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meisten Weichhäuser sincl Ziegelbauten; unter ihnen ragt ein
stattlicher Rundthurm hervor, welcher den JSTamen Pulverthurm
führt und sehr gut erhalten ist. Es ist ein Cylinder von etwa
22 Fufs Durclimesser, der oben hiiiter einer Zinnenwand mit
einer achteckigen Steinspitze abschliefst.

VI. Die Neumark.

Baugeschichte.

Der nördlich der Warthe belegene Theil der jetzigen Neu-
mark hat bis zum XV. Jahrhundert diesen Namen ausscliliefs-
lich gefülirt, während das Land Sternherg — südlich der
Warthe — und nocli weiter die Lande Crossen u. s. w. während
des Mittelalters nicht dazu gerechnet wurden. Die aus alt-
polnischen Quellen stammende und nicht unwahrscheinliche
Nachriclit, dafs im Anfange des XII. Jahrhunderts die Pom-
mern die Burg Zantoch erhaut hätten, lä.fst erkennen, dafs es
ihnen gelungen war, den riesigen Urwald, welclier seit unvor-
denklichen Zeiten die Grenze zwischen den beiden Slaven-
völkern gehildet hatte, zu durchbreclien und an der Netze
einen passenden Flufsübergang zu befestigen. Dieser ungeheure
Grenzwald ist es auch gewesen, den Bischof Otto von Bam-
berg hei seiner ersten Missionsreise 1124 — aus Gnesen
kommend — von Uscie bis nach Pyritz in neun Tagen durch-
reist hat. Durch das Wachsen und die Ausbreitung der Herr-
schaft der Askanier wurden im XIII. Jahrhundert die alten
Besitzverhältnisse erst gelockert, dann vollständig verändert.
Von Oderberg aus haben diese Fürsten, die ununterbrochenen
Streitigkeiten zwischen Polen und Ponunern klug benutzend,
den Strom überschritten und nach Gründung der Burg Morin
und nach Eroberung der schon im X. Jahrhundert erwähnten
Burg Zehden 1250 das Land Lebus mit dem festen Platze
Küstrin erworben. Vermuthlich hat der Templer-Orden, wel-
cher schon früher, seit 1232, in dieser Gegend sowohl von den
polnischen wie pommerschen Fürsten einen aufserordentlichen
Grundbesitz um Quartschen geschenkt erhalten hatte, die Aus-
breitung der deutschen Herrschaft unterstützt, denn nach der
Gründung von Neu-Landsberg — im Gegensatze zu Alt-
Landsberg östlich von Berlin — 1257 trat er den Mark-
grafen aufser der Stadt Küstrin grofse Gebiete um Soldin
1262 ab. Weitere Landestheile um Zantoch wurden als Mit-
gift der Braut durcli die Vermählung des Markgrafen Conrad
mit der Herzogstochter Constanza 1260 erworhen. Unter lang-
wierigen und opfervollen Kriegen bald gegen Pommern, bald
gegen Polen wurden bis gegen 1292 die Gebiete um Bernstein,
Lippehne, Dramburg und Schiefelbein erobert und einverleibt.
Schon während der Kämpfe, nocli mehr nach ihrem Ab-
schlusse haben die siegreichen Fürsten Johann, Otto und Con-
rad den Anbau des Landes und die Anlage von Städten mit
dem glücklichsten Erfolge rastlos gefördert. Hunderte von
deutschen Dörfern wurden besiedelt und gröfsere wie kleinere
Städte erbaut. In dem letzteren Sinne genügt es, Bärwalde,
Königsberg, Schönfliefs, Bahn, Soldin, Arnswalde, Friedeberg,
Berneuchen, Lippehne, Berlinchen, Dramburg und Schiefelbein

— alle zwischen 1270 und 1295 entstanden — zu nennen.
Gleichzeitig trat auch die Kulturarbeit seitens des Cistercienser-
Ordens fördernd hinzu, vertreten durch die Klöster Walken-
ried, Lehnin, Chorin und Kolbatz, welche trotz der weiten
Entfernung unangebrochenen oder wüstliegendeu Landbesitz in
der Neumark sich schenken liefsen, um auf ihre Bechnung
und Gefahr neue Dörfer darauf zu gründen oder Tochter-
klöster, wie z. B. Marienwalde — 1286 von Kolbatz gestiftet

— ins Leben zu rufen.

