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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 7.1889

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Nr. 1
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Keppler, Eugen: Deutschlands Riesenthürme, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15865#0007

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3

S. 200.') Anstatt der zwei Hauptthürme
über dem westlichen Ende der Seitenschiffe
setzen die beiden bloß zu Pfarrkirchen be-
stimmten Münster von Freiburg und Ulm
nur einen Westthurm in der Breite und
Flucht des Mittelschiffes an. Aber während
der Freiburger Münsterthnrm über die
Westfront vorgelegt ist, wächst der Ulmer
aus dem Körper der Kirche heraus und
nur seine westlichen Strebepfeiler ragen
charakteristisch hervor. Der Westthurm
gruppirt sich in Freibnrg wie in Ulm mit
zwei den Chor flankirenden Seitenthürmen
in Krenzesform, während die beiden Kölner
Thürme sich mit einem dritten über der
Grundvierung — Centralthnrm -— im
Dreieck verbünden. Wieder anders in
Wien, wo offenbar in Erinnerung an alt-
romanische Anlagen an der Stelle der
Kreuzesarme zwei Hauptthürme angebracht
sind, von denen übrigens nur der an der
Südseite fertig geworden. Organisch ver-
bunden ist dieser Thurm mit seiner Kirche
durch die Fiktion eines Qnerschiffes, das
er scheinbar abschließt, in Wirklichkeit er-
setzt; äußerlich ausgedrückt ist diese Ver-
bindung durch die Prachtgiebel, welche
genau der Giebelreihe der Langseite ent-
sprechend und dieselbe sortsetzend über den
drei freien Seiten des unteren Thnrmge-
schoßes sich aufschwingen. Aehnlich ist der
sonst sehr einfache Untertheil des Freiburger
Thurmes mit der reichen Dekoration des
Schiffes in Einklang gebracht: durch die
gleiche Behandlung der Strebepfeiler hier
und dort uud deren gleichmäßige Aus-
schmückung an den Absätzen mit Taber-
nakeln.

Aber so mannigfach abgestnst die Ver-
hältnisse unserer Riesenthürme zum Kirchen-
gebäude seien, ihre inneren, individuel-
len, bald hätte ich gesagt persönlichen
Unterschiede sind noch viel einschneidender,
so daß wir nicht wissen, was wir am
meisten bewundern sollen, ob ben Reich -
thum des Stils, der so gründlich ver-
schiedene Bauten aus sich gebar, oder die
Vielseitigkeit der Baumeister, die innerhalb
des einen und selben Stils einen solchen
Reichthnm charakteristisch verschiedener
Wunderwerke zu erzeugen vermochten. Mit
vollkommener Zierlichkeit und Leichtigkeit
schwingt sich der ganz durchbrochene Frei-
burger Oberbau empor, als ob er des

tragenden Uutersatzes gar nicht bedürfte:
wenn dieser ihn nicht hielte, ich glaube,
dieser schönste mathematische Körper würde
zu lichteren Höhen enteilen. Wie ganz
anders Straßburg! Dieses ungeheure
Parallelogramiu lagert sich mitten in weiter
Ebene, einem Gebirgstock gleich, der erst
auf seinem Rücken den schroffen Felszacken
des verwegensten Thurmes aufsteigen läßt,
und der wie die natürlichen Gebirge unten
seine lieblichsten Partien enthält, während
er oben von Kühnheit starrt. Umgekehrt:
Gerhards berühmtes Werk (Gerhardus de
Rile war ein Sohn des Kölners Gott-
schalk aus der Ortschaft Riet bei Köln,
Dohme a. a. O. S. 216) steigt schon von
unten geflügelt ans wie keines, „aufstrebend,"
sagt Dohme ebendaselbst S. 218, „wie ein
krystallinisches Gebilde; man fühlt in ben
zahllosen Statuen, Spitzgiebeln, Fialen,
den schlanken Fenstern mit ihrem Stab-
werk das Wachsen, Sprießen und Keimen
nach oben." Der Ulmer Münsterthnrm
flieht nicht so fast die Erde als daß er
fest in ihr gewnrzelt da steht: ein macht-
voll aufgethürmtes Denkmal freien selbst-
bewußten Bürgerthums! Einen Gegensatz
zum Ulmer bildet sein Bruder weiter unten
an der Donau. Wie ein Springquell
freudehell ausstäubt, so jauchzt gleichsam
diese schlanke Wassersäule in ursprüng-
licher Macht ihres innersten Wesens zum
Himmel empor. — Nichts kann verwandter
und nichts zugleich verschiedener sein als
diese Meisterwerke unserer Vorfahren. Lassen
wir noch einige Schlaglichter ans der
Aesthetik ans sie fallen, so ist der Frei-
burger in seiner stillen Größe ein Muster
von einer ungesnchteu, sich selbst nod)
unbewußten Schönheit. In der weit
anstönenden Ruhe uud uuerschöpflicheu
Gemüthstiefe, wie sie Erwius Meister-
werk eigen, erkennen wir den Sieg des
geistig und zugleich des gefällig Schönen.
Das berechnet Schöne, die abgemessene
Schönheitslinie offenbart sich, und zwar
bei größtem Reichthum der Komposition,
in der strengen Gesetzmäßigkeit, im abge-
wogenen Ebenmaß, in der vollendeten
Selbstgleichheit des Kölner Stils. In
der massigen Erscheinung des Ulmer
Thurms, welcher übrigens die schöne Jn-
dividnalisirung der einzelnen Banglieder
nicht ansschließt, kommt das machtvoll
 
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