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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 4.1886

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Nr. 1
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Keppler, Paul Wilhelm von: Was noch zu thun ist, [1]: eine Neujahrbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.15862#0007
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3

Kirche 3U Jahre fast gänzlich im Schnee
liege. Wo bleibt da jene Kardinaltugend?
Man bedenke wohl, es handelt sich hier
nicht um geringfügige Dinge, um Aus-
gaben, an welchen nichts liegt; es handelt
sich bei derartigen Werken sofort um Aus-
gaben von Hunderten und Tausenden von
Mark. Sollte es denn gar keine Ge-
wissenssache und Verantwortung sein, so-
viel Stiftungsgeld und Opfergeld hinzu-
legen für Werke von der Lebensdauer von
zwei bis fünf Jahren, nach deren Ablauf
sie nur mehr als häßliche Platten und
modernde Flecken an den Wänden para-
diren, ein Aergerniß für alle die es sehen,
ein Hinderniß für alle Versuche, bessernd
einzugreifen, eine Anklage gegen die Ur-
heber der unseligen, ins häßliche Gegen-
theil umgeschlagenen Dekoration?

Nein, weniger als je könnte man hent-
zntag Organe und Vereine vermissen, welche
sich eine gewisse Kontrole der Schöpfungen
kirchlicher Kunst zur Pflicht machen und
sich Mühe geben, den so überaus rühm-
lichen, opferbereiten Eifer für den Schmuck
des Hauses Gottes in richtigen Geleisen
zu erhalten. Ein andere Form von Un-
klugheit hat in allerneuester Zeit eine ganze
Reihe von Kirchen aufs empfindlichste und
nachhaltigste geschädigt. Der Sinn für
Kirchenmalerei hat sich auch den Fenster-
flächen zugewendet; eine wahre Begeiste-
rung für Glasgemälde hat landauf landab
häßliche Holzfenster oder gemeine Scheiben
fenster verdrängt und die Rahmen mit
Teppich- oder Figurenfenstern ausgefüllt.
Auch diese Begeisterung ist ja sehr zu be-
grüßen und ein schöner Beweis, wie gründ-
lich die kalkweise Aufklärungszeit mit ihren
farblosen Scheiben abgethan ist. Nun aber
die Kehrseite. Leider ist der an sich gute
Eifer vielfach förmlich zur Thorheit ge-
worden. Ist es nicht fast unglaubliche
Unklugheit, zuerst Tausende verausgaben,
um das Innere einer Kirche möglichst
farbenprächtig herzustellen, um die Orna-
mentik von der Basis der Säulen bis zum
Scheitel der Gewölbe sich emporranken zu
lassen, um mit kostbaren Figurenbildern
die Wände zu besetzen, ■— und dann, nach-
dem alles fertig ist, hingehen und sämmt-
liche Fensteröffnungen mit möglichst dunkel
gehaltenen Glasgemälden ausfüllen und
über all' die Herrlichkeit selbst das Todten-

tuch der Finsterniß ausbreiten, so daß es
in unserem Klima gar nicht mehr möglich
ist, die Gemälde zu sehen, außer etwa
von 11-—1 Uhr in den Monaten Juli
bis September, — ja daß zur schweren
Schädigung unserer guten deutschen Ord-
nung beim Gottesdienst gar kein Gebet-
buch zu gebrauchen ist?

Hiemit berührt sich eiu anderer Fehler,
dem man nicht minder oft begegnet. Man
überhäuft vielfach die Kirchenwände mit
figürlichen Darstellungen; man drängt
Scene an Scene, neben, unter, über ein-
ander; hoch oben sind noch komplizirte
Kompositionen angebracht. Dabei scheint
man manchmal gar nicht zu berechneu, ob
denn das auch noch Bilder fürs gewöhn-
liche Menschenauge sind, ob die durch-
schnittliche Sehkraft sie überhaupt noch er-
reichen könne. Ich weiß Kirchen, in wel-
chen es völlig unmöglich ist, eiu Dritttheil
der angebrachten Bilder ohne Opernglas
zu sehen; also wenn das christliche Volk
aus diesen Bildern seine Erbauung — und
das ist doch wohl der erste Zweck der-
selben — schöpfen sollte oder wollte, so
müßte es mit dem Gebetbuch immer auch
das Fernrohr mitbringen. Die Künstler
haben doch einen starken Glauben an die
Menschheit oder an das christliche Volk,
wenn sie meinen, man werde sich die Augen-
tortur anthuu, und durch stundenlanges,
Seekrankheit hervorrufendes Hinausstarren,
mit bewaffnetem Aug die Miniaturbilder
in den Gewölben und über den Fenstern
zu enträthseln, ja geheimnißvolle Miniatur-
schriften, die da oben angebracht sind, zu
entziffern suchen.

Wir können dieses Kapitel hier nicht
erschöpfen, gedenken aber darauf zurückzu-
kommen. Vom Geist und von der Art der
eigentlichen (sigurativen) Wand- und Tafel-
malerei haben wir noch gar nicht geredet.
Es kann als unumstößliche Thatsache be-
zeichnet werden, daß kein moderner Meister
sich zum Kirchenmaler qualifizirt, der nur
die akademischen Studien gemacht, von der
alten kirchlichen Kunst nichts gesehen und
gelernt hat. Daß unsere heutigen Aka-
demieen keine Kirchenmaler ausbilden, be-
darf keines Beweises. Kirchliche Maler-
schulen haben wir nicht, —- es bleibt nur
Eine Schule, die der klassischen kirchlichen
Malerei des Mittelalters. Nun sind es
 
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