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68

Südwestecke achteckige, nach oben drei Male absetzende

Treppenthurm ist eine späte Ableitung der steinernen Wendel-
stiege an dem Westthurme von Gransee. 1) Höchstwahrscheinlich
hat die S. 61 erwähnte nochmalige Kirchweihe im Jahre 1494
nach vollendeter Erweitenmg der Kirche stattgefunden. Der
letzte Bautheil, der zu Stande kam, war der Aufbau der zwei-
gescliossigen und aus drei Jochen bestehenden Kapellen an
der Südseite des Chores. Er zeigt aufsen völlig glatte und

nüchterne Wände, weil die Strebepfeiler nach innen
gelegt sind. Die Decken in beiden Geschossen sind
schwere Sterngewölbe auf. doppelt gekehlten Bippen

(nebenstehender Holzschnitt) und das Mittelgewölbe

des Erdgescliosses — jetzt Sakristei — besitzt zwei Schlufs-
steine mit den Jalireszahlen 1521 und 1522.

Aus gleicher Zeit stammen die mit sich kreuzenden
Rutlienstäben dekorirten Pforten mit dem nebenstehenden
Steinmetzzeichen daran. Die ursprüngliche und selir
naive aber charaktervolle Dekorationsmalerei an Rip-
pen und Gewölben ist zum Tlieil noch wohl erhalten.
Die Oberkapellen besitzen ähnliche Sterngewölbe und
waren nach dem
Mittelscliiffe hin ge-
öffnet.

Yon der mäch-
tigen Westfront
stehen leider nur
noch der Nord-
thurm und grofse
Theile des Mittel-
baues, so dafs die
Ivirche nur von der
Südwestecke ge-
sehen ein male-
risches Bild bietet.

Der Thurm ist für

seinen gewaltigen
Mafsstab trotz vie-
ler Blenden, Säge-
schichten, Gurtge-
simse, Gitterfriese
und Schallöff-
nungen wirkungslos
gegliedert. Hinter
einer Zinnenwand

erhebt sich die mittelhohe Holzspitze. Das riesige Westportal
— vergl. Doppelblatt LXXXI/LXXXII — war einst ober-
halb seiner Arkaden ebenso ganz mit Gitterwerk iiberzogen wie
die Portale von Brandenburg (St. Johannes), Tangermünde
(St. Stephan), Angermünde (Klosterkirche) und Ziesar (Schlofs-
kapelle), aber man hat es vandalischer Weise abgeschlagen.

Steinformat: 1) Chor: 11 —1174, 5 5/s und 3 1/2 Zoll;
2) Nordkapelle: 11 — llVr, 5 3 4/s und 374 — 372 Zoll; 3) Schiff:
1074 — 11, 5 — 574 und 372 Zoll; 4) Nordthurm: 11 — 1177,
57r und 374—4 Zoll.

Auf dem Prospekte von Merian a. a. O. S. 54 sieht man,
dafs der Nordthurm eine hohe vierseitige Holzspitze besafs und
der Südthurm unter dem letzten Geschosse einen massiven
Umgang hatte. Ein Theil des um 1715 von der Westseite
aufgenonnnenen Stadtprospektes bei Petzold a. a. O., welcher
hier zum ersten Male im Holzsehnitte (Mitte dieser Seite) ver-
öffentlicht wird, zeigt den Nordthurm mit seiner Zinnenwand
und der vierseitigen mit schlanken Gauben besetzten Holz-
spitze wie noch heute; dagegen hat der Südthurm sein
oberstes Geschofs bereits verloren und trägt gleichfalls eine
vierseitige Pyrainide. Eine Holzbrücke verbindet die obersten

1) Yergl. S. 54 den Ilolzschnitt.

Geschosse beider Thürme. Man erkennt ferner aufser dem
bereits 1G07 umgebauten Rathhause das seiner Dächer
beraubte Gubener Doppelthor, nebst der mittelalterlichen
Ringmauer und vor dieser den aus dem XYI. Jahrhundert
stammenden gemauerten Wall und Graben.

Die Pfarrkirche St. Nikolaus.

Historisches.

Von diesem ältesten Gotteshause der Stadt wird in den
Urkunden wenig gesprochen, weil der Pfarrbezirk sehr klein
war und die Gunst und Fürsorge sowolil der Landesherren als
auch des Rathes und der Bürgerscliaft dauernd an der grofsen
Marienkirche hafteten. Die Kirche scheint sogar während
des XY. Jahrhunderts baulich so sehr vernachlässigt worden zu
sein, dafs man nach dem Eintritte der Reformation den Gottes-
dienst in die nahe belegene Franziskaner-Klosterkirche verlegte
und die Kirclie verfallen liefs. Denn im Jahre 1551 1) bean-
tragte der Magistrat bei dem Kurfürsten Joacliim II., ihm
gestatten zu wollen, dafs er die Kirche zu einem Kornspeicher

benutze. Zwar be-
willigte der Lan-
desherr dieses Ge-
such, allein die
Sache zerschlug
sicli und die Kirclie
diente fortan den
verschiedensten
weltlichen Zwecken,
bis Kurfürst Fried-
rich Wilhelm 1654
sie den Reformirten
zum Gottesdienste
überwies, welcher
auch nach erfolg-
ter Wiederherstel-
lung 1657 beg ann. 2)

Während jener
Zwischenzeit hatte
die Kirche von ihren
beiden Westthür-
uien „den besten
und liöchsten“,
nämlich den schlan-

ken Holzhehn des Südthurmes durch Blitzschlag 3) verloren.
Der bald darauf geschehene Wiederaufbau, welcher auch die
Ausführung mehrerer Obergeschosse umschlofs, hat niclit lange
gestanden, denn 1643 ist derselbe Thurm vollständig zusammen-
gestürzt und es hat fast zweihundertundfünfzig Jahre gedauert,
bis er bei einer durchgreifenden Restauration 1880 — 81, welche
die Westfront wieder zweithürmig gestaltete, erneuert wurde.

Baubeschreibung. 9

Der auf Blatt LXXYIII Fig. 8 mitgetheilte Grundrifs läfst
eine mittelgrolse dreischiffige Hallenkirche mit ebensolchem un-
regelmäfsig geschlossenen .Polygonchore und dem Nordthurme,
der als Rest der zweithürmigen Westfront übrig geblieben ist,
erkennen. Zur weiteren Ergänzung dienen der in gleichem Mafs-
stabe 1:240 gezeichnete Querschnitt. Fig. 0 und einige Einzel-
heiten Fig. 1 und 4. Leicht erkennt man, dafs die Kirche aus
zwei Epochen stammt: das ganze Langhaus und die Westfront

1) Jobst u. Beckmann, Beschreibung Frankfurts. 1706- S. 63; auch
Biedel D. S. 364.

2) Die Nachricht bei Wohlbrück a. a. O. III, 25 und anderen Schriftstellern,
dafs die Kirche 1557 abgetragen worden sei, ist ein Irrthum.

3) Abbildung bei Braun, Theatr. Urb. I.

4) Die liier mitgetheilte Baubeschreibung wurde 1861 gemacht, 1863 ver-

vollständigt und 1896 abgeschlossen.
 
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