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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 7.1889

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Nr. 4
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Keppler, Eugen: Deutschlands Riesenthürme, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15865#0040

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36

deßhalb mit Aufgebot reichster Gliederung;
„die großen harmonischen Massen sind hier-
zu rurzählig kleinen Theilchen belebt wie
in den Werken der ewig jungen Natur!"
(Görres.) Was das Crescendo des Baues
anlangt, so ist das zweite der Höhe des
Mittelschiffs entsprechende Geschoß um ein
beträchtliches höher als das erste. Die
Summe beider Untergeschoße wird von der
des dritten und vierten und diese wieder
von der Höhe der Pyramide übertroffen,
welch' letztere reichlich für sich allein ein
Drittel der Gesammthöhe mißt. „Am zweiten,
dritten und vierten (achtseitigen) Geschoß
werden auch die einzelnen Glieder gestreckter
und zuweilen minder reich als unten, ge-
winnen aber an zunehmender Belebung durch
gelöstere Massen." So Kallenbach. lieber
den Reichthnm der Gliederung bemerkt
derselbe: „Während in Freiburg Spitz-
giebel nur über dem Eingang und den
obersten acht Durchbrechungen Vorkommen,
befinden sich hier dergleichen über jedem
Fenster und Portal, in den höheren Theilen
selbst über den Nischen." Aber nicht bloß
ans den Höhen des Gebäudes sproßt und
blüht es. „Der Beschauer in seiner win-
zigen Kleinheit sollte staunen gleich bei
Betrachtung der ihm am nächsten liegen-
den, durch die Höhe weniger dem Auge
entrückten Theile, also des untersten Ge-
schoßes, weßhalb der gegliederte, ja zar-
teste Reichthum gerade diesen zugetheilt
wurde." (Eberrd.) Hier ist also nichts
weniger als der blntte, bloße Stamm, der
die Freiburger Krone aus sich entspringen
läßt: hier ist die Uebersülle des Wachs-
thnms, das den Fuß unserer Waldriesen
in immer neuem Wechsel umspielt, die
Strenge und Eintönigkeit unterbricht und
das bunteste Allerlei in die Waldeinsam-
keit hineinzaubert — allerdings ein sehr-
künstliches Wachsthnm (wenden die Kri-
tiker ein), das bei aller Unerschöpslichkeit
mehr die ordnende Thätigkeit der Men-
schenhand als das Waltere urrd Weben
ursprünglicher Natnrkräfte zum Ausdruck
bringt. Und doch kommt letzteres gewiß
nicht zu kurz. Ja dadurch unterscheidet
sich sogar dieser Barr von jedem andern
und irrsbesondere von derer stückweisen Auf-
ban des Straßburger Riesen, daß Eine
aufsteigende Bewegung, sobald sie siegreich
dem Schooß der Erde entstiegen, unauf-

haltsam durch das Ganze weiterdrängt
und das Höchste wie das Tiefste, das All-
gemeine nnd das Besondere dnrchdringt,
so daß hier keine Umgangsgalerie und
überhaupt keine Horizontallinie den Höhen-
flug unterbricht — selbst die wagrechten
Begrenzrrngen der Stockwerke stechen nur
stückweise hervor — und daß ebensowenig
in der Breiteerrtwicklnng irgend eine Lücke
oder ein Lückenbüßer den einheitlichen
Guß urrd Fluß hemmt. „Wo die Einheit
zur Herrschaft gelangt (sagt Görres, d.
Dom v. Köln S. 11), soll Eines in
Allenr sein und Alles irr Einern sich wie-
derfinden. Nach diesem Typus, irr dem
auch die Natur alle ihre Hervorbringungen
gebildet, hat auch hier der Geist in seinem
Schaffen und Gestalten gewaltet. Ein
Leberr athnret in dem Werke, garrz im
Ganzen und ganz irr jedem Gliede, in
der Vielheit einfältig und irr der Einfalt
überreich; und'indem dies Leberr, frei im
Stoffe schaltend, aus Steirr den mächtigen
Leib überall im Ebenmaß sich angebildet,
muß eine überall sich selber gleiche Form
Zeugnis; geben von der heitern Vollen-
dung urrd Rundung der einwohnenden Ge-
dankenfülle." Nichts ist hier überflüssig,
nichts willkürlich. Selbst das Ornament
bis zum letztere Zäserchen hinaus (wie
ganz anders als am Wiener Stephans-
thurrn!), es zweckt zum Ganzen und es
kann zu derr stärkeren Baugliedern, die es
sänftigend umschmiegt, sagen: Ich bin
Bein von eurem Beirr und Fleisch von
eurem Fleisch! — Eine Folgerichtigkeit,
eine Zielstrebigkeit, wie sie in diesem Grad
irr der ganzen Geschichte der Baukunst
nicht mehr vorkommt, wie sie überhaupt
sonst bloß rroch einmal, ans einem andern
Kunstgebiet, erreicht wird — von Demo-
sthenes , irr welchem ebendeshalb Cicero
die Beredtsarnkeit selbst gewissermasserr
verkörpert sieht. Wie in einer feurigen
und doch wohlgesetzten Rede des Demo-
sthenes (denn dies Beides widerspricht
einander nicht!) ein Beweis derr andern
jagt, eine Gemüthsbewegnng die andere;
wie da ein Satz immer die Grundlage fin-
den folgenden bildet urrd der folgende die
Zuspitzung des vorangegangenen, und so
der Redrrer, vorr Begeisterung sortgerissen
rrnd die Zuhörer mit sich reißend, gleich-
sam athemlos forteilt bis zrrnr Schluß-
 
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