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rastlos bemühten, ihre Herrschaft nach dieser Gegend aus-
zudehnen, so kam diese doch schon seit etwa 1255 unter
brandenhurgische Hoheit. 1) Bald darauf mufs Arnswalde ge-
gründet worden sein, denn 1269 erfolgte hier die Belehnung
des pommerschen Herzogs Mastwin II. mit den von ihm den
Markgrafen Johann, Otto und Conrad aufgetragenen Gütern. 5)
Spätere Urkunden von 1291 —1313 lassen die besondere
Gunst imd Fürsorge für die an der Wildnifs belegene Stadt
erkennen. Dafs sie aufgeblüht ist, beweist die Ansiedelung
der Franziskaner vor 1280. Nachdem der Johanniter-Orden
als Kechtsnaclifolger der Templer das Patronat der Pfarrkirche
1309 erhalten hatte, erfolgte die päpstliche Bestätigung 1312.

Im Jahre 1338 wird des Franziskaner-Klosters und 1350
des in der Pfarrkirche neu gegründeten Jakobi-Altares ge-
dacht. 3) Als die Herrschaft des deutschen Ordens zu wanken
begann, kam die Stadt im Jahre 1433 während des Hussiten--
Einfalles an Pommern, doch nur auf kurze Zeit, denn 1436
gehörte sie wieder dem Orden und empfing von diesem 1441
„wegen der getreuen Dienste“ werthvolle Bechte. 4) Mit dem
Jahre 1454 begann dann die Herrschaft des Plolienzollern-
hauses, dessen Markgraf Friedrich II. 1466 der Stadt alle
ilire Bechte und Freiheiten bestätigte. 5)

Die weiteren Naehrichten sind ohne Belang.

Die Pfarrkirche St. Maria.

Baubeschreibu ng. 6)

Diese Plallenkirche grofsen Mafsstabes besteht — vergl.
den Grundrifs Blatt CXYI Fig. 1 •— aus dem mäclitigen,
nahezu quadratischen Westthurme, dem dreischiffigen Lang-
hause von vier Jochen und dem einschiffigen Langcliore von
drei Jochen, welchen ein verschobenes lialbes Sechseckjoch
polygonal abschliefst. Das Langhaus ist im Mittelschiffe mit
inodernen Sterngewölben nach alten Schemaresten iiberdeckt,
der Chor mit alten oblongen Kreuzgewölben; auch clie Gewölbe
im Seitenschiffe sind noch die alten. Ein mächtiger Giebel,
mit zwanzig schlanken Lanzettblenden gegliedert, trennt das
liolre Schiffsdacli von dem niedrigen Chordache. Im Südost-
ächsel liegt eine zweijochige niedrige Kapelle, jetzt Sakristei,
welche auf alten Fundamenten mit den Steinen einer im Xord-
ostächsel belegenen älteren Kapelle neu aufgebaut worden ist.
Die beiden Treppenthürme an den Ecken der Westfront —-
unten quadratisch, oben achteckig — sind Friichte der jüng-
sten, in den fünfziger Jaliren erfolgten Wiederherstellung.

Aus der Stellung der vier östlichen Strebepfeiler zu den
Kreuzgewölben ist sicher zu schliefsen, dafs man entweder
schon während des Baues von dem ursprünglichen Plane ab-
gewichen oder bei einer späteren Wiederlierstellung zu der jetzt
vorhandenen inkonsequenten und deslialb wenig befriedigenden
Eintheilung der Gewölbe übergegangen ist. Befremdend sind
zwei weitere Eigenthümlichkeiten des Grmidplanes: 1. der
auffalllend gedehnte Langchor, welclier besser für eine Stifts-
kirche als für eine Pfarrkirche passen würde, und 2. der
kolossale Westthurm, dessen Mafse von 49 Fufs Breite zu
44 Fufs P'iefe mit den entsprechenden Mafsen an Münster-
kirchen und Kathedralen wetteifern. Gleicliwohl ist der völlig
einheitlich gedachte Bau innen wie aufsen von hohem künst-
lerisclien Werthe, docli überwiegt das Innere durch den Adel
der Verhältnisse und die klare, übersichtliche Baumgestaltung_
Yergl. Fig. 3, Querschnitt durch den Clior, und Fig. 4, System
des Inneren. Leider hat die jüngste Bestauration hier Ver-
änderungen vorgenommen, welche vom Standpunkte der Denk-
malpflege nicht zu rechtfertigen sind. Man hat die alten, in

1) v. Eaumer, Neumark, S. 36 ff. 2) Eiedel B. I, S. 101 ff.

3) Eiedel XVIII, S. 21. 4) Eiedel XVIII, S. 39—41.

