Pfarrkirche St. Maria. 1)

Historisch.es.

AIs Gransee zur Stadt erhoben wurde, bestand diese Pfarr-
kirche schon längere Zeit, denn an ihr fungirte der Pfarrer
zugleich als Propst, was auf die Bedeutsamkeit des Ortes
schliefsen läfst, als die kirchliche Eintlieilung erfolgte. Unter-
stiitzt wird diese Annahme durch den grofsen Mafsstab und die
aufsergewöhnlich sorgsame Technik an dem ältesten Bautheile
cler Kirche selbst. Die kirchliche Beformation trat 1541 ein.
Baugescliichtliche Regesten lassen sicli nur für die beiden
letzten Jahrhunderte gewinnen, sind aber unerheblich. Die
letzte Restauration hat 1862 — 65 stattgefunden.

Baubeschreibung.

Die mittelgrofse gothische Hallenkirche besteht, wie der
Grundrifs Fig. 2 auf Blatt LXXVI lehrt, aus dem stattlichen ob-
longen Westthurme und dem dreischiffigen Langhause von sieben
Jochen. Die drei Scliiffe sind derartig polygonal beendigt, dafs
das Mittelschiff in drei Seiten des Sechseckes und jedes Seiten-
schiff in zwei Seiten des Fünfeckes schlielst. Dabei ist clurch die
Benutzung der vier östlichen Abschlufspfeiler unter Hinzufiigung
eines starken oblongen Mittelpfeilers in der Hauptachse der auf-
fallend külme aber wohl geglückte Versuch gemacht worden,
als Abschlufs des mächtigen Dachverbandes einen einzigen
reich gegliederten Ostgiebel aufzustellen. Derselbe steigt — wie
Fig. 1 darstellt — bei 66 Fufs Breite bis zu 96 Fufs Höhe
empor, wobei, um seine Gliederung möglichst vollständig und
klar zu zeigen, clie Chordächer mit sehr verschiedenen, ja kaurn
zulässigen Neigungswinkeln abgeschlossen worden sincl. Weil
die wiclitigste Hilfskonstruktion hierfür, nämlich der oblonge
Mittelpfeiler, 2) mittels derber ungegliederter Rundbogen mit
den benachharten Aechselpfeilern verbunden ist, erweist sicli
seine Erbauung als ein Zusatz, der nur des beabsiclitigten
Giebelbaues halber gescliaffen wurcle und daraus folgt, dafs der
ursprüngliche Entwurf wesentlich anders gestaltet war, als die
erfolgte Ausführung. Dazu kommt, clafs die schmuckreiche,
aber wenig organische und gleichzeitig kleinlich iiberladene
Glieclerimg des grofsen Giebels — insbesondere mit eingeblendeten
Kreuzstabfriesen — nicht gestattet, ein frühes Datum fiir ilm
anzusetzen, was auch aus anderen Gründen noch erhellen wird.

1) Biedol a. a. 0. 415.

2) In dem Sticlie ist leider dieser Pfeiler dunkel sckraffirt worden, statt ihn
etwas heller zu tönen, wie die Schraffirung der westlichen Schiffsliälfte.

Das ganze Langhaus nebst den Chören entstammt zwei
Bauzeiten, welche aber ähnlich wie in Chorin bald auf ein-
ander gefolgt sind. Die östliche ILälfte ist die ältere, die west-
liche die jiingere. Noch jünger als beide und als später Zu-
satz erweist sich die kleine zweigeschossige Kapelle an der
Südseite nebst dem mit ihr verbunclenen Treppenthürmchen. x)
Derselben Spätzeit geliört auch die ganz gleicli konstruirte
Wendelstiege an der Nordseite des Westthurmes an.

Das im Ganzen selir einheitlich gestaltete Innere wirkt ge-
drückt und schwerfällig, was wesentlich der übertriebenen Stärke
und geringen Höhe der Pfeiler zuzuschreiben ist. Die acht-
eckigen mit Rundstäben an den Ecken besetzten Pfeiler stehen
niclit achsial, sondern über Eck und besitzen liohe Basen und
eigenartig gegliederte Kämpfer, weil man viele der Rundstäbe
mit Maskenkapitellen dekorirt hat, die mit dem Kämpfergesims
unmittelbar verbunden sind, während diese Detailbildung an
anderen Stellen durch vorgestreckte Kämpfersteine ersetzt wircl.
Vergl. Blatt LXXVII Fig. 6 u. 7 mit dem Systeme des Innern
Fig. 8. Die hochbusigen Kreuzgewölbe von mittelmäfsiger
Technik werden von Birnenrippen zwiefacher Fassung getragen;
die der drei Ostjoche sind fein, die der vier Westjoche derb
profilirt, wie dies die nebenstehenden Holz-
schnitte beweisen. Sie haben, wie der Grund-
rifs zeigt, an Stelle der Schlufssteine kleine
tellerförmige Scheiben erhalten. Nur ein Schlufsring ist im zweiteu
Mitteljoche von Osten vorhanden, er diente aber nnr zum Durch-
lassen des Seiles fiir den iiber dieser Stelle senkrecht stehenden
Dachreiter, der schon im XVII- Jahrhundert verschwunden war.
Vergl. das System des Innern Fig. 8. So übereinstimmend
unter sicli, wie die Pfeiler, sind auch die gothischen Fenster
gestaltet. Sechszehn von ihnen sind dreitlieilig, — darunter
die drei des Hauptchores — die verbleibenden viere sind zwei-
tlieilig; es sind dies die Fenster der Nebencliöre. Die Fenster-
einfassungen, einscliliefslich der Stabwerke, sind innen und
aufsen dreimal abgestuft und sehr mannichfaltig profilirt.
Blatt LXXVI Fig. 5 giebt das Profil der Chorfenster, während
die beiden Plolzsclmitte einige Profile der Scliiffsfenster erkennen

lassen. Aucli hier gewahrt man den oben betonten Unter-
schied zwischen den strenger gehildeten und besser liergestellten
Einzelheiten der Osthälfte von den kleinliclier gefafsten in
der Westhälfte.

In der Westhälfte der Aufsenfagaden unterscheidet sicli
die Nordmauer von der Südwand in bemerkenswerther Weise
dadurch, dafs ilir Urheber den beliebten Gitterstabfries, der wie
am Chore — Blatt LXXVI Fig. 1 — die ganze Kirche um-
zielit, nicht blofs neben jedem Fenster rechts und links in
schmalen Vertikalblenden, sondern auch an den unteren Stirn-
flächen der letzten Strebepfeiler dekorativ verwerthet, ja selbst
teppichartig über dem daselbst befindlichen Portale ausgebreitet
hat. Die beiden ersten Motive kommen in den spätgothischen
Bauten der Altmark vor, z. B. an St. Peter und Paul zu See-
hausen und an St. Johannes zu Werben. Vergl. Blatt XLIV
Fig. 1 und den Text zu Seehausen S. 82. Mit Rücksicht auf
die ersten Versuche dieser dekorativen aber leicht zur Spieleiei
entartenden Tendenz, welche das Langhaus von St. Steplnm m
Tangermünde darbietet, mufs man die weitere Entwickelung
der altmärkischen Baukunst zuschreiben und eine Uebertragung

1) Auch dieser Bautheil ist zu dunkel schraffirt worden.

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