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Ueber dem Sandsteinsockel erhebt sich der Oberbau fast
überall mit einer gewöhnlichen Scliicht, welcher unmittelbar
die abgeschmiegte Schicht folgt, aus der, wie der Holzschnitt
darstellt, die Lesinen entspringen. Ebenso gegliedert ist uoch
die Langmauer des südlichen Nebenchores, während seine
Apsis und der ganze nördliche JSTebenchor nebst
Apsis ein attisches Basenprofil (Yergl. Blatt XXII
Fig. 2) erhalten iiaben. Die Hauptapsis entbehrt
dieses Schmuckes, sie folgt wieder der Gliederung
des Langhauses, indem ihre drei Fenster unmittel-
bar über dem Schmiegenstein aufsetzen, aber diese
' Abweichung beruht auf dem Wunsche, die Fenster

so niedrig als möglich anfangen zu lassen, damit der Chorfufs-
boden durch den Kryptaeinbau nicht zu hoch zu liegen käme.
Daher gehört der Apsissockel zweifellos zum ersten Bau.

Ein zweiter wichtiger Nachweis für das hohe Alter der
Kirehe ist die Tliatsaclie, dafs das ursprüngliche Kranz-
gesims über dem ganzen nördlichen Seitenschiffe völlig
intakt erhalten ist. (Yergl. Bl. XXIII Fig. 4 und Bl. XXII
Fig. 12.) Dieses Gesims stimmt in Gröfse, Form und technischer
Behandlung genau mit den Gesimsen iiberein, welche die alten»
sicher im XII. Jahrhundert entstandenen Dorfkirchen bei
Jeriehow und Werben (Berge urkundlich 1151 vorhanden) und
Brandenburg besitzen. Insbesondere ist die Dorfkirche St. Niko-
laus vor letzterer Stadt hierfür von entscheidender Wichtigkeit,
wie Blatt IV Fig. 9 und 10 erkennen läfst. Auch die süd-
liche Seitencchiffsmauer ist noch wohl erhalten und besitzt ihr
altes Kranzgesims, doch hat man dasselbe wegen seiner Lage
am Kreuzgange erheblich reducirt; es besteht nämlich nur
aus dem oberen Konsolenfriese, Blatt XXII Fig. 12.

Alterthümlich ist ferner die Yertlieilung der Mittellesinen
an der Nord- und Südmauer, insbesondere die naive Yer-
schmelzung der letzten Mittellesine mit dem kleinen Nord-
portale, deutlich erkennbar auf Blatt XXIII Fig. 4 und sehr
ähnlich der Siidpforte am Chore von Redekin (1180 vor-
handen). Man vermifst hier jede Achsenbeziehung zu den
inneren Säulen, ja an der Südmauer ist nur ein einziger Mittel-
streifen vorhanden. Leider felilen sämmtliche Unterfenster;
man hat sie am Schlusse des XV. Jahrhunderts, etwa 1490,
durch gepaarte spätgothische Flachbogenfenster ersetzt. Diese
nachträgliche Veränderung liefert werthvolles Material zur Bau-
geschiclite des Werkes, weil sie sich leieht durch die Annahme
erklären läfst, dafs die alte Ivirche wegen ihrer zu kleinen
Fenster eine stärkere Lichtzufuhr dringend erforderte. Nocli
jetzt ist ja die Kleinheit der Fenster am Querschiffe und
Chore, auf welche ich schon 1860 Band I S. 40 hingewiesen
habe, befremdend und gegenüber den grofsen Hauptapsisfenstern
nur verständlich, wenn man darin das höhere Alter der
Ersteren erkennt. Wahrscheinlich ist die Erkenntnifs des ein-
tretenden Liclitmangels den Klosterbrüdern schon während des
Baues, und zwar gleich nach Vollendung der Osttheile, ge-
kommen, denn man hat im Langhause die Zahl der Ober-
fenster an jeder Seite um eins vermehrt und damit jede
Achsenbeziehung auch nach unten aufgegeben, wie solches der
Längenschnitt Blatt XXIII Fig. 1 zeigt. An dieser Stelle
konstatire ich gegen die Schäfer’sche Beliauptung — die Ober-
fenster seien innen abgesetzt —, dafs alle Oberfenster ohne
Ausnahme innen wie aufsen geschmiegt sind, also denselben
echten alten Baucharakter wie die Dorfkirchen überliefern.
Damit ist aber für meine Annalime, dafs auch die sämmt-
lichen Mauern des Langcliores und des Querschifles (olme die
Giebel) zum alten Baue gehören, eine weitere Stütze gewonnen-
Wenn schon aus diesen Gründen die Bichtigkeit meiner
Zeitstellungen hervorgeht, so führt eine Prüfung des Inneren
zu dem gleichen Ergebnifs. Die Basis der Säulen zeigt eine
so eigenartige, von denen aller andern Säulen und Pfeiler
abweichende Fassung (vergl. Blatt XXII Fig. 1), dafs man sie

