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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 3.1885

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Nr. 7
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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Musterschule der monumentalen Malerei, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15861#0073

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69

mindert sich die jugendliche Befangenheit und
kräftigt sich Giotto's eigener Kunstwille.

Nun müssen wir hinabsteigen in die
U n t e r k i r ch e und die Fresken am
Hauptgewölbe über dem Grabe besichtigen.
Hier ist Giotto's Kunstweise fertig und
soweit erstarkt, daß sie sich bereits an
allegorische Darstellungen wagen kann. Die
vier Gewölbezwickel sind ausgefüllt mit den
Allegorien der Armnth, der Keuschheit
und des Gehorsams und einer Glorie des
hl. Franziskus. Diese Bilder sind, mit
Ausnahme des vierten, allerdings mehr
technisch und historisch wichtig, als dem
Gedanken und der Komposition nach nach-
ahmbar. In allegorischen Darstellungen
erscheinen jene Tugenden, also an sich ab-
strakte Begriffe, personisizirt. Der Maler
schildert die mystische Vermählung des hl.
Franziskus mit der Armuth, welche Chri-
stus ihm zusührt, ganz nach der von Dante
herrührenden Allegorie. Die Braut ist in
Lumpen gehüllt und wandelt in Dorn-
gestrüpp, Kinder verfolgen sie und werfen
mit Steinen nach ihr; unter feierlicher
Assistenz von Engeln schließt Jesus den
Ehebund. Noch viel komplizirter und mit
einer Ueberfülle von Symbolik ausgestat-
tet ist die Darstellung der Keuschheit,
die betend in einem wohlverwahrten Thurm
steht, den die Reinigkeit und Tapferkeit
bewachen; die Ascese geiselt die Wollust,
die einen an einem Strang von Menschen-
herzen hängenden Köcher trägt u, s. s.
Gehorsam, Demuth und Klugheit sitzen
auf dem dritten Bilde in einer Säulen-
halle; der „Gehorsam" legt einem da-
knieenden Mönch ein Joch auf's Haupt,
die Vorsicht läßt aus einem Spiegel einen
Strahl auf ein Zwitterthier fallen, das
halb Mann, halb Pferd, halb Stier die
bösen Leidenschaften des menschlichen Wil-
lens repräsentirt u. s. w.

Hier ist alle Kunst und schon ein viel
größeres Verständniß der Natur daraus
verwendet, lebensvolle Bilder zu schaffen.
Wenn gleichwohl dieselben uns nicht be-
hagen, so liegt die Schuld daran, daß die
Kunst hier ihre Grenzen offenbar über-
schreitet. Die christliche Kunst kann des
allegorischen Elementes nicht ganz ent-
behren , aber in solchem Maße, wie in
diesen Bildern geschieht, der Allegorie zu
huldigen, ist zwar der Poesie, nicht aber

der darstellenden Kunst erlaubt. Beim Dich-
ter bleiben die allegorischen Personifikationen
im imaginären Raum des Gedankens; der
Maler muß sie in den wirklichen Raum
hineinsetzen; daraus ergeben sich Unzu-
träglichkeiten, bigame Abstrusitäten. Der
Nachahmung können somit diese Bilder
nicht empfohlen werden; jedes bedarf eines
langen Kommentars, entzieht sich daher
dem populären Verständniß. Anders ver-
hält es sich mit dem vierten Bild: Fran-
ziskus aus dem Glorienthron, von Engeln
umgeben; dies ist einfach und verständlich
und dabei von seligem Frohlocken und
Jubiliren ganz durchtönt.

Abermals eine Stufe höher steht der
Meister, da er im südlichen Querschifs der
Uuterkirche (östliche und westliche Wand)
die Bilder ans der Geschichte Jesu und
des hl. Franziskus malt. Sie sind um-
rahmt durch gemalte architektonische Orna-
mente, die mit kleinen Figuren durchwoben
sind, — Dekorationsmotive von großer
Feinheit. Da er hier theilweise dieselben
Gegenstände wieder darzustellen hat, wie
in der Oberkirche, so sind die Fortschritte
noch leichter zu erkennen. Sie zeigen sich
namentlich in der freieren, sichereren Kom-
position und in der Verbesserung des gan-
zen technischen Verfahrens, namentlich in
besserem und klarerem Auftrag des Kolo-
rits. Besonderer Beachtung sind wegen
ihres guten Arrangements und ihrer aus-
drucksvollen Durchführung werth: die Heim-
suchung, die Anbetung der Könige, die
Darstellung im Tempel, die Flucht nach
Aegypten, die Kreuzigung (nach Jahrhun-
derten wieder der erste Crucisirus, in wel-
chem das Heilsleiden, der Sieg über den
Tod angedeutet ist, — ohne Verzerrung
und Verrenkung, in ruhiger ergebener Hal-
tung), — dann die Auferweckung eines
Todten und eines Kindes durch den hl.
Franziskus. Vieles ist zerstört und nicht
mehr kenntlich.

b) Zwischen 1300 und 1302 malte
Giotto in Florenz die Kapelle des Pa-
lastes des Podesta oder B a r g e l l o, jetzt
Museo nazionale. Er schmückte die Sei-
tenwände mit Bildern aus der Legende der
hl. Magdalena, die Eingangs- und Schluß-
wand mit der Darstellung der Hölle und
des Paradieses (im letzteren Bilde das be-
rühmte Porträt von Dante). Die Ka-
 
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