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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 3.1885

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Nr. 6
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Schwarz, Franz Joseph: Grammatik der kirchlichen Baukunst, [6]: Grundriß
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https://doi.org/10.11588/diglit.15861#0058
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54

nahe zu bringen, wendet sie sich nicht."
Nicht das Christenthum bemächtigt sich der
Kunst, sondern umgekehrt, weil es kein
formbildendes Gesetz in sich trägt. „In-
dem das Christenthum sich zu dem Berufe
entschied, das in Juda entsprungene Heil
den Heiden zu bringen, mußte es noth-
wendig auch zur schönen Kunst irgendwie
Stellung nehmen; es begegnet ihr täglich,
auf Schritt und Tritt; seine Gottesdienste
hält es in den Häusern der Gemeinde-
glieder, in Räumen, für deren Bil-
dung es von sich aus kein Gesetz
m i t b r i n g t, deren künstlerische Form und
Ausstattung es beläßt, wie es sie findet,
weil sie ihm gleichgiltig und bedeutungs-
los sind. So tritt die christliche Reli-
gionsübung wohl schon frühe in Berührung
mit der Kunst, aber es ist eine Berührung
wie zwischen Wasser und Oel! Kann es
auf die Dauer dabei bleiben? Entwe-
der wird die Kunst zu einem wah-
ren und inneren A n t h e i l a n d e r
Religion durch dringen — oder sie
wird überhaupt werthlos werden, verküm-
mern, schwinden". Die Anschauungen,
welchen eine so durch und durch falsche
Auffassung entspringt, treten noch deut-
licher in folgenden Worten an das Tages-
licht: „„Gott ist ein Geist, und die ihn an-
beten, die müssen ihn im Geiste und in der
Wahrheit anbeten"". „„Er wohnt nicht
in Tempeln, die mit Menschenhänden ge-
macht sind; sein wird auch nicht von Men-
schenhänden gepflegt, als der jemandes be-
dürfe."" „„Wo zwei oder drei versammelt
sind in meinem Namen, da bin ich mitten
unter ihnen."" „„Und wenn du beten
willst, so gehe in dein Kämmerlein und
schließe die Thür hinter dir zu."" „Das
ist die Gesinnung des ältesten Christen-
thums. Aber noch sind nicht drei Jahr-
hunderte seit dem Krenzestode des Stif-
ters dahingegangen, und das römische
Reich vom Nil bis an den Rhein, vom
Euphrat bis an die Säulen des Herkules,
wird erfüllt von ungezählten christlichen
Tempeln, strahlend in allem erreichbaren
Glanze von Marmorsäulen, Mosaikgemäl-
den, Goldschmuck, Purpurseide; Schau-
plätzen umständlicher, die Wirkung ans die
Sinne nicht verschmähender gottesdienst-
licher Pompe; die weiten Vorhöfe, heili-
gen und allerheiligsten Räume sorglich ge-

schieden nach streng abgemessenen Ord-
nungen der Neophyten, Büßer, Gläubi-
gen, des Laienstandes und der geweihten
Priesterschaft. Welch' ein Kontrast und
Umschwung! Diese Religion, die in be-
wußtestem Gegensatz zu den Religionen
der alten Welt in ihrer Gottesverehrung
ganz geistig, an keine sinnlichen Symbole,
an keine auserwählten heiligen Oerter ge-
bunden sein will; die nicht Tempel noch Tem-
peldienst kennt; für die die schönen Künste,
den Völkern der Antike eines der wichtig-
sten Ausdrncksmittel ihres Verhältnisses
zur Gottheit, so viel wie nicht vorhanden
sind; in deren ältesten Urkunden entfernt
keine, und wären es auch nur mittelbarste,
Andeutungen zu einer künftigen Sakral-
architektur zu finden sind — wie sind sie
dennoch in den Besitz einer solchen gelangt?
Wie ist überhaupt nur eine im vollen
Verstände christliche Architektur —
als welche die von den Christen geübte in
Anspruch genommen wird — möglich?
und was kann, was soll man sich bei die-
sem Worte denken?" (1. Lieferung S. 7,
5 n. 3 f.)

In der That! Wenn die Kirche Christi
unsichtbar, eigentlich keine Kirche, keine
von Christus organisirte Gesellschaft ist,
wenn die christliche Religion „im bewußte-
sten Gegensatz zu den Religionen der alten
Welt in ihrer Gottesverehrung ganz geistig,
an keine auserwählten heiligen Oerter ge-
bunden sein will, nicht Tempel noch Tem-
peldienst kennt; die kein Opfer, keine Prie-
ster, kein auktoritatives Lehramt, keine
Strafgewalt gegenüber den Fehlenden und
Büßenden besitzt; die weiter nichts ist als
der Inbegriff mehrerer oder vieler Vor-
stellungen, Anschauungen, Meinungen reli-
giöser Gattung, von weisen, vielleicht so-
gar gottgesandten Männern in die Form
von Aussprüchen und Lehrsätzen gebracht
und dann seinem Schicksal überlassen und
weiter entwickelt, „selbst unter mancherlei
Einbuße der Reinheit ihrer ursprünglichen
Idee"; — dann allerdings hat und braucht
sie für Bildung ihrer gottesdienstlichen
Räume aus sich „kein Gesetz" ; sie wirft
ihre neuen Ideen in den Strom der an-
derweitigen Elemente der rein mensch-
lichen Kultur, welche, wenn sie nicht aus-
gespült und am Ufer zertreten werden, sich
ihrer bemächtigt, ihnen die Formen der
 
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