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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 3.1885

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Nr. 8
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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Musterschule der monumentalen Malerei, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15861#0085

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81

umknieen und umgeben seinen Leichnam
und verehren seine Stigmata; in die Sei-
tenwunde legt der vorher ungläubige Arzt
Girolamo seine Finger. In diese Todten-
feier ist der Meister mit ganzer Seele ein-
gegangen. Er hat sich offenbar gesagt,
daß er hier nicht gewöhnliche Todtentrauer
zur Abbildung bringen dürfe; er schildert
einen Schmerz, der ganz von Glaube und
seliger Freude dnrchklnngen und verklärt
ist, und den Leichnam nicht in Grabeslüfte,
sondern in eine Atmosphäre überirdischen
Lebens hineinbettet. In überaus schöner
Weise hat der Meister dafür gesorgt, daß
bei aller Mächtigkeit der Gefühle, welche
an diesem Sarg Hervorbrechen, doch die
Ruhe des Todes gewahrt bleibe, indem zu
Füßen wie zu Häupten des Leichnams die
fungirenden Priester und Leviten in ge-
messenster liturgischer Haltung postirt sind,
und in ihnen wie im Leichnam die große
Bewegung im Bilde ihre Ruhepunkte findet.

An derartigen Bildern läßt sich der
Geist der kirchlichen Malerei lernen, der
richtige Sinn und Takt für Behandlung
heiliger Themate. Solche Darstellungen
sind auch Großthaten der Kunst, wahre
geistige Triumphe, welche auf die tech-
nischen Fortschritte und Errungenschaften
der späteren Kunst verzichten lassen. Wer
denkt daran, daß diese Architekturen und
Staffagen nicht in den Proportionen der
Wirklichkeit wiedergeben sind, daß diese
Kirchen in gar keinem Verhältnis; stehen
zur Größe derer, welche darin weilen und
wandeln, daß die Scheidung zweier See-
neu einfach durch eine durchgeschobene Wand
eigentlich doch naiv ist, — wir beachten
das kaum und empfinden es hier nicht als
Mangel, sondern als Vorzug; denn wir
fühlen, wie eben diese nebensächliche Be-
handlung der Nebensachen wesentlich mit-
hilft zur Konzentrirung und Betonung des
geistigen Momentes.

f) Die Freskogemälde, mit welchen Giotto
das Kloster und die Kirche Lt. Chiara in
Neapel ausstattete, sind ganz oder fast ganz
zu Grunde gegangen. Die Darstellungen der
sieben Sakramente in der Kirche Lt. Ma-
ria Uell'Incoroirata daselbst stam-
men nicht von ihm, sind aber aus seiner
Schule.

Tafelbilder Giotto's, die jedoch hin-
ter den Freskomalereien Zurückbleiben, fin-

den sich in Mailand, Bologna, Florenz,
im Louvre zu Paris. Ob die in Mün-
chen seinen Namen tragenden kleinen Tafel-
gemälde (Nr. 981—83) von Giotto, oder
nur aus seiner Schule sind, wagen wir
nicht zu entscheiden.

6. Giotto's Schüler.

Giotto selbst hatte mit Werken seiner
Hand ganz Italien von Mailand (wo aber
nur noch eine Madonna von ihm sich in
der Brera findet) bis Neapel besetzt. Diese
Werke bezeichneten den Siegeszug, auf
welchem er Italien eroberte, die ganze bis-
herige Kunstweise verdrängte und seinen
Stil als Alleingesetz für die italienische
Kunst proklamirte. Als er starb, hinter-
ließ er die vaterländische Kunst völlig um-
gestaltet und erneuert.

Eine Schule von der Lebensdauer eines
Jahrhunderts ist das glänzendste Zeugnis;
für die Mächtigkeit und Nachhaltigkeit des
Einflusses dieses großen Geistes. Das; die
Wege dieser Schule sich nicht immer aus
der Höhe der Kunst des Meisters hielten,
daß auch hier auf gute, vom Geist Giot-
to's inspirirte Interpreten seiner Ideen
solche Jünger folgten, welche mehr nur
äußerlich mit seinen Formen spielten, daß
schließlich auch diese Kunstrichtung dem
großen Gesetz des Vergehens und Ster-
bens anheimfiel, — das war der Tribut,
den auch eine geistgeborene, im Dienste
des Ewigen und Uebernatürlichen stehende
Kunst hienieden der irdischen Vergänglich-
keit und menschlichen Unvollkommenheit
entrichten muß. Wir haben im Folgenden
nur die Schüler zu berücksichtigen, welche
entweder in ihren Werken die Gedanken
Giotto's treu wiederspiegeln uub seine For-
menwelt gut uachbilden, oder seine Rich-
tung ausgestalten und weiterfördern, und
wir beschränken uns auf ihre besten Werke
und größten Leistungen aus dem Gebiet
der monumentalen Malerei.

a) Den Zug der Jünger führt in Ehren
an Taddeo Gaddi, geb. um 1300, gest.
1366. Zwanzig Jahre ungefähr hatte er
die Schulung des Meisters genossen. Er
bietet uns das Bild eines warm begeister-
ten Jüngers, welcher mit Pietät den Fuß-
stapfen des Meisters nach wande lt und ihm
bei seinem Tod den Pinsel aus der Hand
nimmt mit dem festen Vorsatz, ihn nicht
 
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