Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 7.1889

DOI Heft:
Nr. 1
DOI Artikel:
Keppler, Eugen: Das Bildwerk des Taufsteins in Freudenstadt, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15865#0009

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
renkung seiner rückwärts gebogenen Glie-
der sich karyatidenhast an den Sockel an-
lehnt. Da solche Löwen und auch Men-
schengestalten als Träger von Taufsteinen
sich nicht selten finden, so wird diesen
eine besondere Bedeutung kaum beizu-
messen sein. Es möchte denn Einer in den
Löwen die Wächter des Heiligthums, in
der verkrüppelten Franengestalt aber Eva
die Mutter der Lebendigen aber auch der
allgemeinen Sündhaftigkeit erblicken.

Dagegen bergen die Gebilde am Um-
kreis des Taufsteins eine Tiefe und Reife
der Gedanken, welche seltsam absticht von
der Unvollendung der Form. Auch war
die Bedeutung wenigstens eines unter
diesen Gethieren (des Hirschen) nie ganz
vergessen. Das beweist die darüber mehr
eingekritzte als eingehauene Inschrift: Evo-
mit infusum homo cervus ab angue
venenum, wozu das Kirchenbuch die er-
gänzende Bemerkung macht:

„Gleichwie der Hirsch die Schlang verschlingt
Und drauf znm frischen Wasser springt
' Und von dein Gift wird wieder rein:

So steht's auch mit dem Menschen fein.

Dann er von Sünden wird pnrgirt,

Wann er im Tarifs gewaschen wird;

Dann weicht alsbald das Schlangengift,

Das sie uns beigebracht mit List."

Die lateinische Inschrift ist, wie die form-
losen, unregelmäßigen Buchstaben beweisen,
sicher tiicht viel älter als diese deutschen
Verse. Die kühne Apposition homo cer-
vus — der Hirsch-Mensch, d. h. hier:
„Der Mensch nach Aehnlichkeit des Hir-
schen", kann nur aus der Zeit des neu
erwachten Klassicismus stammen. Wir
tiehmeit daher mit Grund an, daß dieser
Stein seine lateinische Aufschrift erst zur
Zeit seiner Ueberführnng in die von Schick-
hardt erbaute Kirche erhielt. Danach ist
im „Archiv", Jahrg. 1887 S. 1b, das
über die betreffende Inschrift Gesagte zu
verbessern. Auch ist dort irrthümlich von
zwei Hirschen die Rede. Die Sache ist
diese: Ein Hirsch, Relief in den rohesten
Umrissen, (die Augen z. B. sind wie auch
in den andern Thierbildern nur als rohe
Linien eingeritzt), doch nicht ohne eine ge-
wisse Naturwahrheit, beugt sich über eine
Schlange, um ihr den Tod 51t geben;
nicht aber speit er sie aus, wie das ans
dein lateinischen Vers fälschlich geschlossen
wurde; er verschlingt vielmehr die Schlange

und das „Reinwerden" von beni Gift,
oder wie es gewöhnlich dargestellt wird,
die Aufhebung und Unschädlichmachung des
Giftes in ihm folgt erst nach, sobald er
aus der Quelle getrunken. Cervus quando
vult renovari et cornua sua ponderosa
deponere quaerit in nido formicarum
serpentem, quem deglutiens et vene-
num aestuans currit ad kontern, de
quo postquam biberit, venenum expel-
litur, cornua deponuntur. Vincent.
Bellovac. Spec. moral, lib. III. (cf.
Corblet Revue 1864, p. 546).*)

Nach der Anschauung der Vorzeit, die auch
im Mittelalter ganz gang nnb gäbe war,
ist der Hirsch der größte Schlangenjäger
und Schlangentödter. Wenn die Gebrechen
des Alters sich einstellen, wächst sogar in
ihm des Jagens Begier, anstatt abznnehmen.
Er trinkt an der Quelle und sendet einen
kalten Wasserstrahl in das Lager der
Schlange. Treibt das sie noch nicht
heraus, so tobtet er sie mit seines Athems
Strahl, oder zieht sie daran, indem er
den Athem an sich zieht, wie an einer
Angel heraus. Windet sie sich dann vor
seinen Füßen, zertritt er sie und verschlingt
sie. Es liegt ans der Hand, wie sehr
dieser Schlangenhaß und diese Schlangen-
hatz von Seite des Hirschen ohne eine
andere Waffe als seinen kalten Wasser-
strahl oder seinen heißen Athemstrahl ihn
als treffliches Sinnbild erscheinen lassen
mußte von der unversöhnlichen Gegner-
schaft Gottes gegen die Sünde und von
dem Sieg des Erlösers über den Geist der
Finsterniß: als ein Sinnbild vollends
passend für einen Taufstein, da ja bei der
heiligen Taufe die Beschwörung Satans
bekanntlich auch durch Anhauchnng ge-
schieht und das Wasser, verbnndeil mit
dem Wort Gottes, das äußere Zeichen
darstellt, unter welchem der Herrschaft des
Teufels ein Ende gemacht wird. Einen

*) Tic isländische Anschauung keime ich wohl,
wornach der Hirsch, lvcun er beim Trinken merkt,
daß eine Schlange in seinem Munde sei, sie aus-
speie und zn Tod trete. „Sv erblickt auch unser
Herr Jesus Christus nnsern Feind den Teufel,
und treibt ihn aus unserem Herzen mit dem
Brunnen der göttlichen Weisheit." Physivlogus,
Ansg. vvn Rommel, S. 101. Allein nach un-
seren mittelalterlichen Thierbüchern, ans die es
hier allein ankommt, ist die Sache so einfach
nicht.
 
Annotationen