Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 7.1889

DOI Heft:
Nr. 11
DOI Artikel:
Moderne Malerei, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15865#0110
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
106

man muß gegen jene Lascivitaten sich er-
klären, auch ans die Gefahr hin, daß man
ans der Künstlerwelt bloß Spott und Hohn
als Antwort erhält. Man muß den Lehr-
meistern, welche zu derartigen Arbeiten ihre
Schüler ermuntern, man muß den Künstlern,
welche an solche Themate Zeit und Kraft
vergeuden, man muß den Ansstelluugs-
kommissionen, welche solche Werke znlassen,
ernstlich aufs Gewissen legen die unbe-
rechenbar große moralische Verseuchung,
welche die Beschauer dieser Bilder aus der
Ausstellung in die Nation hinausverschlep-
peu. Mit Entrüstung sei noch hiugewiesen
aus die Magdalena des Münchener Malers
Map Nuschel, die nicht als religiöses, son-
dern nur als Bordellbild bezeichnet werden
kann und ihre vielen, wahrlich auch schon
hinlänglich iudecenten Vorgängerinnen noch
übertrifft. Das ist deßwegen die empö-
rendste Leistung dieser Art, weil hier der
unreine Sinn das Heilige mißbraucht und
die Neue und Buße schändet. Nicht viel
besser ist aber die „hl. Theodosia" des
Prager Malers Jakesch, in abscheulicher
Haltung todt am Boden liegend — ja
insofern noch infamer, als nicht einmal
die Majestät des Todes, des Märtyrer-
todes, die Heilige vor Schändung bewahren
konnte. Wenn die Stimmen der Moralität
und der Religion und auch die einer ernsten
Kunst gegen solche Ausschreitungen nichts
vermögen, so soll ein Mann den Ansstel-
lnngskommissionen und Künstlern das Ge-
wissen schärfen, welcher über jeden Ver-
dacht der Prüderie und der Bigotterie, ja
selbst der Wohlauständigkeit nur zu sehr
erhaben ist. Vielleicht schenkt man dem
Wort Diderots, des Atheisten, des
theoretischen und praktischen Materialisten,
des Cynikers, mehr Beachtung.

„Ihr Künstler," schreibt er (Salon 1767),
„wenn ihr eifersüchtig seid ans das Fortleben eurer
Werke, so rate ich euch, nehmet nur Anständiges
zip eurem Vorwurf; was immer dem Menschen
Sittcnverderbniß predigt, ist gemacht, um vernichtet
zu werden, und um so gründlicher vernichtet zu
werden, je gelungener das Kunstwerk ist. Es ist
fast keiner von den verrufenen schönen Stichen
mehr vorhanden, die Giulio Romano nach dem
unflätigen Aretino geschaffen hat. Rechtschaffen-
heit, Tugend, Ehrbarkeit, Gewissen und Gewissens-
ängstlichkeit legen bälder oder später ihre Hand
auf unanständige Erzeugnisse. Wo wäre auch
in der That unter uns einer, der im Besitz eines
Meisterwerks der Malerei oder Bildnerei, ivelches
zur llnsittlichkeit anregen könnte, dasselbe nicht

vor allem den Blicken seiner Frau, seiner Tochter,
seines Sohnes entziehen würde? Wo wäre einer,
dem nicht in den Sinn käme, das Meisterwerk
möchte einst einem znfallen, der weniger darauf
sehen würde, es einznschließcn? Wer spricht es
nicht in seinem Innern aus, daß das Talent
hätte können besser angetvendet werden, das; ein
solches Werk nicht hätte geschaffen werden sollen
und das; es verdienstlich iväre, es zu vernichten?
Wiegt ctlva ein vollendetes Kunstwerk die Ver-
führung einer unschuldigen Seele auf? Und
wenn solche Bedenken, die denn doch nicht zu
verlachen sind, sich erheben, ich sage nicht für
einen Frömmler, sondern für einen Rechtschaffenen,
ich sage nicht für einen religiös Gesinnten, son-
dern für einett Freigeist, einen Gottesleugner,
der im Begriff steht, ins Grab zu steigen, was
soll aus dem schönen Geniälde, ans der herr-
lichen Statue werden? In Einem Augenblick
könnte das Werk des seltensten Talentes in Stücken
am Boden liegen und wer von uns niöchte die
reine, barbarische Hand tadeln, ivelche diese Art
von Enttveihung verübte?"

Nun zur Hell- oder Freilicht-
malerei. Sie spielt sich auch auf dieser
Ausstellung als Großmacht auf und führt
mit mehr Hitze als bisher ihren Prozeß
gegen die bisherige Knnsttradition. Sie
klagt die letztere an als Feindin des Lichtes
und der Natur; sie kranke an Farben-
blindheit und tauche ihren Pinsel immer
noch, nachdem sie ihn mit Farbe gefüllt,
in die Chocolade oder die sog. Münchener
Braunsauce; anstatt Landschaften und Ge-
stalten unmittelbar aus der Natur herüber
zu nehmen, führe sie auf ihren dunklen
Hintergründen ans Kosten der Wahrheit
eine Art Versteckspiel auf. Die alte Kunst
ihrestheils klagt gegen diese Neuerung auf
hochmüthige und brutale Verletzung oberster
Kunstprinzipien, auf Abfall von allem höhern
Geist der Malerei, auf Karrikiruug, nicht
Nachahmung der Natur, auf Depravatiou
des Geschmacks und des Gefühls für das
Schöne. Die Jurys und die theoretische
Aesthetik haben es bisher nicht gewagt,
durch einen Stuhlsprnch den Prozeß pro
oder contra zu entscheiden; sie verhalten
sich duldend und zuschauend. Auch wir sind
weit entfernt, das entscheidende Wort spre-
chen zu wollen; aber an der Zeit scheint
es uns, die hier maßgebenden unver-
brüchlichen Prinzipien herauszu-
stellen und offene Verirrungen als solche
dazuthun.

Eine relative Berechtigung der
Hellmalerei und eine Bereicherung der
Palette und Erweiterung der Farbenwelt
 
Annotationen