5) Eiedel XVIII, S. 44 ff. 6) Gutes Schaubild bei Bergau S. 140.

gefugtem Ziegelwerke erbauten sclilicliten Aehteckspfeiler iiber-
putzt und mit reichen, zweireihigen Laubkapitellen — nach
Vorbildern am Westlettner von Naumburg — aus Stuck ver-
schönert; vergl. Fig. 4. Man hat ferner die einfachen rund-
bogigen Wandnischen unter den Fenstern des Chorpolygons
mit steigenden spitzbogigen Ivleinarkaden, gleichfalls aus Stuck,
gefüllt — vergl. Fig. 3 —, welche früher nicht da waren und
diesen vornehmen Bautlieil nicht verschönern, sondern ent-
stellen. Nocli schlimmer ist es den liohen dreitheiligen Fen-
stern im ganzen Bau ergangen. Diese reichten einst bis zu
dem Gurtgesimse herab, welches in gleicher IPöhe aufsen wie
innen den Bau umlief und die Höhenmafse vortrefflicli
theilte. Bei dem Einbau der Emporen in den Seitenschiffen
wurde es der gröfseren Lichtzufuhr halber nothwendig, neue
Unterfenster anzulegen. AVeil man diese aber unnütz grofs
inaclite, mufste man nicht nur das Gurtgesims in Knicken
aufsen auf- und absteigen lassen, sondern auch noch eine be-
sondere, mit drei Blenden besetzte Brüstung clen Fenstern
unterlegen; vergl. Fig. 2 und 4. Durch die Zwangslage —
Emporen einzubauen — hätte sich diese Mafsregel für das
Langhaus noch rechtfertigen lassen, aber dafs man sie willkür-
lich auf den Chor ausgedelint und hier in den schönen Kranz
von neun hohen dreitheiligen Fenstern noeh höhere Brüstungen
als im Langhause eingesetzt hat, ist in keiner Weise zu reclit-
fertigen. Denn man hat dadurch den herrlichen künstlerischen
Gegensatz zwischen dem mit einer Fülle von Licht aus-
gestatteten Chore und dem mäfsig hellen Langhause für lange
Zeit — hoffentlich nicht für immer — beseitigt, 1) Vergl. Fig. 3
mit Fig. 2 und 4. Ebenso bedauerlicb ist es, dafs man das
jetzt vorhandene Mafswerk nicht mit Hilfe geretteter Bruch-
stücke des alten Mafswerkes sorgsam wieder hergestellt hat,
sondern auf Grund eines erfundenen modernen Schema’s, wel-
ches bei den unglücklichen Bestaurationen der oben erwähnten
Zeitepoche in der Neumark oft. wiederkehrt. Dagegen scheint
das Hauptgesims, wenn aucli ein wenig gewandelt, alten Besten
nachgebildet zu sein. Fig. 7 veranschaulicht dasselbe, wie
Fig. 6 von der modernen Brüstung eine Vorstellung giebt.
Wohlerhalten und richtig ergänzt sind die einfaclien straffen
Profile der meisten Fenster — Fig. 5 — und Pforten -—
Fig. 8 —, Seitenportal von der abgebrochenen Kapelle im
Nordostächsel hierher übertragen und Blatt CXVII Fig. 1
Hauptportal sowie daselbst Fig. 2 der erneuerte Fries über
dem Hauptportale.

Dafs die Sterngewölbe des Langhauses trotz guter Tech-
nik der jüngsten Restauration angehören, ersielit man an den
dreifacli gebiindelten Bundstabrippen mit ihren durclibohrten
Schlufssteinen. Die Dienste im Chore, welche jetzt bis zum
Fufsboden binabgefülirt sind, entsprangen einst, wie in so
vielen anderen Kirchen, auf massiven Backsteinkonsolen, und
daraus darf man schliefsen, dais hier an den Langseiten ein
Chorgestühl für den Bath und die Gewerke bestanden hat,
wie z. B. in St. Maria zu Stendal, oder beabsiclitigt gewesen ist.

Bemerkenswertli ist an der Südwand des Langcliores —
im ersten Joclie von Osten ab, vergl. den Grundrifs — eine
aus drei Arkaden bestehende Leviten - Nisclie und über ihr,
aus Thonplatten hergestellt, ein Belief, den Stammbaum Christi
darstellend -— mit kleinen Figuren, dem Cruzifixe und den
Gestalten von Maria und Joliannes —, welches wahrscheinlich
aus dem XIV. Jahrhundert herrührt und eine ebenso seltene
wie achtbare Leistung der Plastik in der Neumark ist.

Der in fünf Geschossen aufsteigende und jetzt mit einem
vierseitigen Zeltdache abgeschlossene Westtliurm — Bl. CXVII
Fig. 3 — besitzt unten neun bis zehn Granitquaderschichten,
darunter eine sorgfältig abgeschmiegte Plinthenschicht. Alles

1) Yor der Eestauration mufs die Kirche mit ihrem schönen und licht-
erfiillten Langchore einen ähnlichen weihevollen Eindruck gemacht haben, wie die
Klosterkirche in Berlin.

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