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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 5.1887

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Nr. 4
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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Kirchenbaufrage in Stuttgart
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https://doi.org/10.11588/diglit.15863#0034
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30

lichen und mehrmaligem Gottesdienst kann
der Maßstab geringer genommen werden,
immerhin soll aber die Kirche für 2U der
Gemeinde Raum haben. Nach diesem amt-
lichen Maßstab hätte die Stuttgarter Ge-
meinde einen Kirchenranm für 12 000
nöthig (3/4), oder zum wenigsten für 10 5OO.
Selbst die Verdoppelung des gegenwärti-
gen Raumes könnte noch nicht als genügend
bezeichnet werdend)

Bringt man nun auch in starken An-
schlag die traurige Thatsache, daß ein großer
Bruchtheil der katholischen Gemeinde der
Residenz, namentlich auch der Filialisten,
einen leider allzu bescheidenen Anspruch
ans einen Platz in der Kirche erhebt, fer-
ner den Umstand, daß die größere Zahl
von Geistlichen an den Sonntagen in
beiden Kirchen je zweimaligen vollen Got-
tesdienst und überdies in den Zwischen-
zeiten noch die Einfügung mehrerer stiller
hl. Messen ermöglicht, also die Kirchen-
besucher auf verschiedene Zeiten sich ver-
theileu, immer noch bleibt die obige Diffe-
renz eine sehr namhafte.

Es kann gar nicht anders sein, als daß
sie sich in der Wirklichkeit in unangeneh-
mer und peinlicher Weise geltend macht.
Von Hochfesten, an welchen einmal die
Frequenz überhaupt stärker ist, sodann die
größere Masse der Kirchenbesucher den
Hanptgottesdiensten zufällt, soll hier ganz
abgesehen werden. Aber auch an allen
gewöhnlichen Sonntagen tritt Ueberfüllnng
in den Hauptgottesdiensten ein, in der
Eberhardskirche ihrer Lage wegen mehr als
in der Marienkirche. Es wäre ja kein
gutes Zeichen für den kirchlichen Eifer
der Gemeinde, wenn dies nicht so wäre.
In der Eberhardskirche spielt sich überdies
Sonntag für Sonntag ein eigenthümliches,
nicht gerade erbauliches Schauspiel ab,
wenn die Besucher des Gottesdienstes um
neun Uhr gegen zehn Uhr hin die Kirche
verlassen, während gleichzeitig die Besucher
des Zehn-Uhr-Gottesdienstes von derselben
Besitz ergreifen wollen. Das Schauspiel,
wie zwei gewaltige Menschenwogen gegen
einander branden, in den engen Portalen

0 Die katholische Volksschule allein zählt gegen-
wärtig 1240 Schüler; weder die Sitzplätze der
Eberhardskirche, noch die der Marienkirche iviir-
den also auch nur für die Kinder dieser Schule
ansreichen.

auf einander stoßen und hier theilweise
Minuten lang sich gegenseitig im Schach
halten, so daß keine sich von der Stelle
bewegen kann —, man könnte es malerisch
nennen, wenn es einen andern Schauplatz
hätte und mitunter nicht nur unschön, son-
dern fast lebensgefährlich würde. Aus
diesen Vorkommnissen irgend jemand einen
Vorwurf machen zu wollen, wäre die größte
Ungerechtigkeit; Herstellung der Ordnung
und Abhilfe ist unmöglich, wo die Raum-
beengnng in solchen Kontrast mit den
Menschenmassen tritt.

Es wurde vielmehr auf diese Erschei-
nungen nur hingewiesen, um zu erweisen,
daß sie mit ebenso lauter Stimme wie die
obigen Zahlen das wirkliche Vorhandensein
einer Kirchenbausrage in Stuttgart bezeu-
gen. Sie existirt nicht bloß, sie ist akut
geworden und drängt nach einer Lösung,
und man muß sich alsbald und allen Ernstes
mit ihr beschäftigen. Ja, man hat wohl
schon zu lange auf dem freudigen Bewußt-
sein, nun eine zweite Kirche zu haben,
ansgeruht. Die Schaffung eines dritten
gottesdienstlichen Raumes ist unabweis-
liches Bedürfniß, und zwar handelt es sich
nach dem Gesagten vor allem um Ent-
lastung der Eberhardskirche.

Doch bin nicht ich es, der diese Roth-
wendigkeit zilerst wahrgenommen und aus-
gesprochen hätte; vielmehr ist dieselbe von
maßgebendster Seite, vom Stadtpfarramt
zu St. Eberhard selbst betont und fest
ins Auge gefaßt worden. Herr Kirchen-
rath Zimmerte, welcher länger als ein
Vierteljahrhundert mit treuem Hirtenauge
über seiner Gemeinde wacht, hat bereits
vorbereitende Schritte gethan, um dem
dringenden Bedürfniß abzuhelfen. Mit
dem umsichtigen und praktischen Blick, der
ihn anszeichuet, hat er auch den m. E.
einzig richtigen Platz für das künftige
dritte Gotteshaus in Aussicht genommen,
— mehr noch, er hat bereits einen respek-
tablen Baufond angesammelt. Vor eini-
ger Zeit erschien in den Blättern der von
ihm signirte Aufruf um Beisteuern für den
„Bau einer Kapelle" in der Nähe des
Neckarthors, welchem schon in erfreulicher
Weise Folge gegeben wurde.

Für den Bau einer Kapelle. Diese
Formuliruug der Bitte nöthigte mir zuerst
ein Lächeln ab. Aber ich wußte die
 
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