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Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 2) — Berlin, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.31748#0068
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von clort nach liier annelimen. Unter solcher Ännahme ergiebt
sich ein angenähertes Baudatum für die Yollendung des Lang-
hauses in der zweiten Hälfte des XV. Jahrlmnderts etwa 1480.

Den letzten Ahschlufs des Baues hat clie zweigeschossige
Ivapelle an der Südseite gebildet. Sie cliente unten trotz des
darin noch vorhandenen Altarrestes stets als Vorhalle und war
mittels einer nachträglich angebauten Spindeltreppe mit dem
überwölbten Oberstock, der sich durch einen grofsen Bund-
bogen nach dem Langhause liin öffnete, verbunden. Sie diente
sicher dem Kultus einer Gilde oder einer kirchlichen. Brüder-
schaft. Bire Bauzeit liegt, wie aus ihren Bauformen hervorgeht,
am Schlusse des XV. oder am Anfange des XVI. Jahrhunderts.
Entscheidend sind dafür: 1) das schiefgestellte Reihungsgewölbe
im Oberstock — vergl. den Grundrifs auf Bl. LXXVI Fig. 2 —,
2) die beiclen dreitheihgen Stabwerksfenster und die Arkade nach
dem Langhause, welche rundbogig gesclilossen sind, 3) der
Mangel an Strehepfeilern uncl 4) cler mit tauförmig umrahmten
uncl ebenso getheilten Rundbogenblenden geschmacklos dekorirte
Giebel. Nach zahlreichen Analogien kann man 1510—20 als
ein sehr wahrscheinliches Datum gelten lassen.

Wenn hierdurch die späteren und letzten Bauzeiten folge-
richtig festgestellt worden sind, so erübrigt es nun, den älteren
Bauepoclien sicli zuzuwenden, welche ausschliefslich auf die
Westfront beschränkt sind. Diese ist ein imposantes, wenn auch
sehr unharmonisches Werk von ernstem Charakter. Ihr oblonger
Unterbau — von fast 67 Fufs Breite und fast 33 Fufs Tiefe —
steigt ohne Absatz 70 Fufs in die Höhe und besteht nach den
Materialien betrachtet aus zwei Hälften. Zur unteren Hälfte hat
man aussehliefslich Granit, zur oberen ausschliefslich Backstein
verwendet. Der mächtige Granitunterbau von 35 Fufs Höhe
gehört zu den besten Werken, die jemals ausgeführt worden sind;
er iibertrifft in der Gröfse der kubisch zugehauenen Steine die
Steine von Zinna und steht bezüghch der Maurerarbeit jenem
trefflichen Baue nicht nach. Aufser einem kleinen Rundbogen-
fenster hesitzt er vier spitzbogige Pforten. Ein dreifach abge-
stuftes, höchst sorgfältig gestocktes Port-al bildet den Haupt-
eingang und drei Innenpforten in der Ostmauer führten in die
drei einst vorhanden gewesenen Schiffe.

Aus der ganz aufsergewöhnlichen Gröfse des Westthurmes
— nur der von Angermünde übertrifft ilm — darf man
schliefsen, dafs die alte Kirche, der er angehört hat, nicht sehr
viel kleiner gewesen sein kann, als die jetzige. Ebenso be-
rechtigt ist die Vermuthung, dafs diese Kirche eine dreischiffige
Basilika mit plattgeschlossenem Langchore war, wie wir solche
Anlagen noch in Burg, Aken a. E., Strafsburg i. U. und Straufs-
berg hesitzen und wie wir es von Berlin (St. Xicolaus) und
Angermünde vermuthen und von Köpenick u. a. O. auf Grund
alter Zeichnungen erweisen können. Der Bau selbst wird dei
Zeit des grofsen Aufschwunges, welcher nach der Erwerbung des
Barnim und des rastlosen Vordringens nach Norden und Osten
unter den Zwillingshrüdern Johann I. und Otto III., also um
1230 eintrat, angehören. Auch begreift es sich, dafs ein so
tüchtiges und mit Ausnahme seiner Decken und Dächer eclit
monumentales Werk erst zum Abbruche verurtheilt werden
konnte, wenn es für die wachsende Einwohnerzahl nicht mehr
genügte. Dieser Fall ist bei der bescheiclenen Stellung von
Gransee erst spät eingetreten und daraus erklärt sich die auch
an anderen Plätzen vorkommende Thatsache, dafs an den sehr
alten Westbau aus Granit eine relativ späte Backsteinkirche
unvermittelt sich anschliefst. Der Neubau ei'folgte rationeller
Weise so, dafs man unter Festhaltung des Langliauses zuerst
clen Chor erneuerte und dann, nachdem derselbe in Benutzung
genommen war, zum Bau cles dreischiffigen Langhauses über-
ging und mit diesem abschlofs.

