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sprüngliche Ersclieinung veranschauliclien soll. Der in der
Achse stehende Thurm gehört zu der Nordfacade und ist in
seinen Obertheilen mit der Gallerie (für die Stadtmusiker) und
welschen Haube vermuthlich gleichfalls eine Scliöpfung des
Voglioni. Einige Einzelheiten der Südfront wurden auf Blatt
LXXXIV Fig. 2, 3 und 4 dargestellt.

Wahrscheinlich sind grofse Theile des Unterbaues alt und
durch Voglioni, so gut er es konnte, ergänzt, wälirend der
eigentliche Giebel ihm angehört. Trifft dies zu, so ist es nicht
unmöglich, dafs der Unterbau und damit auch die Facaden-
entwürfe noch dem Schlusse des XIV. oder dem Anfange des
XV. Jahrhunderts entstammen können.

L. Die Stadt Wusterhausen an der Dosse.

Historisch.es.

Wusterhausen ist ein alter fester Ort von Deutschen an-
gelegt, welcher schon 1232 den Xamen Wusterhuse trug und
den Brüdern Johann und Gebhard von Plote oder Plotho
gehörte. Seclizig Jahre später erscheint in den Urkunden das
landesherrliche Schlofs (castrwn). x) Das dabei gelegene Dorf
wird wahrscheinlich um die Mitte des XIII. Jahrhunderts
Stadtrechte erhalten haben und zwar von den Plote’s, welche
auch Kyritz zur Stadt erhoben, weil der der Stadt zugewiesene
Landbesitz nur klein war. Später, seit 1277, sind wieder die
Markgrafen Besitzer und 1317 verpfändete Waldemar die Stadt
an die Grafen von Lindow, so dafs sie nun mit der Grafschaft
Ruppin verbunden- wurde. Die Stadt mufs sich, wenn auch
in bescheidenem Mafsstabe, kirchlich gut entfaltet hahen, denn
sie besafs am Schlusse des Mittelalters, wie aus dem Visita-
tionsabschiede von 1541 hervorgeht, aufser der Pfarrkirche
St. Peter uncl Paul, noch vier Kapellen: St. Spiritus, St. Gertrud,
St. Stephan und St. Georg, von denen die drei letzten mit
Hospitälern verbunden waren. Schwere Brände haben die
Stadt 1637, 1679 und 1758 betroffen.

Pfarrkirche St. Peter und Paul.

Wann sie gegründet wurde, ist ebenso unbekannt, wie ihre
Schicksale im Mittelalter. Fest steht nur, dafs bei ihr zwei
Brüderschaften, die mit einer Kapelle der heiligen Jungfrau
versehene Marienbrüderschaft und der Kaland bestanden; dafs
1479 ein Altar geweiht wurde und dals zuletzt zwölf Altäre
vorhanden waren. 2) Im Jahre 1764 zerstörte ein Blitzstrahl
die hochragende achteckige Thurmspitze, welche, nach dem Pro-
spekt von Petzold zu urtheilen, eine hesondere Zierde der Stadt
gewesen sein mufs.

Die Kirche ist eine dreischiffige gewölbte Hallenkirche,
deren Seitenscliiffe um den in drei Seiten des Achtecks ge-
schlossenen Chor herumgeführt sind. Im Westen erhebt sich
ein grofser quadratischer Glockenthurm und an der Südseite
liegen zwei Kapellen. Zwei Bauzeiten sind erkennbar sowohl
durch die Bauformen, wie durch das Material. Der ältere Bau
war ein dreijochiger Granitquaderbau mit einem plattgeschlos-
senen Langchore im Osten und einem Glockenthurme im Westen,
den man vielleicht basilikal gestaltet hatte. Von ihm sind
aufser den Schiffspfeilern mit ihren schlicht abgekehlten Käm-
pfern beträchtliche Stücke am Thurme und in der Nordmauer
his zum Chore hin erhalten, selbst ein schlicht abgestuftes
Spitzbogenportal findet sich vor. Alles dies entstammt sicher
dem XIII. Jahrhundert, doch läfst sich ein genaueres Datum
nicht angeben.

