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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 3.1885

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Nr. 9
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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Musterschule der monumentalen Malerei, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15861#0096
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92

mit Darstellungen aus dem Leben des
hl. Jakobus d. Aelt.

Eine genaue Betrachtung des Kreuzig-
ungsbildes läßt zwar im Allgemeinen den
in der Schule üblichen Aufbau erkennen,
aber stößt zugleich auf Einzelzüge, welche
überraschen. So wird das Auge angezogen
durch die- Frauengruppe rechts, welcher
Maria ohnmächtig in die Arme sinkt, wie
durch die Gruppe der würfelnden Soldaten
links; hier wie dort eine Wahrheit und
Natürlichkeit der Schilderung, welche auf
reiche, verständige Beobachtung des Lebens
als Quelle hinweist. Ganz neu ist aber
eine der Komposition eingefügte Episode:
ein Zug von Menschen bewegt sich vom
Kalvarienberg der Stadt zu; sie sind in
lebhafter Unterredung; der Eindruck dessen,
was sie auf dem Berge gesehen, beherrscht
sie ganz; aus ihrem Antlitz reflektirt sich
das Drama, das der Maler darzustellen
hatte. Schon hier nehmen wir eine in-
time Vertrautheit mit der Natur und dem
wirklichen Leben wahr, welche den Meister-
befähigte, unmittelbar aus ihr zu schöpfen
und seine Formenwelt zu bereichern.

An der Ost wand ist zunächst in sieben
Bildern dargestellt der Kampf des Jakobus
mit den Jrrlehrern nach seiner Rückkehr
aus Spanien nach Jerusalem, die Bekehrung
der Jrrlehrer, das Martyrium des Heiligen,
dann die Ueberführung des Leichnams nach
Spanien und die Ankunft in Spanien vor-
dem Palaste der Gräfin Lupa, welche sich
weigert, den Leichnam auszunehmen, die
Gefangensetzung und Bekehrung der Jünger
des Apostels, die Bekehrung des Königs,
die Taufe der Lupa und die Einweihung
ihres Palastes (Compostella) zur Ruhestätte
für den hl. Leichnam. Hier waltet nun durch-
weg solche Feinheit, Gewandtheit und Frei-
heit der Darstellung, daß zwar im Künstler
der Schüler Giotto's wohl noch zu erken-
nen ist, aber ein Schüler der, was
Formengebung anlangt, dein Altmeister-
ebenbürtig an der Seite steht, ja über-
legen ist, und daher in Benützung feiner
Regeln und Typen sich vollste Freiheit
und Selbständigkeit wahrt.

Die Hand, welche hier gearbeitet, und
zwar gerade das Beste, die Kreuzigung
und die letztaufgeführten Bilder (von der
Bekehrung des Königs an) geschaffen hat,
ist offenbar wieder zrr erkennen in den von

Förster 1837 wieder entdeckten und vom
Staub der Jahrhunderte befreiten Bildern
der Capelia San Giorgio neben
dem Santo. Die Kreuzigung über dem
Altar ist noch vollendeter als die in S.
Felice. Die Kunst des Meisters, die Theil-
nehmer und Zuschauerin abgerundete Ein-
zelgruppen zu sammeln, welche je ein kleines
Ganzes für sich bilden und mit einander zu
einem großen Ganzen sich zusammenschließen,
zeigt sich hier in schönster Weise. Das Antlitz
des Gekreuzigten, welches die Scene be-
herrscht, ist besser gestaltet als dort; in
dies Gesicht ist nicht der Tod, sondern der
Sieg über den Tod- eingezeichuet.

lieber dem Kreuzigungsbild ist die Krö-
nung Mariens zu sehen, reich mit Engel-
welt, mit himmlischer Pracht und Freude
ausgestattet. Die Gegenwand zeigt die
Verkündigung Mariens, die Anbetung der
Hirten und Weisen und die Darbringung
im Tempel. Sind hier mehr die bisher
üblichen Typen beibehalten, aber mit mehr
Natursinn, Weichheit und Rundung gehand-
habt, so zeigt die Ostwand mit der Legende
des hl. Georg und die Westwand mit der
der hl. Katharina und Lucia wieder eine
Fülle reizender Züge und Formen. Wie
lebhaft ist die Zersplitterung des Rades,
auf welches St. Georg geflochten war,
durch Engelshand, und der Schrecken, der
sich der Anwesenden bemächtigt, geschildert;
wie sprechend die Unterredung des Königs
mit St. Georg oben auf der Terrasse.
Welch wundervolle Figur ist die hl. Lucia,
unbeweglich gemacht durch die Gnade des
hl. Geistes; mit welcher Naturwahrheit
sind die Bemühungen der Menschen und
Thiere wiedergegeben, die alle Kraft auf-
bieten, die Heilige von der Stelle zu bringen.
Endlich wie ergreifend ist geschildert, wie
sie, die Todeswunde schon im Herzen, die
hl. Kommunion empfängt, wie das Volk
ihren Leichnam verehrt.

Worin liegt nun das ganz besondere
Geheimniß dieses Meisters, oder dieser
Meister? Wie stellt sich ihre Kunst zu
der GiottCs? Auf welchem Weg sind sie
zu diesem Grade der Vollendung vorge-
drungeu?

Die Vergleichung ihrer Schöpfungen mit
.früheren Leistungen der Schule und den
Werken Giotto's selbst ergibt einmal auf
Seite unserer Meister ein ganz erhebliches
 
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