Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 6.1888

DOI Heft:
Nr. 10
DOI Artikel:
Keppler, Eugen: Deutschlands Riesenthürme, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15864#0094
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
90

man ungleiche Brüche ohne weiteres zu-
sammenzählen kann. Zwischen jenen ein-
fach-malerischen Bauten im ernst-nüchternen
Geschmackund den Meisterwerken derBlüten-
gothik auf deutschem Boden ist — obwohl
diese deutschen Meister sich an jenen älteren
französischen Werken gebildet haben, ein
Unterschied wie zwischen einer ungekünstelten
Wiese und einem kunstvollen Park: das
eine wie das andere hat seinen Werth, hat
seine Bedeutung für sich — und einen
Park wird niemand geringer schätzen darum,
weil er keine Wiese ist! Das obige Urtheil
hat ein Seitenstück an folgender Bemerkung
in der alten sehr verdienstvollen Uevue
6e l’Art von Abbe Corblet (Jahrg. 1866,

S. 76): „Diese normannische Thurmanlage
(von St. Peter in Caen) ist mit ihrer
verhältnißmäßig bescheidenen Höhe von
200 Fuß ganz ebenso großartig wie ihre
edle Schwester auf dem rechten Rheinufer."
Mag es nun mit dieser „Großartigkeit"
selbst seine Richtigkeit haben, jedenfalls ist
sie ganz anderer Art und auf entgegen-
gesetztem Weg erzielt als in Freiburg. Und
das wäre des näheren zu beleuchten! In
seiner Allgemeinheit trägt ein solcher Aus-
spruch nicht zur Aufklärung bei. Unsere
Nachbarn jenseits der Vogesen mischen in
ihre Würdigung der deutschen Hochgothik
zu viel Rückblicke auf die französische Früh-
gothik. Das verdirbt ihnen namentlich
den Geschmack an der Kölner Fassade, die
sie zu abgezirkelt (trop compassee) fin-
den. Nun ist sie ja das in gewisser Weise
richtig und wir werden später diesen Punkt
zu erörtern haben. Aber muß man denn,
wenn man sich etwas trocken angehaucht
fühlt bei dem Anblick jenes steinernen Wun-
ders, muß man diesen Eindruck einer ge-
wissen Trockenheit dadurch absichtlich noch
steigern, daß man beständig Seitenblicke
wirst auf Werke, die zwar einen jugendlich
frischen Duft athmen, dagegen an reicher
und organischer Entwicklung hinter dem
deutschen Bau unvergleichlich Zurückbleiben?
Nichts steht, sagt Wordsworth, echtem
Empfinden mehr im Weg, als die Ge-
wohnheit, obenhin und abfällig die Vor-
züge einer gewissen Landschaft herabzu-
stimmen, indem man sie mit denen einer
ganz andern vergleicht. Das gilt aber
wie von der Naturbetrachtung so auch
von der Kunstbetrachtung und vom Ur-

theil über Dinge des Geschmacks über-
haupt.

Dagegen scheuen unsere fünf Riesen-
thürme — und der Leser ahnt schon, welche
wir meinen — eine vergleichende Zusammen-
stellung nicht. Im Gegentheil, sie wollen
verglichen sein, weil sie Angehörige Einer-
Sippe und als solche doch wieder so ver-
schieden sind (und zu einer gedeihlichen
Vergleichung gehört neben der Verwandt-
schaft auch Verschiedenheit) als Angehörige
einer und derselben Sippe nur sein können.
Sie gehören zusammen nicht bloß äußerlich-
geschichtlich, insofern Baumeister und Bau-
hütten von einander gelernt, wie man z. B.
Beziehungen Nachweisen kann zwischen Köln
und Straßburg, oder wie Freiburg wohl
auch die Anlage des Ulmer West-Thurmes,
sowie andere einthurmige Anlagen beein-
flußt hat: nein, sie gehören ihrem inneren
Wesen nach zusammen; in ihnen haben
wir die edelsten und durchgebildetsten Er-
zeugnisse jener reichen, reifen und zuletzt
überreifen Entwicklung, welche die Gothik
in Deutschland von der Mitte des drei-
zehnten Jahrhunderts an durchgemacht hat.
— Die erste Blüte der entwickelten deut-
schen Thurmbaukunst und ihre erste reife
Frucht zugleich ist der Freiburger Münster-
thurm, dessen Gründung wahrscheinlich ins
Jahr 1247 fällt. Auf ihn folgt das neben
dem Kölner Dom größte Werk des Mittel-
alters: Erwins unsterbliche Fassade, be-
gonnen im Jahr 1276, im wesentlichen
vollendet 1339, diese duftigste, in gewal-
tiger und doch so anmuthiger Fülle ent-
faltete Wunderblume, deren Wohlgeruch in
die Tiefen der Seele dringt und im Lauf
von Jahrhunderten sich nicht verflüchtigt.
(Erwin, st 1318, der größte Baumeister
des Mittelalters; die bisher übliche Be-
zeichnung „von Steinbach" soll nach urkund-
lichen Forschungen nicht zutrefsen.) Den
Höhepunkt der Entwicklung aber bezeichnet
der Kölner Dom und seine Thurmfront
insbesondere; aufsteigend — wenn wir auf
diese Göthes Worte anwenden dürfen, die
auf sie wohl am besten passen: „Auf-
steigend gleich einem hocherhabenen weit-
verbreiteten Baume Gottes, der mit tausend
Aesten, Millionen Zweigen und Blättern
wie der Sand am Meer ringsum der Ge-
gend verkündet die Herrlichkeit des Herrn,
seines Meisters." (Ein alter Plan zu den
 
Annotationen