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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 3.1885

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Nr. 10
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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Musterschule der monumentalen Malerei, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15861#0101

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Archiv für christliche Kunst.

Organ des Rottenburger DiözesanMereins für christliche Runft.

Ueraiisgegeben und redigirt von Professor Dr. Keppler in Tübingen.

Verlag des Rottenburger Diözesan-Runstvereins, für denselben: der Vorstand Professor vn. Reppler.

Pr. io.

Erscheint monatlich einmal. Halbjährl. für M. 1. 35 durch die württemb. <M. I. 20
im Stuttg. Ncstellbezirk). M. 1. 50 durch die bayerischen und die Rcichspostanstalten,
Frcs. 2. 50 in der Schweiz zu beziehen. Bestellungen werden auch angcnonuncn von
allen Buchhandlungen, sowie direkt von der Expedition des „Deutschen Volksblatts" in
Stuttgart, Urbansstraßc 94 zum Preise von M. i. 35 halbjährlich.

1885.

Oie Muslerschule der mouuinen-
talen Malerei.

Von Prof. Or. Keppler.

(Fortsetzung.)

Eine Vergleichung unserer Wieister mit
Giotto ergibt auf Seite der ersteren sowohl
eine Inferiorität als Snperiorität. Giotto
steht unbedingt über ihnen, was Kraft,
Poesie und Originalität der Gedanken an-
langt. Er weiß mit weniger Mitteln, sprö-
deren Formen, ärmerer Palette Größeres,
Gewaltigeres auszusprechen, tiefergehende
Eindrücke zu erzielen, als sie mit ihren
reichen Mitteln, Formen und Farben, denn
Giotto hat großartigere Gedanken; die
Kompositionsgedanken unserer Meister zei-
gen manchmal eine gewisse Flachheit und
Gewöhnlichkeit. Dieser Mangel macht sich
deßwegen nicht störend geltend, weil sie
vor Giotto wieder einen sehr zarten Sinn
für das malerisch Schöne voraus haben,
für gefällige Anordnung, anmuthige Grnp-
pirung u. s. w. Wo daher die geistige
Idee die Komposition nicht zusammenzu-
halten und in ein geistiges Ganzes znsanunen-
znschließen vermöchte, da bildet bei ihnen
doch das Gefühl für künstlerische und
malerische Schönheit noch eine mächtig
vereinende Kraft.

Der Unterschied zwischen diesen und den
andern Schülern Giotto's und die Quelle
der Vorzüge ersterer Muß darin gesucht
werden, daß Alticchiero und Avanzo dem
Altmeister viel freierund selbständiger gegen-
überstehen als jene. Sie bekennen sich offen
zu feiner Richtung, aber eben weil sie die
Haupttendenz des Meisters erfassen mehr
als alle andern, stehen sie — das mag
Paradox klingen — weiter vom Meister ab
als alle übrigen.

Das gegenseitige Verhältnis; gestaltet sich
so: Giotto hatte den Bann der byzantinischen

Typen dnrckbrochen und zwar durch Natur-
ftndinm. Mit lebendigen Formen aus der
Wirklichkeit und der Natur hatte er die
versteinerten Knnstformen verdrängt ltnb
ersetzt. Seine Formenquelle war die Natur;
die meisten feiner Schüler aber bezogen
ihre Formen nicht mehr ans der Natur,
sondern ans den Werken des Meisters.
Zum Glück floß in den letzteren eine so
reiche Formenquelle, daß sie lange Zeit
vielen Bedürfnissen genügen konnte, und
mancher Schüller behielt wenigstens Ein
Auge auch offen für Beobachtung des
Lebens. Unsere Meister aber waren so
tief in Giotto's Tendenz eingedrungen, daß
sie fein Losungswort sich völlig aneigneten;
nicht Typen, nicht überlieferte Formen,
sondern Berathung der Natur! Sie find
von Giotto's Geist eingeführt in die religiöse
Malerei, sie folgen ihm in Ansfaffung und
künstlerischer Behandlung der Themate; was
aber die Formgebung anlangt, so fühlen
sie solches Können in sich, daß sie keines
Mittlers mehr bedürfen zwischen sich xtnb
der Natur, daß sie unmittelbar, wie der
Meister selbst, ans dem sprudelnden Quell
des Lebens schöpfen. Hierin liegt das
Geheimniß ihres Fortschritts, die Erklärung
ihres künstlerischen Reichthums und ihrer
Wohlhabenheit im Vergleich mit der übrigen
Schule.

Hierin liegt auch die A n k ü n d i-
guug des Endes der Schule. Diese
Selbständigkeit und dieser freie Verkehr mit
der Natur sollte nach und nach den festen
Ring sprengen, welcher diese Schule zu-
sammenhielt. Ja durch die wachsende In-
timität mit der Natur sollte nach und nach
die religiöse Kunst verweltlichen, der Weihe
und Würde entleibet, von ihren höchsten
Zielen abgelenkt werden. Diese Gefahr
näherte sich von dem Moment an, wo
Giotto's Einsilbigkeit und Wortkargheit im
 
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