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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 5.1887

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Nr. 6
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Keppler, Paul Wilhelm von: Fra Giovanni da Fiesole, [1]: der Engel der kirchlichen Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.15863#0054

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50

religiösen Kunst ganz von sich gelegt haben,
welche eigentlich in ganz anderen Zeiten
und Schulen ihr Ideal von Kunst suchen,
gehen doch an der Gestalt Fiesole's nicht
vorüber ohne ein Zeichen der Verehrung
und Hochachtung. Seine Gebilde hauchen
einen so frischen und süßen Duft des Pa-
radieses aus, daß jede Menschenseele un-
willkürlich sich angezogen und heimatlich an-
gesprochen und angeweht fühlt. Religion,
christlicher Glaube, katholische Andacht
treten bei ihm in so liebliche und herzgewin-
nende Erscheinung, daß jedes Gemüth be-
zaubert und überwältigt wird ltub jedes
Wort des Zweifels, Spottes, Tadels ver-
stummt.

So kommt es, daß hier in der That
mit den Stimmen der katholischen Kunst-
historiker sich die Stimmen der Kunstsor-
scher aller Schattirungen und Richtungen
vereinen; sie bekennen mit uns, daß die
kirchliche Kunst nie einen vollkommene-
ren Repräsentanten gehabt habe, als diesen
Mönch von San Marco unb daß ihm der
Ruhm eines wahren Genie's der Kunst
nicht vorenthalten werden könne, weil sein
Wollen und Streben nach den höchsten
geistigen Höhen ziele und weil Können
und Wollen, innere Idee und äußere Form
bei ihm sich völlig decken.

An der Scheide zweier Zeiten steht die
ehrsnrchtgebietende Gestalt dieses demütigen
Mönchs; er faßt das Hohe, Gute, Wahre
der ablansenden Periode in sich zusammen
und sammelt es in einem Brennpunkt; er
erkennt und verwerthet die Fortschritte der
neuen Zeit, ohne ihre Fehler und Schwächen
sich anzueignen. Was die Schule von
Florenz und Siena anstrebte, verwirklicht
er in der erreichbar vollkommensten Weise.
Eine Kunst zu schassen, welche klar und
verständlich, würdig und ergreifend die reli-
giösen Gedanken, die Thatsachen und Leh-
ren des Christenthums aussprechen würde,
in einer Sprache, in welcher mit dem
Klang der Erde ein überirdischer Ton aus
andern Welten sich mischt, das Glau-
ben, Hoffen und Lieben der Christenseele
in Formen zu kleiden, welche, ans der Na-
tur genommen, doch zugleich durch die ma-
terielle Hülle hindurch ins Reich des lleber-
natürlichen, des Mysterium schauen ließen,
— das war das gemeinsame Ideal, wel-
chem Giotto's und Siena's Schule nach-

strebte. So nahe kam aber diesem Ideal
niemand, wie Fiesole. Bei ihm vergeistigt
sich die materielle Formenwelt zum zarten
Schleier, durch welchen in Strömen Licht
des Himmels flutet und durch welchen
hindurch das Auge ahnend in die Geheim-
nisse des Jenseits zu schauen vermag.
Giotto's Streben nach Klarheit, Wahrheit
und Eindringlichkeit, Orcagna's erhabenen,
majestätischen Zug, Siena's Gefühl für
Schönheit und Sinn für Anmut und Lieb-
lichkeit webt er zusammen in seiner For-
menwelt, welche Verwandtschaft zeigt mit
Giotto's, Orcagna's, Siena's Werken und
doch wieder so ganz sein eigenstes Eigen-
thnm, sein Idiom, sein Stil ist.

Wenn er so das Licht der Vorzeit in
seiner Brust sammelt und was sie an wirk-
lich künstlerischem Wollen und Können
besitzt, in seine Seele ausnimmt, so steht er
doch keineswegs nur etwa als großartiges
Ueberbleibsel einer alten Zeit in der neuen
Periode, welche die Renaissance in ihrem
Schooße trug. Vielmehr wird gerade da-
durch seine Erscheinung eine so hoch-
wichtige, daß er der Bewegung der Zeit
nicht ablehnend und indifferent gegenüber-
steht. Er lernt von ihr und nimmt von
ihr an. Wenn diese neue Kunst in Ma-
solino, Masaccio, Ghiberti und Donatello
in der Naturnachahmung wesentliche Fort-
schritte macht, so verschließt Fiesole sich
denselben nicht; er macht sie sich zu Nutzen,
aber er eignet sich nur das an, was mit
seinem Ideal kirchlicher Kunst vereinbar
ist. Er kommt auch nicht einen Augen-
blick aus dem Gleichgewicht durch den stür-
mischen Drang seiner Zeit nach Fortschritt,
denn er behält sein Ziel fest im Auge und
läßt bei Seite liegen, was immer für Er-
reichung desselben ihm nicht förderlich sein
kann. In ihm und durch ihn setzt sich
die mittelalterliche kirchliche Kunst noch
auseinander mit der neuen Zeit, ihren
Fortschritten und ihrem Streben. Die
wahren Fortschritte eignet sie sich freudig
an; was aber Nachlaß frommer Empfin-
dung und gläubiger Gesinnung, was Schmä-
lerung der religiösen Tendenz bedeutet oder
zur nothwendigen Folge hätte, was für-
klare würdige Aussprechung religiöser Ge-
danken nichts zu bieten vermag, hält sie
von sich ferne.

Wenn man aber von Anlehen redet,
 
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