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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 7.1889

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Nr. 9
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Keppler, Eugen: Deutschlands Riesenthürme, [10]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15865#0090

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des strengen Stils als einzelne mißbildete
Formen. Zum Glück ist dieses Beiwerk
während es hier weniger ans der Architek-
tur herauswächst, in sich selbst desto enger
mit allen seinen Einzelheiten verwachsen.
So wird eine gewisse weiche Verschwom-
menheit der Hauptumrisse doch nicht zu
einer Zerflossenheit im Einzelnen. Als
ein eng verschlungenes Gewebe wächst es
geflügelt zu des Riesen Haupt empor und
hüllt selbst die mächtigen ins Kreuz gestell-
ten Streben in sein undurchdringliches
Dickicht.

Letztere verjüngen sich, indem sie un-
zählige Thürmchen und Pyramiden von
ihrer Hauptmasse absondern, stetig von
unten aus und leiten oberhalb des vier-
eckigen Thurmabschnitts den Uebergaug zu
der pyramidalen Hauptform in der schon
bekannten Weise ein, nämlich durch reich
gegliederte Fialenthürme, in welche sie sich
verflüchtigen. Diese erscheinen wie in der
Wurzel so auch in ihren freigewordeuen
Schlußpyramiden enger an das Achteck
angeschmiegt, also von nicht so selbstän-
diger Bildung und Stellung, wie in Frei-
burg oder Köln, was in dem verhältniß-
mäßig kleineren Durchmesser und schlanke-
ren Emporstreben des Hauptkörpers seinen
Grund hat. Die vier Spitzen dieser Pyra-
miden, sowie die Endfialen der Ecken des
Achtorts tragen wieder in sehr sinniger,
dem Auge wohlthuender Weise, ähnlich wie
in Freiburg, die aufstrebende Bewegung
über den freien Gang empor, welcher um
den schlank aufschießenden, durchsichtigen
und von vier Wimpergkränzen umgebenen
Steinhelm läuft, dessen Rippen mit etwa
einen Meter langen Pflanzenknorren be-
setzt sind und iu die mächtige von dem
Doppeladler mit Kreuz überragte Schluß-
blume auslaufen. Wenden wir uns nach
einer der vier Seiten unseres Thurmriesen,
so deutet ein kleines Gesims über dem
Fensterpaar, welches die dreifachen Ein-
gangsbogen überragt, eine Scheidung des
viereckigen Baus in zwei Hälften wenig-
stens au. Dieses Gesims bildet die Unter-
lage für den herrlich durchbrochenen drei-
fach getheilten Giebel, der die Giebelreihe
der Langseite auch um deu Thurm herum
fortsetzt und das gegen 50 Fuß hohe
Glockenfenster im zweiten Stockwerke zum
Theil bedeckt. Etwas mehr markirt, jedoch

keineswegs auffallend (nein, ein solches
Trennungsglied, als welches einige die
Freiburger Umgangsgalerie so störend fan-
den, tritt hier nicht zu Tage mitten „iu der
Erscheinungen Flucht"!) ist die Mittel-
linie zwischen der viereckigen und höheren
achteckigen Hälfte, ein schwaches, diesmal
auch den Körper der Strebepfeiler um-
ziehendes Gurtgesims. Auf diesem schwinge»
sich je zwei mit einander verschränkte Gie-
bel, noch zierlicher als der schon beschrie-
bene, auf, welche das große fialenbekrönte
Fenster des dritten Stockwerks in ihre
Mitte nehmen. So auf jeder Seite des
Oktogons, dessen Ecken nicht scharf abge-
schuitten wie in Freiburg, sondern mit
Blenden und Thürmchen gegliedert, einen
Wettlauf eingehen mit den vier großen
Fialenstellungen (den Ausläufern der Stre-
ben) und zuletzt durch ihre Spitzen und
die Spitzen ihrer Genossen einen sehr
wirkungsvollen Kranz bilden, welcher den
Fuß der Hauptpyramide umschließt. —
Wie mau sieht, fehlt es in Wien keines-
wegs an Durchbrechung der Massen, an
Zuspitzung, an gelungenen Uebergängen
und befriedigender Verbindung der Theile,
überhaupt nicht an durchdachtem Aufbau
— au aufstrebender Bewegung am aller-
wenigsten! Aber diese vollzieht sich bei
weitem nicht in so bestimmten Abschnitten
wie in Ulm, vielmehr in wellenförmigen
Linien mit ununterbrochener Stätigkeit der
Umrisse, so daß ein Theil aus dem andern
gleichsam auszufließen scheint und alle
Einzelheiten in ungezwungener Leichtigkeit
zu einem harmonischen Ganzen sich ver-
binden.

Iu Ulm dagegen wird die Masse durch
die Kraft überwunden, der Verstand vor
allem durch die Oberherrschaft der Grund-
formen befriedigt. Weniger mit mildern-
dem Beiwerk bekleidet, deutet dieser Riesen-
körper alle Umrisse sichtbarer an. Ueber
dem flach ansteigenden Pultdach der herr-
lichen dreitheiligen Vorhalle baut sich die
Prachtpartie des Ganzen auf, die drei
himmelhohen von geschweiften Bögen über-
dachten Durchbrechungen. Hinter ihnen,
tief im Hintergrund, leuchtet ein die ganze
Fläche einnehmendes ebenso riesiges als
zierlich gegliedertes Fenster hervor und
zugleich ins Innere des Mittelschiffes,
welches es mit Licht überflutet, hinein.
 
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