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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 3.1885

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Nr. 11
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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Musterschule der monumentalen Malerei, [7]
DOI Artikel:
Festing, F.: Studien über Plastik, [8]: die Stein- und Holzskulptur des 12. und 13. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.15861#0110

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106

Neigung zu übertriebener, hastiger, unge-
stümer Bewegung, ein Extrem das manch-
mal unmittelbar neben dem entgegengesetzten
sich zeigt. Hier fehlt es an jener Klarheit,
mit welcher Giotto sich mit der Natur
und Wirklichkeit auseinanderzusetzen weiß.

Als Grundmangel der sienesischen Kunst
kann somit allerdings die geringe Kompo-
sitionskraft derselben bezeichnet werden.
Doch ist beizufügen, daß dieser Mangel
selten eigentlich störend aus ihren Bildern
heraussticht, und zwar deswegen nicht, weil
ihr feiner Sinn für das künstlerische De-
korum, die Sorgfalt der Ausführung, die
Pracht der Farbe diese tieferen Fehler meist
glücklich verdeckt. Dem schärfer blickenden
Auge bleiben sie freilich nicht verborgen,
und es wird manchmal das schmerzlich ver-
missen, was schließlich doch einem Kunst-
werk erst den wahren Werth verleihen kann,
die Größe, die alle Einzelnheiten durch-
dringende und bestimmende Kraft des Ge-
dankens, welche in der Einheitlichkeit und
Harmonie der Komposition sich offenbaren
muß. Aber im eigentlichen und schlimmen
Sinn äußerlich und oberflächlich wird die
sienesische Kunst doch äußerst selten. Da-
vor bewahrt sie ihre tiefreligiöse Seele und
ihre fromme Begeisterung, von welcher sie
auch ihren Bildern mitzutheilen versteht.

(Fortsetzung folgt.)

Stuften über piciftif.

Von F. F e st i n g.

D i e S t e i n- und Holzskulptur des
12. und 13. I a h r h u n d e r t s.

Die Stein- unb Holzsknlptnr begann
erst mit dem 12. Jahrhundert sich zn her-
vorragender Bedeutsamkeit zu entwickeln,
nachdem die Architektur sie mehr und mehr
in ihren Dienst nahm. Das nationale
Leben, getragen von den mächtig wirkenden
christlichen Ideen, erhielt zur Zeit derKreuz-
züge einen unerhört poetischen Schwung.
Das Ritterthum entfaltete sich zu seiner
idealeti Höhe, itub auch das Bürgerthnm
gewann in regsamer Bethätignng seiner
Kräfte im Handel und Gewerbe immer
mehr Reichthnm, Ansehen und Macht.
Durch die nähere Berührung und den ge-
steigerten Verkehr der Nationen mit ein-

ander wurden nicht nur neue Anschauun-
gen und Formen gewonnen, dieselben führ-
ten auch von selbst zu größerer Selbstän-
digkeit im Denken und Schaffen. Die
Architektur, dieses Kind der römischen An-
tike, streifte nun den Rest des alten Klei-
des von sich und wurde als ausgewachsene
romanische Kunst erst recht die Königin
der christlichen Künste. Ihre Formen und
Glieder wuchsen sich schnell zu kräftigeren,
mannigfaltigeren, ganz eigenartigen Bil-
dungen ans. Nach außen gelangte beson-
ders der Fa^adenban zn reicher Entfal-
tung, und Wände und Portale, auch die
Chorseiten werden durch Nischen, Sän-
lenstellnngen und plastisches Bildwerk
belebt. Und auch für das Innere der
Gotteshäuser drängte die fortschreitende
architektonische Bildung nach neuem, ans
dem Bankörper gleichsam naturgemäß her-
auswachsenden, mit ihm mehr organisch
verbundenem Steinornament. Die orna-
mentale Plastik verdrängte zum Theil den
bloßen Farbenschmuck und theilte sich mit
der Polychromie in die Dekoration. Durch
diese enge Verbindung der Bildnerei mit
der Baukunst war erstere zwar von vorn-
herein in bestimmte Grenzen eingeengt und
mußte selbst gewissermaßen einen architek-
tonischen Charakter annehmen. Aber ge-
rade durch die Nothwendigkeit, sich in den
gegebenen architektonischen Rahmen zn fü-
gen, sowohl mit dem neuen Stile als
auch den baulichen Raumverhältnissen sich
in Einklang zu setzen, wurde jene gezwun-
gen, mit dem alten Stile auch der alten
Fesseln sich zu entledigen, darnach zu stre-
ben, in den neuen Formen um so freier,
harmonischer und ausdrucksvoller sich zu
bewegen, mit anderen Worten: Komposi-
tion und Stil, Zeichnung und Ausdruck
der Plastik konnten in der neuen architek-
tonischen Schule nur gewinnen. Altäre,
Chorschranken, Lettner, Kanzeln, Tauf-
brnnnen und Sänlenkapitäle werden mit
Ornamenten und Figurenwerk in gediegener
Stein- und Stückarbeit geschmückt.

In Frankreich hatte man schon im 11.
Jahrhundert die Kapitäle in mißverstan-
dener, unkünstlerischer Weise mit Relief-
darstellnngen geschichtlichen Inhalts, meist
Ritter- und Thierkämpfen, zn überladen
angefangen. E. Försters Denkmale d. K.
II. zeigen die Abbildungen zweier Relief-
 
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