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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 3.1885

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Nr. 9
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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Musterschule der monumentalen Malerei, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15861#0094

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90

Die Musterschule der monumeu
taleu Malerei.

Von Prof. vr. Keppler.

(Fortsetzung.)

g. Wohl die herrlichste Erscheinung in
der Reihe der Schüler Giotto's ist An-
dr.ea di Cione, genannt Orcagna,
geb. ca. 1308, gest. 1368. Er nimmt
eitlen neuen gewaltigen Anlauf, nicht bloß
den allmahlig konventionell erstarrenden
Stil Giotto's wieder zu beleben, sondern
ihn auch über die erste Blüte und Höhe
hinansznheben. Sein weiter Gesichtskreis
■— er war Maler, Architekt unb Bild-
hauer — befähigte ihn hiezu. Er führt
erstmals in Giotto's Kunstwelt ein tiefes
Gefühl und ansgebildeten Sinn für Schön-
heit ein. Wornach Agnolo Gaddi mehr
tastend sucht, das steht ihm als klar er-
faßtes Prinzip vor der Seele. Er ist ge-
leitet von der Tendettz, Wahrheit und
Schönheit der Schilderung in einer höhe-
ren Einheit zusammenzufassen. Von seinem
Meister Giotto nimmt er das Prin-
zip der Wahrheit voll lind ganz herüber
nitd er kommt in der Kraft der Kompo-
sition, in Sicherheit der Zeichnung und
Festigkeit der Charakterisirung dem Alt-
meister gleich. Aber mit Giotto's eherner
Kraft itnd Energie verschmilzt er das reine
Gold idealer Schönheit, herzlicher Innig-
keit und Zartheit. Daher genügt ihm auch
Technik Giotto's nicht mehr ganz. Er
fängt an, die Gestalten durch gute Schat-
tirung plastisch herorznheben, ja er hat
bereits eine Ahnung von der Lnstperspek-
tive. Seine Kolorirung wird feiner, rei-
cher und sorfältiger.

Der klassische Boden seiner Kunst ist
die Cap eila Strozzi in Maria-
Novella in Florenz (am Ende des linken
Querschiffs). Er schuf das Altarbild
dieser Kapelle: Christus in der Glorie
überreicht dem Petrus die Schlüssel, den:
Thonias von Aquin das Buch. Jeder
der beiden Heiligen hat einen Patron neben
sich und zwei andere Assistenten hinter
sich. Thomas wird von Maria dem Hei-
land anempfohlen, hinter ihm stehen St.
Georg und St. Katharina; die Assistenz
des Petrus bilden St. Johann Bapt.,
Paulus und Laurentius. Sämmtlichen
Gestalten wohnt jene majestätische Schön-

heit inne, die Orcagna zu erreichen weiß,
indem er Hoheit und Milde, Erhabenheit
und süße Anmnth harmonisch ineinander-
fließen läßt.

An den Wänden sehen wir die Dar-
stellungen des Weltgerichts, des
H i m in e l s und d e r H ö l l e. Die Kom-
position des Weltgerichts ist räumlich
etwas eingeengt, weil ein großes Fenster
sie spaltet; sie unterscheidet sich nicht we-
sentlich von der Darstellung Giotto's in
der Arena; aber die Schönheit der Ge-
sichter der Seligen fällt bereits wohl-
thuend ins Auge. Die Hölle hat der
Bruder Orcagna's, Lionardo (Nardo) ge-
malt und zwar ganz nach Dante. Man
könnte das Bild eine topographische Karte
zu Dante's Beschreibung nennen. Male-
risch angesehen ist es nicht zu billigen und
auch vom religiösen Standpunkt aus nicht
zu loben. Die figürliche Schilderung die-
ser Höllenbulgen mit den nakten Menschen-
leibern, welche von scheußlichen Fratzen-
gestalten auf die raffinirtesten Weisen ge-
foltert werden, wirkt grotesk und stimmt
nicht mit dem schauerlichen Ernst der
Sache. Es liegt hier der Fehler vor, daß
die Malerei sich erlaubte, eine dichterische
Schilderung ohne weiteres in die Farben-
und Formensprache zu übersetzen. Was
beim Dichter unsinnlicher Hauch der Phan-
tasie bleibt, was bei ihm belebt und be-
wegt ist durch die epische Erzählung, das
wird durch die materiellere Schilderung
der darstellenden Kunst ins Häßliche ver-
gröbert und verzerrt; so wird der tragische
Eindruck zu einem grotesk-komischen.

Dagegen gehört nun zu den großartig-
sten Leistungen der ganzen Schule die
Glorie des Paradieses, die Schil-
derung der Seligkeit des Himmels. Ans
einem von Engeln, Aposteln und Prophe-
ten slankirten Thron sitzen Jesus und Ma-
ria, zwei herrliche Gestalten von eben so
viel Größe und Würde, als Milde und
Süße. Unter dem Thron knieen in der
Mitte auf Wolken zwei musizirende Engel.
Zu beiden Seiten aber sind die Chöre der
Seligen in zwölf geraden parallelen Linien
aufgereiht, wie die Strophen eines Jubel-
hymnus. So einförmig auf den ersten
Blick diese Aufschichtung von Köpfen er-
scheinen mag, so verliert sich doch bei der
Engelbetrachtung alles Unbehagen. Wenn
 
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