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stabe und in reiclieren Formen neu zu erbauen. Dieser Bau
bat sebr lange gedauert und ist für die Entwickelung der
mittelalterlichen Baukunst in der Neumark bis nach Pommern
hinein epochemachend gewesen. Ihm folgte der stattliche Neu-
bau des Rathhauses und einiger ebenso stark bewehrter wie
künstlerisch durchgebildeter Thore, kurz eine Reihe von Denk-
mälern, die den Wohlstand und den Ivunstsinn der Bürger
jener Zeit ehrenvoll verkünden.

Die Stadt besitzt noch jetzt an Denkmälern aufser der
grofsen Pfarrkirche die stattlichen, wemi auch verwahrlosten
Reste des Augustiner-Klosters, ferner zwei Kapellen St. Georg
und St. Gertrud, das Rathhaus und drei Thore, das Schwedter,
Bernikower und Yierradener Thor, sowie einen Mauerthurm
und grofse Theile der beschädigten Ringmauer nebst den Weicli-
häusern.

Pfarrkirche St. Maria.

Historisches.

Das wahrscheinlicher Weise um 1255 mit deutschem
Stadtrechte ausgestattete Dorf Königsberg liat sicher eine aus
Feldsteinen und Granitquadern erbaute Kirche besessen, aber
über ihre Form und Gröfse ist nichts bekannt. Ebensowenig
läfst sicli die Frage sicher entscheiden, ob man sie bei dem
raschen Anwachsen der Stadt während des XIII. Jahrhunderts
erweitert hat und in welcher Weise. Eine Erweiterung ist in
der Mitte des Jahrhunderts um deswillen wahrscheinlich, weil
der Johanniter-Orden nach der schmachvollen Vernichtung des
Templer-Ordens 1310 dessen Giiter erworben und damit auch
das Patronatsrecht über die Kirche gewonnen hatte. Ob er
selbst viel gethan, steht dahin, aber die urkundlich bezeugte
Tliatsache, dafs 1333 und 1334, ja selbst noch 1350 ’) Gilden
wie Bürger neue Altäre stiften oder ältere reich beschenken,
spricht auf Grund zahlloser Analogien aus der Baugeschichte
des Mittelalters für die obige Yermuthung. Gegen das Ende
des XIV. Jahrhunderts ist dann der grofsartige Neubau erfolgt,
der eine hohe Zierde nicht blos der Stadt, sondern der ganzen
Mark Brandenburg noch heute ist.

Diese Thatsache wird zunächst wieder daran erkannt, dafs
in einem Jahre — 1399 — zwei neue Altäre gestiftet werden,
erstlich ein Altar St. Jakob durch die Wollenweberzunft,
sodann ein reich f'undirter Marien-Altar durch die Marien-
brüderschaft an der Marienkirche selbst. 2) Dazu kommt in
entscheidender Weise die Nachricht, dafs ein Königsberger
Rathmann Henning Brandenburg einen noch reicher fundirten
Altar St. Jakobus und Philippus im Jahre 1406 im neuen
Chore 3) stiftet. Endlich ist im vorigen Jahrhundert bei dem
Abbruche des Hochaltares die Weiheurkunde gefunden worden,
in welcher es heifst, dafs der General-Yikar des Bischofs von
Camin am 7. Oktober 1407 geweiht habe: 4) chorum et summum
altare ecclesie parochialis hujus oppidi Konighesberg. Weil der
Bau, wie eine lokale Uebei’lieferung besagt, achtzehn Jahre ge-
dauert haben soll, 5) so liegt die Vermuthung nahe, dafs man
mit dem Abbruche des alten Cliores, denn um diesen handelte
es sich zunächst, 1389 begonnen liat. Jene urkundliche Be-
glaubigung wird auch noch dadurch bestätigt, dafs in den
letzten Woclien vor der Weihe zwei Altäre in der neuen
Kirche gestiftet werden. 6) Dafs alsdann der Bau weiter ge-
führt worden, ersieht man aus weiteren Stiftungen 1408, 1410,

1) Riedel XIX, S. 193, 195 und 220.

2) ! Riedel a. a. O. S. 287 u. 288.

3) Der Zusatz „im neuen Chore“ befindet sich nur bei Kehrberg, Gesch.
v. Königsberg, II. Abthig. S. 94, aber nicht in dem lückenvollen Abdrucke bei
Riedel a. a. O. S. 293.

4) Kehrberg, Gesch. v. Königsberg, I. Abthlg. S. 90 und Riedel XIX,
S. 297.

5) Kehrberg a. a. O. S. 89.

6) Riedel XIX, S. 295 u. 296.

