Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 7.1889

DOI Heft:
Nr. 1
DOI Artikel:
Zimmerle, Karl: Reformation und Geschichte der deutschen Baukunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15865#0013

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
9

Zeiten und Gegenden unbewußt arbeiten;
„mit der Renaissance aber tritt an die
Stelle dieser Zielstrebigkeit ein planloses Um-
hertasten: das, was bis dahin der Führer
der architektonischen Entwicklung gewesen und
im Heimathland der neuen Formen nach wie
vor blieb, die kirchliche Baukunst, tritt in
Folge der reformatorischen Bewegung in
Deutschlands zurück. Aber auch die Pro-
fanarchitektur krankt an den politischen Ver-
hältnissen des Landes ... Es ist, als ob
der gewaltige Gedanke der Reformation, den
die Nation mit ihrem Herzblut durchgeführt,
das große Wollen auf anderen Gebieten er-
fchöpft hätte." Der letzte Satz ist nun zwar
eine Phrase; da sie aber für die Würdigung
des „gewaltigen Gedankens" nicht sehr
schmeichelhaft ist, so wollen wir uns mit ihr
ebenso wenig aufhalten, wie mit ähnlichen
Phrasen, denen man in anderen protestanti-
schen Schriften gleich wie evangelischen
Wahrheiten begegnet, z. B. S. 283: „Es
ringen die Geister ans allen Gebieten nach
Befreiung ans den Banden, in die das Mit-
telalter Denken und Leben gelegt", oder
S. 284: „Die Massen des Volkes sind es
recht eigentlich, in denen der Geisterfrühling
sproßte. Sie sind die Trägers jener gro-
ßen religiösen Bewegung, des Kampfes um
die Emanzipation der Geister aus den Ban-
den Roms, der einen Kernpunkt der ganzen
Bewegung bildet." Um so begieriger aber
haben wir uns nach den Gründen um-
gesehen, welche das Zurücktreten der kirch-
lichen Architektur aus ihrer führenden Stel-
lung überhaupt und das der Bauten der
evangelischen Kirche hinter jene der katholi-
schen Kirche insbesondere rechtfertigen oder
erklären? Davon ist viel später, auf S. 372,
in folgenden Worten die Rede:

„Es ist das einerseits in der Eigenart

U Nach dem, was Dohme in seinem Werk
selbst, wie die soeben ausgehobenen Stellen zeigen,
mittheilt, müssen wir unter dem Ausdruck „Deutsch-
land", den evangelischen Theil Deutschlands ver-
stehen: in katholischen Landesthcilen blieb die
kirchliche Baukunst Führerin der Banentwicklnng
wie in Italien.

2) Die „Massen des Volkes" haben sich,
wenn man von jenen absieht, welche den
Bauernaufstand mitmachten und nach Lu-
thers Rezept „wie tolle Hunde" todtgeschlagen
werden sollten, an die Reformation meist ange-
schlossen in Folge von Zwangs maßregeln
derjenigen, welche das Kirchenregiment und die
Kirchengüter an sich rissen und das Gesetz aus-
übten: cujus regio, ejus et religio. So wurden
z. B. in Augsburg die „Banden Roms" vom
Magistrat gesprengt „mittelst Strafen an
Ehre, Leib und Gut" gegen jene, welche
nicht vorzogen — in's „Exil" zu gehen!

deS evangelischen Gottesdienstes
begründet, dessen Bauprogramm in erster
Linie ans Schaffung eines Predigtraumes
abzielt. Bei diesem Ziele aber wird man
große Abmessungen eher vermeiden, als
suchen. H Dazu kam der einfache Charak-
ter des lntherischeir Ritils, die Zurück-
weisung alles Schmuckes in resormirten,
und endlich die meist schlechte Finanzlage
der Kirchen beider Bekenntnisse." Was den
erstgenannten Grund betrisst, so sollte man
erwarten, daß, wenn der evangelische Gottes-
dienst in der That ein eigenartiger ist, man
sich nicht begnügt hätte, wie es durchweg
geschah, sich in den Kirchen häuslich einzu-
richten, welche man den Katholiken abgenomnten
hatte, wobei man höchstens mit einem geringeren
oder größeren Vandalismus die Kunstwerke
der „papistischen" Zeit zertrümmerte und „allen
Schmuck" nicht nur „zurückwies", sondern
hinauswarf! man sollte erwarten, daß dieser
eigenartige Gottesdienst endlich nach dreiein-
halb Jahrhunderten das Modell, „das Bau-
Programm", gefunden hätte und die Gläu-
bigen wetteifern würden, es zu verwirklichen!

Es dünkt uns sehr beschämend für die
gestaltende Kraft der Künstler und der sie
seit Eintritt jenes „Geisterfrühlings" be-
fruchtenden Ideen, wenn wir lesen (S. 368):
„Wohl beschäftigt die Frage nach der Ge-
winnung eines normalen Grundrisses für
den evangelischen Ritus schon seit dem Ende
des 16. Jahrhunderts die Architektenwelt,
aber die Lösungen, welche man vorerst bietet,
haben keine tiefere Bedeutung." Nicht viel besser
beurtheilt werden „im Anfang des 18. Jahr-
hunderts die mannigfachen praktischen und
theoretischen Experimente, um einen Normal-
grundriß für die evangelischen Predigtkirchen
zu gewinnen. Charakteristisch für diese Ver-
suche sind die sonst unbedeutenden Central-
kirchen Berlins aus dieser Zeit" (S. 402).
Von weiteren „Versuchen" ist in der „Ge-
schichte der deutschen Baukunst" nicht mehr
die Rede, und unseres Wissens harrt noch
heute „die Frage nach der Gewinnung eines
Grundrisses", welcher „der Eigenart des
evangelischen Gottesdienstes" entspräche,
ihrer künstlerischen Lösung und begnügt man
sich, mehr oder weniger im Anschluß an das
katholische Mittelalter und die italienischen
Vorbilder sich evangelische Gotteshäuser zu
bauen. Von einem Einfluß des Ritus auf

Z Diese entschuldigende Bemerkung nimmt
sich sonderbar ans neben der, welche S. 366
über die „weiteren Binnenräume" bei den Ka-
tholiken gesagt wird, seit angeblich das Tridenti-
num der Predigt einen größeren Raum im
Gottesdienst eingeräumt habe. Ist das glei-
ches Maß und Gewicht?
 
Annotationen