als einen ersten nicht wiederholten Yersuch des Meisters be-
zeichnen mufs. Dagegen lassen die sandsteinernen Abakusplatten
iiber den Säulen und Vierungspfeilern, sowohl in ihren Profilen
wie in ihrer Meifselarbeit die altsächsische Steinmetzkunst und
Technik deutlich erkennen, wie sie in der ersten Hälfte des
XII. Jahrhunderts namentlich an den Klosterbauten der beiden
Sprengel Magdeburg und Halberstadt sich ausgebildet hatte.
Was damals hier in Jerichow gefertigt wurde, ist alles schlicht,
lierb und alterthümlich. Auf Blatt XXII Fig. 3 — 6 sind ein-
zelne derb profilirte Deckplatten der Würfelkapitelle dargestellt
worden; es giebt aber aueh andere mit Flachreliefs dekorirte
Abaken, wie das auf Blatt XXII Fig. 1 bereits veröffentlichte
Kapitell. Zwei weitere charakteristisclie Beispiele, die nach
genauen Aufnahmen wiedergegeben werden, veranschaulichen
die folgenden Holzschnitte. Das eine — Blatt- und Ranken-

schema — befindet sich am Nordwest-Yierungspfeiler, das
andere mit den rolien Gesichtern trägt die Nordost-Säule des
Schiffes (Nordfläclie). Für beide Schemata lassen sich die eng
verwandten Vorbilder in sächsischen Kirchen, z. B. Walbeck,
Magdeburg, Wester-Gröningen, Quedlinburg u. A. nachweisen,
deren Ursprung in die erste Hälfte des XH. Jahrliunderts fällt.

Im vollen Gegensatze zu diesen alten Bautheilen stehen
nun die jüngeren, welclie die Hauptapsis, die Nebenchöre, die
drei Giebel und den Einbau der Krypta umfassen. Wenn
die äufsere reiche abgestufte Gliederung der clrei Apsisfenster
— nach Innen sind sie geschmiegt — den gereiften romanischen

Stil des XIII. Jahrhunderts sofort erkennen läfst _ vergl.

den Holzschnitt auf S. 39. —, so spricht ihre unverhältnifs-
mäfsige Gröfse für die Notliwendigkeit, in der Kirche melir
Licht zu schaffen. Und die Richtigkeit dieser Annahme he-
stätigt die ganz singuläre Anordnung zweier Rundfenster in
der östlichen Chormauer oben im Giebel rechts und links
vom Daclie der Apsis, welclie keinen andern Zweck gehabt
haben kann, als die Lichtzufulir zu verstärken. 1) (Yergl. die
Chorfront auf Blatt XXIII Fig. 2.) Bis zu dieser Stelle —
Unterkante der Rundfenster — ist also damals der Chorgiebel
abgetragen worden, während die beiden Kreuzgiebel nur so
weit abgetragen wurden, als es nothwendig war, um an Stelle
des alten einfachen Bogenfrieses wie am Nordseitenschiffe, den
neuen durchschlungenen mit Sägeschicht aufzuführen.

Der nachträgliche Anbau der beiden' Nebenchöre an den
Hauptchor gelit aus mehrfachen Kennzeichen hervor. Erstens
besitzen sie — mit Ausnahme der Südmauer der südlichen
Apsis — die reichsten backsteinernen Plinthen an der ganzen
Kirche, zweitens sind ihre Apsisfenster nicht mehr geschmlegt,
sondern wie die der Hauptapsis nacli aufsen gestuft (wenn
auch einfacher), drittens tragen sie — wieder mit Ausnahme
der Südwand. arn südlichen Nebenchore — dasselbe reich ge-

1) Leider sind diese beiden Kreisfenster in der oben angeführten Brecht-
schen Stichzeichnung im Querschnitte nicht wiederholt worden.
 
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