1428, von denen eine Schenkung der Wittwe des Maurer-
meisters Mathias 1431 nicht unwichtig ist, weil wahrscheinlich
ihr Mann am Ba,u beschäftigt gewesen war. Nachdem im
Jahre 1451 eine Schenkung von 100 Mark zur Hilfe des
Baues und 1459 eine solche von 10 Mark zu demselben
Zwecke erfolgt war, hat man im Jahre 1479 an der Südwest-
Ecke die stattliche St. Anna-Kapelle erbaut. Erst gegen das
Ende des Jahrhunderts scheint der Bau ganz fertig gewoi'den
zu sein, weil 1489 mehrfache Stiftungen zur reicheren Aus-
stattung mit Lichtern erfolgen. 1)

Im XVI. Jahrhundert — 1580, 1583 und 1596 — 98 —
ist dann mehrfach die Rede von Reparaturen an Dächern und
Fenstern, bald nachdem der Meister H. Richter von Küstrin
1543 auf dem Westtliurme eine Holzspitze erbaut hatte. Diese
mufste schon 1621 —1628 durch eine andere ersetzt werden,
welche Merian 1652 abgebildet hat. Nach dem dreifsig-
jährigen Kriege fingen die Ausbesserungen in grofsem Umfange
wieder an, so 1647, 1657 und 1670. Im Jahre 1668 er-
neuerte man den Dachreiter, 1681 — 83 den Dachstuhl und
1684 wiirde die Kirclie, deren Gewölbe bis dahin noch ihre
figürliclien Malereien bewahrt hatten, abgeweifst und 1686 neu
beflurt. Gleich darauf, 1686 — 87 — 92, wird auch die hohe
Thurmspitze durch Clir. Fischer von Stettin neu erbaut. Dann
wurde das Innere gefördert, indem man die üppige Barock-
kanzel, welche der Bildschnitzer Georg Mattarnovy von Schwedt
angefertigt hatte, 1714 aufstellte. Die schwerste Bescliädigung
erlitt die Kirche erst in neuerer Zeit, indem der schadhaft
gewordene Westthurm 1843 nach Süden hin abstürzte und die
angebaute St. Anna-Kapelle zerstörte. An die Stelle des völlig
abgetragenen Thurmes trat 1859 — 61 ein Neubau nach Ent-
würfen von Soller und Stiiler, der, jeden Anklang an märkische
Baukunst vermeidend, moderne Neugothik zur Erscheinung
brachte, wie sie die Kirchen St. Peter und St. Bartholomäus
in Berlin darstellen.

Der damals aufgeführte backsteinerne Helm, aus nicht
wetterbeständigen Ziegeln erbaut, mufste 1881 abgetragen und
1882 erneuert werden. In der jüngsten Zeit ist das Innere
in mehrjähriger, sehr sorgfältiger und — abgesehen von einigen
mifslungenen Wand- und Deckenmalereien — stilistisch rich-
tiger Weise sehr würdig wieder hergestellt worden. 2)

Baubeschreibung.

Wie der Grundrifs Blatt CVII Fig. 2 erkennen läfst, ge-
hört St. Maria zu den gröfsten Kirchen; auch theilt sie mit
St. Maria zu Prenzlau den seltenen Vorzug, ein einheitliches
Gepräge zu besitzen. Es ist eine dreischiffige, gewölbte Hallen-
kirche mit dreischiffigem Polygonchore, welche durch einen
Kranz von Kapellen, die iiberall zwischen den Strebepfeilern
angeordnet sind und über ihren Gewölben einen sehr breiten
Laufgang tragen, sich oben und unten fünfschiffig erweitert,
wie solches der Querschnitt Fig. 1 erkennen läfst. Er gewährt
auch eine Anschauung von den mustergültigen Verhältnissen
und der reichen Durchbildung. Die Plinthe besteht aus grofsen
Granitblöcken, alle übrigen Bautheile aus hellrothen oder gelb-
lichen Ziegeln unter reichlicher Verwendimg von dunkelgrünen
Glasursteinen. Im Mittelschiffe herrschen Sterngewölbe voi', in
den Seitenschiffen und unteren Kapellen drei- und vierkappige
Kreuzgewölbe; die zweijochige Marien-Kapelle an der Südseite
und die untergegangene, hier dargestellte St. Anna-Kapelle
südlich vom Thurme besitzen oder besafsen Sterngewölbe. Die
oberen Schiffsfenster sind viertheilig, die unteren Kapellen-
fenster überwiegend dreitheilig. Vergleiclie den Querschnitt
Blatt CVII Fig. 1 mit dem Systeme der Nordseite auf

1) Alle diese Naehrichten theils bei Kehrberg, theils bei Riedel a. a. O.

2) Dieser j üngste Wiederherstellungsbau ist eine verdienstvolle Lcistung des
Baurathes Peveling.

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