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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 7.1889

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Nr. 2
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Keppler, Eugen: Deutschlands Riesenthürme, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15865#0019

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15

ergibt und als es zur näheren Erklärung
und Begründung unserer bisher vielleicht
zu allgemeinen Bemerkungen nothwendig ist.

Es ist der früheste von unseren Thür-
men, der schon über ein Menscheualter
fertig war, als der Plan zu den Kölner
Domthürmen entworfen wurde, der mehr
als ein Jahrhundert als der einzige in
seiner Art vollendet dastand, bis er mit
dein Wiener Stephansthurm diese Ehre
theilte: es ist der Freiburger Müuster-
thurm, welcher bei unserer vergleichenden
Betrachtung den Vortritt hat. Von ihm
fällt ein Helles Licht auf die Eigenthüm-
lichkeiten seiner Genossen und auf die
Thurmbaukunst überhaupt. Alle Meister-
schaft deutscher Meister in der Behandlung
des Strebesystems, in der leichten Auf-
gipfelung der Theile, in der Durchgeistigung
der Massen und glücklichen Zusammen-
schweißung der viereckigen mit der pyra-
midalen Hauptsorm kommt schon in diesem
frühesten Vertreter der deutschen Hoch-
gotik zur glänzenden Geltung. Den
Kölner Domthürmen an Reinheit des Stils
und der Formen ebenbürtig, ist er hierin
seinen Genossen in Ulm, Wien und Straß-
burg überlegen, übertrifft den letzteren
außerdem an Einheitlichkeit und Zusammen-
klang, beit Ulm er an Gesetzmäßigkeit des
Aufbaues, den Wiener an lichtvoll-durch-
sichtiger Anlage, alle insgesammt au freiem
ungekünsteltem Ausstreben, an natürlichem
Zauber. „Ich mochte wollen oder nicht,
vor diesem Thurm und seiner in die Höhe
sich schwingenden vollständigen Zierlichkeit
und Leichtigkeit mußte ich bewundernd
stehen bleiben. Es ist dem Auge geradezu
unmöglich, diesem freien, leichten Schwung
zu widerstehen." (Deutinger a. a. O.)
Da ist die Originalität in ihrem ganzen
Glanz, in ihrer ganzen Anziehungskraft,
der Genius in seiner ganzen Reinheit, in
seiner ganzen Natürlichkeit ohne eine Spur
von dem Flittergold eines verkünstelt zier-
lichen Wesens, ohne einen Anflug grauer
Theorie, ohne den einförmigen Ernst und
die schulmäßige Trockenheit, wie sie Werken
eigen sind, welche mehr aus der arbeit-
samen Stille der Studierstube als aus
freier künstlerischer Anschauung hervorge-
gangen sind. Reich bei aller Maßhaltung,
bei mathematischer Genauigkeit dennoch
malerisch und poetisch, ungesucht und un-

gezwungen bei völlig gesetzmäßiger, organi-
scher Behandlung, ist dieser schöne Thurm
(wie das auch bei großen Charakteren der
Fall zu sein pflegt) aus Kontrasten zu-
sammengesetzt. Ihn auf einmal fertig dem
Haupt seines Autors entsprungen zu denken,
wäre ebenso irrig, wie wenn man ihn
lediglich als die Frucht mühsamen Ab-
zirkelns begreifen wollte. Wie soll ich
sagen? Er hat etwas Ursprüngliches,

Einziges, etwas unberechnet Berechnetes,
etwas frei Gemessenes, etwas einfach Edles,
etwas ernst Heiteres: eine Vermischung
von sonst sich feindlichen oder doch feind-
lich scheinenden Gegensätzen, wie sie nur
zutreffen kann bei einem Gebäude, dessen
Fuß noch mit der frühgothischen Periode
Fühlung hat, während sein Haupt sich im
vollen Souneuglanz der Hochgotik badet.
Nur in dem Augenblick, da der erste
Morgeustrahl die Rosenknospe zur Entfal-
tung bringt, nur in diesem Augenblick bietet
sie uns das wundersame Schauspiel jugend-
licher Frische und männlicher Reise zugleich.

Demnach wäre der Wuchs des Frei-
burger Riesen nicht ganz gleichartig? Be-
kanntlich nicht. Die unteren schlichten
Massen bis zur ersten Gallerie schreiben
sich noch vom Ende des 13. Jahrhunderts
her, wie auch das am linken Strebepfeiler
der Vorhalle angebrachte Brotmaß vom
Jahre 1270 bezeugt, während der in
mächtiger Fülle emporragende Haupttheil
des Baues der ersten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts angehört, worauf die reiche und
dabei noch völlig organische Gliederung
weist. Umsonst sucht Adler das Werk als
eine einheitliche, aus bewußter Absicht
hervorgegangeue Schöpfung Erwins von
Straßburg zu erklären und in die Jahre
1268—1280 zu versetzen. Daß diese Ein-
fachheit von unten und jene Pracht nach
oben nicht in einem nothweudigen und von
Anfang geplanten Zusammenhang zu ein-
ander stehen, lehrt der Augenschein. „Die
obere Hälfte des Thurmes," sagt Kugler,
„bezeichnet ein neues Stadium der Bau-
führung. Im Gegensatz gegen die Ein-
fachheit von unten sehen wir hier die
reichste Pracht des gothischen Stils ent-
wickelt. Ein neuer Meister, eine neue
Leitung, ein neuer Plan treten uns hier
entgegen. Es liegt im Wesen der (beson-
ders deutsch-) gothischen Architektur, daß
 
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