In der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts hat ein um-
fangreicher Um- und Erweiterungsbau stattgefunden, durch

1) Riedel IY, 385 u. I, 366. 2) Riedel IV, 387 ff.

welchen der dreischiffige Chor hinzugefügt und die Kirche sowie
der Thurm erliöht wurden, der letztere beträchtlich. Man hat
diese Arbeit durch eine dreizeilige Minuskel-Insclirift verewigt,
welche sich neben dem Eckpfeiler des Chores (Nordseite) oben
befindet und also lautet: anno domini mcccdxxiiii, d. h. 1474.
Mit diesem Umbau hängt die oben erwähnte urkundlich über-
lieferte Stiftung eines Altares von 1479 zusammen. Auch ent-
spreclien dieser Bauepoche die Gewölbe mit ihren Wulstrippen,
die Profile der dreitheiligen Fenster des Chores und der Wand-
pfeiler, ferner die beiden Portale der Nord- und Südseite.
Nocli etwas jünger scheint die jetzige Sakristei zu sein, welche
auf Blatt LXXXVI in Fig. 1, 3, 4, 5 und 11 dargestellt ist.
Dieser stattliche Anbau, wahrscheinlich die alte Marienkapelle,
bildet ein überwölbtes Quadrat von zwei kreuzgewölbten
Oblongjochen auf gut profilirten Bippen (Holzschnitt),

»welcher bei starken Mauern flache, einmal absetzende
Strebepfeilei' und einen mit schlanken zweitheiligen
Spitzbogenblenden geschmückten Staffelgiebel besitzt.
Der Unterbau ist durch zahlreiche Blenden unruhig gegliedert.
Vergl. Fig. I. 1) Die Fenster hahen zwei-, drei- und vier-
theiliges Stabwerk und die auf Konsolen entspringenden Ge-
wölbe hochbusige Kappen. Fig. 4 und 5 stellen seine Fenster-
profile (Süd- und Westfenster) dar und Fig. 3 den Längs-
schnitt.

Steinformat: am Südportal 11, 5V* und 3V2 Zoll.

Kapelle St. Spiritus.

Diese kleine, 1307 2) erwähnte und zum Armenhause
gehörige Hospitalkirche besteht aus zwei Bautheilen, welche
einen saalartigen Raum hilden. Vergl. Blatt LXXXVI Fig. 12.
Der nach Osten belegene, nahezu quadratische Paum igt mit
einem scharfgratigen Ivreuzgewölbe bedeckt und besteht aus
Backsteinen. Die sehr verbaute gröfsere Westhälfte besteht
unten aus Granitquadern, oben aus Ziegeln. Die Ostfront,
welche mit zwei starken Strebepfeilern besetzt ist, zeigt eine
Gruppe von drei flachbogig überdeckten Fenstern und aufser
rund- und flachbogigen Blenden einen pfeilerbesetzten Staffel-
giebel, dessen Blenden satteldachartig gedeckt sind. Diese
höchst schlichte, aher am Platze wirkungsvolle Facade zeigt
Fig. 2, während Fig. 10 das südliche Fagadensystem (an der
Hofseite) zur Anschauung bringt. Das zu den liier vorhande-
nen zweitheiligen spitzbogigen Fenstern gehörige Profil nebst
Pfostenwerk veranschaulicht Fig. 6. An der Nordseite befindet
sich ein quadratischei' Treppenthurm, welcher eine Spindel-
treppe enthält, und ein hölzerner schlanker Dachreiter vollendet
die gute Umrifslinie. Die Westhälfte ist der ältere von beiden
Bautlaeilen, sie stammt wahrscheinlich aus der Stiftungszeit
1300 —1310, die Osthälfte ist dagegen sehr viel jünger, ver-
muthlich nach 1500; sie scheint nur die Erneuerung einer
älteren Ostfront zu sein, welche beseitigt und ersetzt werden
mufste.

Steinformat: 11, 5 5/s und 3 3/i Zoll.

Kapelle St. Stephan.

Diese vor dem Kampehlschen Thore belegene Kapelle ist,
wie urkundlich feststeht, im Jahre 1351 gestiftet worden, doch
ist die 1744 noch vorhanden gewesene Urkunde verscliollen.
Es ist ein kleiner einschiffiger, in drei Seiten des Sechsecks
geschlossener Bau, welcher, wie che abgestuften Strebepfeiler des
Chores und clie starken Mauern beweisen, auf Gewölbe ange-
legt worden war, cloch ist ihre Ausführung unterblieben. Der
Holzschnitt auf Seite 67 oben giebt, nach einer Quast’schen

1) Es äufsert sich hier dieselbe Stilfassung der Spätgothik wie in Zinna
(Abtsgebäude), Jüterbock (Sakristei), Neuruppin (Siechenhauskapelle) u. a.

2) Riedel a. a. O. S. 393.
 
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