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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 6.1888

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Nr. 12
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Keppler, Eugen: Deutschlands Riesenthürme, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15864#0114

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110

giebt dem Gebäude deu befriedigenden Ab-
schluß; das innere ■— das feste Gewölbe
au der Basis des Helms — giebt ihm
den nöthigeu Verschluß. Daß man —
ausnahmsweise — auch heute noch ver-
steht, solche durchsichtige Pyramiden nach
unten wasserdicht abzuschließen, zeigt die
mustergültige Ausführung der neuen Ulmer
Chorthürme.) Dürfen denn die erhaben-
sten Verkörperungen des Geistigen und
Geistlichen nicht bis auf einen gewissen
Grad unkörperlich sein? Wenn sie ihrem
Zwecke entsprechen sollen, müssen sie es
sein, soweit die Rücksicht ans Solidität
und Monumentalität solches erlauben. Un-
sere „Riesenthürme" gehen hierin bis an
die Grenze des Möglichen, aber sie gehen
nicht darüber hinaus. Diese geflügelten
Massen behalten gerade noch Festigkeit
genug, um den Naturgewalten zu trotzen;
sie sind, obwohl in ihren obersten Theilen
der feinsten Spitze ähnlich, doch in ihrem
Kern und Gefüge „dauernder als Erz".
Man sage nicht: die Abstreifung des Kör-
perlichen liegt im Wesen des gothischen
Stils ü b e r h a u p t. Unsere Thürme sind
eben die h ö ch st e n Vertreter dieses Stils
— das Wort „höchst" nicht bloß im
räumlichen, sondern auch im moralischen
Sinn genommen. In ihnen nimmt die
christliche Metaphysik und die deutsche
Mystik ihren freiesten Aufschwung, ihren
höchsten Flug. Die Höhenrichtung, welche
das Innere des Domes der Seele des
frommen Beters giebt, der Riesenthurm
trägt sie nfls Weite, giebt der Stadt und
der Gegend, welche er beherrscht die Zu-
spitzung nach oben „und knüpft an das
Gewölke die Welt". Auch fassen diese
kühnen Spitzen die tausenderlei aufstreben-
den Theile des Ganzen gleichsam zu Einem
Fortissimo zusammen. Während in Ita-
lien der Thurmban häufig außer aller
Verbindung mit dem Gotteshause steht und
im romanischen Stil sich äußerlich an das
Langhaus anlehnt, bilden jene Thürme mit
ihrem Münster verwachsen (bald mehr bald
weniger glücklich) dessen Krönung. Am
glücklichsten natürlich in Köln, wo die
157 m hohen Thürme mit dem Dom, von
welcher Seite man sie betrachten mag, ein
unvergleichliches Ganzes ausmachen. Anders
in Straßburg. So meisterlich hier die
Thurmanlage (142 m hoch) mit dem Kern

des Münsters verwachsen ist, so ungünstig
wirkt das Mißverhältnis: beider nach außen.
Uebrigens tritt gegen die Fassade alles
andere in den Hintergrund; alles andere
ist nur noch Nachklang oder Vorbereitung
dazu, sagt Dentinger. Ungleich günstiger
ist der Gesammtanblick des Freiburger
Münsters. Dieses ist aber auch höher,
breiter und länger als das Straßburger,
während der Thurm beträchtlich kleiner und
namentlich niederer angelegt ist als sein El-
säßer Genosse. Die Höhe des Ulmer Thurms
nach seiner Vollendung (160 m) wird, wie
es das Ebenmaß verlangt und wie es auch
in Köln zutrisft, der Länge des Münsters
ziemlich genau gleichkommen, während
hinwiederum der Wiener Stephansthurm
an Höhe (137 m) die Länge des Gebäudes
um volle 30 m übertrifft. Nicht weniger
mannigfaltig ist die Anlage der Thnrm-
hallen. Während nach der besonderen
Stellung des Thurmes in Freiburg und
in Wien die Thurmhalle sich außerhalb
des Kirchengebäudes befindet, ist in Köln
das Atrium ein Stück des Innern. Auch
in Straßburg bildet die Vorhalle die Fort-
setzung der Schiffe. In Ulm endlich geht
das Mittelschiff durch die Thurmhalle hin-
durch und schließt erst mit der Portal-
wand ab, welcher sich die eigenthümlich
prächtige, innen mit Rantenwölbungen ge-
deckte äußere Vorhalle anschließt, die mit
ihren drei weit geöffneten, auf hohen
schlanken Pfeilern ruhenden Bögen unter-
allen Portalen der Welt am vollkommen-
sten die im Namen des Dreieinigen ge-
spendete hl. Taufe versinnbildet, diese
janua sacramentorum, durch welche alle
Völker in den Schoß der Kirche eingehen
sollen.

In ihrer Thnrmanlage wachsen diese
Dome über sich selbst hinaus und tauchen
üfls Meer der Unendlichkeit, in die Ab-
gründe des Geheimnisvollen hinein zugleich
mit der Seele des Betrachters, welche
gleichsam an der Spitze angeheftet, sehn-
süchtig anfschaut nach dem unbekannten
Ziel. Unbekannt? — doch nein! Es ist
ja die Sonne der Geister, nach welcher
jede Seele ,,natura1iler christiana“ gra-
vitirt! — Man sieht, diese höchsten Spitzen
des Wirklichen, diese Gipfelpunkte alles
Möglichen in der Baukunst sind von eitlen:
Schangepränge, von frevlem Uebermnth
 
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