Indessen mufs der frühe Ziegelbau hier dem alten Gramt-
bau sehr rasch gefolgt sein, wie sich aus der weiteren Analyse
der Westfront ergiebt. Wie oben bereits erwähnt, besteht die

obere Hälfte des oblongen Unterbaues — fast 35 Fufs hocli —
aus Ziegeln. feie ist auf allen Seiten, selbst auf der Hinterseite
mit dreitheiligen geputzten Spitzbogenblenden besetzt, welche an
die frühgothische Baukunst in Stendal erinnern. Oberhalh
eines Gitterfrieses iiber jenen Blenden beginnt dann die wesent-
liche Umgestaltung des alten Entwurfes sicli dadurch zu äufsern,
dafs man auf kräftigen Gurtbogen zwei nahezu quadratische
Thürme mit sehr geringem Zwischenraum zwischen sich erhaut
und diese in zwei Geschossen wieder mit zweitheiligen geputzten
Spitzbogenblenden ringsherum dekorirt hat, wobei im Ober-
geschosse in jeder Mitte grofse spitzbogige Klangöffnungen für
die Glocken angelegt wurden. Der Nordthurm hat mehrere
Male seine Spitze verloren und ist jetzt unten als flacli geneigtes
Zeltdach, aus dem oben eine stark gereckte Achtecksspitze
emporragt, alles hesehiefert, nothdürftig erneuert worden. Besser
ist clie Siidspitze fortgekommen; man hat ihren Unterbau durch
Zwickelbogen zu einem niedrigen Achtecksgeschosse übergeführt,
welches, mit einer Brüstung versehen, einen Umgang verstattet,
während cler innere Kern durch einen hochragenden Achtecks-
helm aus Ziegeln abgeschlossen wircl. Dieser monumentale
Abschlufs ist im XIV. und XV. Jahrhundert in cler Neumark
sehr beliebt gewesen und scheint hier von dort her üher-
nommen zu sein, doch läfst sich ein siclieres Datum mit den

bisherigen Hülfsmitteln niclit gewinnen, während man die
oberen Ziegelgeschosse heider Thiirme und den grofsen oblongen
mit Blenden geschmückten Untertheil auf Grund der kräftigen
und schlichten Formengebung dem Schlusse des XIII. Jahr-
hunderts wohl zuschreiben kann.

In dem Innern des alten riesigen Granitfrontbaues müssen
nur hölzerne Treppen behufs cles Aufstieges nacli oben vorge-
sehen gewesen sein. Als man aber die Facade als Backsteinbau
höher führte und zum Bau der Thürme schritt, liat man eine
feuersicliere Treppe für nöthig eraclitet und auch ausgeführt. Dies

war die halb durch Ausbruch, halb
durch Aufbau hergestellte Spindel-
treppe, welche in der Mitte der Nord-

seite — vergl. den Grundrifs — als
über Eck gestelltes halbes Achteck
vorspringt. Ein technisch wie künst-
lerisch werthvoller Bautheil, von wel-
chem der nebenstehende Holzschnitt
eine nähere Vorstellung geben mag.
Dieser Treppenthurm hat unten sehr
starke Wände erhalten, um ihn
aufsen in sechs Absätzen bis auf
eine Höhe von 57Fufs aufsteigen zu
iassen, während der innere Cyhnder
seinen Durchmesser von über 6 Fufs
durchweg behauptete. Er ist an den
Ecken strebepfeilerartig mit einen
Stein breiten und einen halben Stein
tiefen Vorsprüngen besetzt, welche
den Absätzen gleichmäfsig folgen
und zuletzt unter dem kleinen Kranz-
gesimse sich todtlaufen. Ein lmlbes
steinernes Zeltdacli bildet den Ab-
sclilufs, wälirend es in den unteren
Geschossen an Sägeschichten, Spitz-
bogenblenden und flach gelegten
Vieipässen nicht. fehlt. Der Bau stammt wahrscheinlich vom
Anfange des XIV. Jahrhunderts, denn seine Gestaltung und
Durchbildimg erinnert an die Baukunst von Chorin.

Zweimal ist dieser anziehende Bautheil nach seinem Systeme
hier wiederholt worden, erstlich in der Gildenkapelle der Siidseite
und zweitens in dem siidwestlich von der Stadt auf einem Hiigel
belegenen Wartthurme, der weiterhin zu besprechen sein wird.
Die stattliche Chorfagade auf Blatt LXXVI Fig. 1 imponirt trotz
 
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