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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 7.1889

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Nr. 8
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Probst, Josef: Ueber die "Hirscher'sche Madonna", [1]
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82

Der Gegenstand der Skulptur, die iit 3U
Lebensgröße ausgeführt ist, ist Maria als
Helferiu der Christen. Der künstlerischen Dar-

stellung eröffnen sich hier zwei Wege. Die
Schutzflehenden können fo gewählt werden,
daß durch dieselben alle Stände in Kirche und
Staat, alle Lebensalter rc. vertreten werden.
Dann wird aber die Zahl derselben sehr groß
und sie selbst müssen puppenhaft klein dar-
gestellt werden, was sichtlich seine Nachtheile
hat. Oder aber, der Kreis der Schutzflehen-
den wird beschränkt aus eine Familie oder
überhaupt auf eine kleinere Zahl. Daun darf
aber mit viel Wahrscheinlichkeit angenommen
werden, daß ein Votivbild vorliege, zu welchem
die Stifter und ihre Familien in einer spe-
ziellen Beziehung stehen, die auch an dem
Bild zum Ausdruck kommen wird. Ein sehr
bekanntes Beispiel hiefür ist die Holbeiu'sche
Madonna mit der Familie des Bürgermeisters
Jakob Meyer von Basel in Dresden. Diese
vereinfachte Darstellung bietet namhafte Vor-
theile und hat auch Schramm schon 50 Jahre
vor Holbein dieselbe angewandt. Die Zahl

der Schutzflehenden in seiner Skulptur ist
nur sehr mäßig; dafür sind aber dieselben in
größerem Maßstab ausgeführt, so daß die
persönlichen Züge derselben zur Geltung ge-
bracht werden können. Im Vordergründe
knieen zwei Personen, ein Mann und ein
Weib, ein ohne Zweifel kinderloses Ehepaar.
Bei dem Mann ist die flehende Hilfsbedürf-
tigkeit besonders energisch in seinen Mienen
ausgedrückt; das eine Auge desselben, das
linke, scheint erloschen zu sein. Ob das ur-
sprünglich beabsichtigt war, oder durch eine
zufällige Beschädigung der Skulptur entstan-
den, muß anheimgestellt werden. Die Frau,
auf der andern Seite im Vordergrund knieend,
ist durch eine ansehnlich breite Gesichtsbildung
charakterisiert. Dazu kommt, daß die beiden
Männer hinter ihr, von ungefähr gleichem
Alter wie sie, die gleiche Ausdehnung der
Physiognomie in die Breite haben; es wird
hiemit ein deutlicher und verständlicher Wink
gegeben, daß unter ihnen eine nahe Bluts-
verwandtschaft bestehe, vielleicht, daß sie Brü-
der der Frau im Vordergründe sind. Auch
die etwas jüngere Frau hinter ihnen nimmt
noch an dieser Gesichtsbildung theil. Sodann,
hinter deni flehenden Mann, ist zunächst eine
Frauensperson von etwas ordinärem Gesichts-
ausdruck, aber keineswegs mit breitem Gesichte,
abgebildet. Die Ehegattin desselben kann
das nicht sein, weil diese auf der andern Seite
ist; aber sie kann eine nächste Verwandte des
Mannes (Schwester) fein. Dann kommt eine
Gruppe von drei Personen jüngern Alters.
Zunächst au der Seite ein junges Mädchen
mit sehr feiner Gesichtsbildung und mit ge-
wählter Kleidung; hinter ihr ein Jüngling
von gleichem Alter und noch ein Mädchen,
das die Grenzen der Kindheit noch nicht
überschritten hat. Sie sind sichtlich Geschwister
unter einander, vielleicht Kinder der Schwester
des Mannes im Vordergrund. Die starken
Unterschiede in der Darstellung der Physiog-
nomie einerseits und die Gruppenbildung
nach Physiognomie und Alter andererseits,
lassen das Bestreben des Meisters hervor-
treten, nicht bloß die Stifter selbst, sondern
auch die nächsten S ei tenv erw a u d t cn
derselben darzustellen. Ein anderer Ge-
sichtspunkt für die Wahl und Anordnung
dieser Gruppen wird sich wohl nicht ausfindig
machen lassen. Eine Darstellung der ver-
schiedenen Altersstufen ist nicht anzunehmen,
weil das hohe Greisenalter bei beiden Ge-
schlechtern fehlt und dieses Schema allzu
regellos behandelt wäre. Aus der umfang-
reichen Kopfbedeckung einiger Frauen schließen
zu wollen, daß hier außer den Laien auch
geistliche (weibliche) Ordenspersoneu haben
dargestellt werden wollen, ist irrig. In der
 
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