Die kircliliche Baukunst hat in jener ersten Epoche über-
wiegend — man kann sagen ausschliefshch — das in un-
geheurer Fülle als Geschiebe ausgebreitete Material des Granites
verwerthet; denn des Ziegelbaues hat man sich nur für ganz
vereinzelte wichtige Bauten ausnahmsweise bedient. Nebeu
beiden Bauweisen hält dagegen die Profanbaukunst einschliefs-
lich des Wehrbaues sehr lange an der Verwerthung des Holzes
unter Benutzung von Lehmpatzen fest. Bald aber dringt der
Backsteinbau durch und beherrscht schliefslich fast alle Gebiete
mit Ausnahme desjenigen der ländlichen Baukunst.

Dafs in der Neumark eine so ruhige und gleichmäfsige
Entwickelung in der Baukimst, wie die westliclien Landestheile,
insbesondere die Mittelmark und Altmark in ihren Baudenk-
malen sie darstellen, nicht zu Stande gekommen ist, sondern
dafs auf der einen Seite vielfache Lücken vorhanden sind und
auf der anderen Seite jähe Sprünge gemacht wurden, hängt
mit dem nicht zu übersehenden Umstande zusammen, dafs die
Neumark fortdauernd der Tummelplatz fehdelustiger und ehr-
geiziger Nachbaren gewesen ist und lange Friedensjahre nur
selten genossen hat. Man liat deshalb hier immer derb und
trotzig, auch solid, aber selten künstlerisch vollendet gebaut,
weil es an ruhiger Sammlung fast immer fehlte. Aus cler
ersten Kolonisations-Epoclie sind aufser den vielen Dorfkirchen
zahlreiche Granitbaureste an den Pfarrkirchen, Thoren und
Mauern fast aller Städte noch erhalten, welche mehr oder
weniger der Wende des XIV. Jahrliunderts angehören und das
wachsende Selbstgefühl der von Westen her eingewanderten
Geschlechter durch den stetig gesteigerten Mafsstab in den
Kirchthürmen bekunden. Ein grofser Unterscliied wircl hier
erkannt, wenn man die Pfarrthürme von Schönfliefs und Bär-
walde — 1280 — 90 — mit denen von Arnswalde und Soldin
— 1290 —1300 — vergleicht, während die Wehranlagen,
Mauern, Weichhäuser und Thore viel gröfsere Uebereinstim-
mung zeigen. In der Frühzeit hat man bei Kirchen am Basi-
likabau festgehalten, z. B. in Friedeberg und Berlinchen, viel-
leicht auch in Königsberg; später überwiegen, ja herrschen die
Hallenkirchen.

Die Bettelorden, obschon ihre Bauten weder zahlreich
noch grofs sind, haben ganz besonders den Ziegelbau bevorzugt
und eingebürgert, weii sie bei ihrer Armuth die Baupflege ver-
mindern und möglichst feuersicher wohnen wollten. In solcliem
Sinne waren auch sie Kulturförderer und ihre leider sehr zu-
sammengeschmolzenen Kirchen- und Klosterbauten zu Königs-
berg um 1290, Soldin 1280 und Arnswalde 1280 sind von
besonderer Wichtigkeit. Einzelne Stäclte haben ziemlich früh
ihre Armenliöfe und Aussätzigenhäuser erhaut und sie, sowie
bald darauf auch die Kirchhöfe mit Kapellen ausgestattet, z. B.
Königsberg in St. Spiritus und St, Georg um 1310 oder Soldin
in St. Gertrud um 1320. Leider hat der furclitbare Einfall
der Polen und Lithauer im Jahre 1325 die vor den Thoren
liegenden älteren Bauwerke dieser Gattungen hesonders hart
betroffen und spätere Zeiten liaben durch Armuth, Schwäche
und Trägheit das Ihrige gethan, um sie verschwinden zu lassen.
Unter den Ordenskirchen dieser Zeit ragt die Johanniter-
Kapelle zu Quartschen — vor 1350 — an Ivunstwerth be-
sonders hervor, und ihr darf, soweit bei der Kärglichkeit des
Materiales ein Urtheil möglich ist, die damals neu erbaute
Klosterkirche von Marienwalde angeschlossen werden.

Die kriegerischen Zeiten, welche mit der Kückkehr des
Markgrafen Waldemar begannen und die Neumark besonders
stark betrafen, haben nur für die Befestigungsbaukunst förderlich
gewirkt, denn aller Orten hat man die alten Werke verstärkt
oder neue errichtet, So in Woldenberg, Arnswalde und Königs-
berg. Die letztere Stadt, durch Thatkraft und Wohlstand vor
den anderen hervorragend, erneuerte dann gegen das Ende des
XIV. Jahrliunderts von 1389 — 1407 ihre alte Pfarrkirche
St. Maria als grofsartiges, innen wie aufsen künstlerisch durch-
 
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