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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 8.1890

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Nr. 1
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Keppler, Eugen: Der Hirsauer Bilderfries, [1]: Briefe an einen Alterthümler
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https://doi.org/10.11588/diglit.15907#0015

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sau S. 81: und welcher Kaiser mit dem
Kloster Hirsau so wenig zu thuu hat als
ein homerischer Held! Oder wenn ein
„Erklärer" vor einem roh gemeiselten
Fraueubild entzückt ausruft: Heureka! Hier
ist ja der in der Mühle geborene Knabe
selbst! — während dasselbe Fraueubild
sonst wieder nach Bedarf bald einen Mönch
vorstellen soll, bald eine Jungfrau, die
einen Retter zu Hilfe ruft — der gar
nicht da ist! Wenn von drei tragenden
Männern von ganz gleichem Typus der
eine als „eine Art Atlas" aufgefaßt wird,
während der andere, welcher doch ebenso
trägt, jetzt als Seher die Weissagung des
Jsaias erfüllt sieht von dem Knaben, der
„Kälber, Löwen und Schafe zusammen
weidet", jetzt wieder von demselben Aus-
leger als dieser glückliche Knabe selber
gedeutet wird, obwohl er, wie Figura zeigt,
ein bärtiger Alter ist! H Wenn ein ander-
mal in dem genannten Triumvirat der
Baumeister, der Abt und der Blinde der
Aureliuslegeude gefunden wird; letzterer in
der Figur, welche die Hand au die Stirne
legt, als ob das nicht auch ein Sehender
thuu könnte, und als ob der Blinde der
Aureliuslegeude in irgend einem Zusammen-
hang mit Thurm oder Kloster stände!
Wenn Böcke, so deutlich wie sie je im
Buche stehen, sich gefallen lassen müssen,
als „Kälber, Widder und zahme Lämmer"
verzollt zu werden, namentlich aber als
Hirsche, denn, da das Kloster Hirsau heißt,
muß doch sein Thurm ganz nothwendig
das Bild eines Hirschen tragen! Ein
trefflicher Grund, nicht wahr! *)

*) Wie es nichts gibt, was diese „Erklärer"
nicht zusammenzureimeu verständen, zeigt folgende
Stelle ans Steck, Kloster Hirsau, S. 288: „Auch
den Bildern auf der Westseite fehlt es nicht an
tieferem symbolischem Gehalt. Einer, dem die
Augen geöffnet sind, sieht, mit hellem Blick in
die Zukunft, am Abend die Zeit kommen, da
das Wort des Propheten Jsaias erfüllt wird:
Ein kleiner Knabe wird Kälber u. s. w., und
schon liegen sie friedlich unter seinen Füßen bei-
einander. Das ist die Zeit der Vollendung des
Reiches Gottes, der triumphirenden Kirche; dann
wird Eine Herde und Ein Hirt sein. Denkt man
an das tausendjährige Reich, so kann die bärtige
Figur einen Knaben vorstellen; denn bei tausend-
jähriger Dauer eines Menschenlebens stehen Leute
von hundert Jahren im Knabenalter. So ivahr-
scheinlich ist es zu verstehen, tvenn es in einem Ge-
dichte über Hirsau heißt, daß dann ein hrlndertjähri-
ger Knabe Lämmer weide neben zahmen Widdern."

Was ich zit all dem sage, wollen Sie
wissen? — Daß es zweierlei ist, das
Alterthum erklären und — es miß-
handeln; daß, wenn einer in der Ober-
fläche einer Sache herumwühlt, er ihr In-
neres deßwegeu noch nicht versteht; daß
ein echter Alterthümler nie sich vermißt,
sagen zit wollen, was ein Ding bedeute,
ehe er so deutlich als möglich tveiß, was
es ist; daß zwar ein träumender Pharao
das bekannte Gesicht hatte, daß es aber
eines wachenden Joseph bedurfte, um das-
selbe zu deuten! Aber der träumende
Pharao s a h wenigstens, was er sah, deut-
lich und erzählte seinen Traum erst, nach-
denl er sich klar darüber war, was er ge-
sehen. Solche Ausleger aber, wie Sie
mir dieselben auf den Hals hetzen, wissen
gar tiicht, um was es sich handelt und
epegesireu blindlings daraus los wie jener
„Naturkenner" in dem köstlichen Gedicht
von Kops sch:

„Seid still! und ich erklär' es bald:

Das Thier kommt aus dein grünen Wald,
Der grüne Wald ist selber grün.

Davon ist auch das Thier so grün, so grüne!
So grüne, denn es lebt darin von eitel
grünem Laube

Und — lvenn es nicht ein Hirschbock ist —
ist's eine Turteltaube.

Da Hub der Hanf

Den Schulz auf Schultern auf.

Sie riefen: Das ist unser Mann,

Der jeglich Ding erklären kann,

Er kennt und nennt es keck unb kühn,

Kein Kreatur ist ihm zu grün, zu grüne!"

Ist das nicht treffend? Und was sagen
Sie von diesem Schulzen? Beantworten
Sie sich dies, und Sie haben auch die
Antwort auf Ihre Frage, was ich von
Ihren Auslegern halte und von Ihnen
selbst! Ja, auch von Jhtieu, mein Herr,
denn Sie habett sich zum Interpreten jener
erniedrigt. Was wollen Sie machet!, wenn
ich Sie in Zukunft auch zu jenen zähle,
als deren Ur- und Ebenbild wir den
„Naturkeuner" von Kopisch bewundern?

Sie selbst haben sich zum Mitschuldigen
derselben gemacht! Sie finden dies un-
billig? Sie verwahren sich? Ja, Sie
hätten wohl lieber m i ch in jener Gesell-
schaft gesehen! Gestehen Sie es nur!
Oder ich will Ihnen etwas gestehen. Es
ist eitl Verdacht, der mich gleich von An-
fang beim Lesen ihres fragwürdigen Schrei-
 
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