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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 8.1890

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Nr. 2
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Keppler, Eugen: Der Hirsauer Bilderfries, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15907#0022

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13

beit nächsten Lindenbaum erklettern müssen,
um mir alsbald nach meinem Herabsteigen
von einem Kind versichern zu lassen, daß
das, was ich oben für eine Gais gehalten,
ein richtiges Schwein sei, oder, nach Hause
zurückgekehrt zu bemerken, daß ich wieder
einmal etwas, das ztt beobachten ich hier-
her gereist, übersehen habe. Nun kann ich,
ans ihre Zeichnung gestützt, meine Studien
ruhig an meinem Pult fortsetzen. Jetzt
soll mir noch einer von Hirschen fabeln!
Sehen Sie denn nicht hier die Bocksbärte?
werde ich sagen; seit wann tragen denn
Hirsche einen Bocksbart? Wollen Sie
aber den Bärten nicht trauen, so trauen
Sie doch den Hörnern, diesen sichelartig
geschwungenen, bis ans die Mitte des
Leibes zurücksliegenden Hörnern: Exem-
plare davon können Sie in jeder Natur-
geschichte finden! So wenig aber von
Hirschen die Rede ist, ebensowenig von
einem die Jungfrau bedräuenden Un-
geheuer. Das fragliche Thier erreicht
nicht einmal die Größe der Böcke, denn
es füllt die Breite des Frieses stehend,
wenn auch etwas gegen die Löwensigur
zurückgelehnt, während die andern in ge-
beugter Stellung ihn ausfüllen. Seine
rückläufige Bewegung verräth alles, nur
keine kriegerische Gesinnung. Seine Hörner
sind kürzer als die der Böcke, dabei auf-
recht und (wie bei einer Gemse) oben
kreisförmig abgerundet. Der sonstigen
Leibesbeschafsenheit nach ist es den übrigen
gehörnten Thieren vollständig ähnlich;
namentlich scheint es gleich gut im Futter
gestanden zu haben; auch trug es wie
jene einen Bart. Auf Ihrer Zeichnung
ist dieses zwar nicht sichtbar, an der Skulp-
tur selbst aber fehlt an dem verletzten
Unterkiefer offenbar ein Stück, und dieses
Stück sage ich, war der Bart! Was aber
Bart, Hörner und sonstige Gestalt von
Böcken hat — letztere hier nicht absolut,
sondern relativ verstanden — zugleich aber
kleiner ist als ein Bock, kann nur eine
Gais sein. Mir scheint, dieses angebliche
Ungethüm ist eine friedliche Gais! —
Wer hat noch nie einen Mönch gesehen?
Ich will ihm die Nase darauf stoßen: hier!
Er wird dann hoffentlich zugeben, daß das
Frauenbild daneben nicht auch einen Mönch
vorstellt (aber ebensowenig den Knaben
Heinrich), sondern eben eine Frauensigur,

welche die Hände faltet. Aber sie fleht
nicht um Schutz. Gegen wen denn? Ist
doch der angebliche Feind (unsere Gais)
mit ihr gar nicht zu einer Gruppe ver-
einigt, sondern durch das dazwischentretende
Rad und das Mönchsbild von ihr ge-
schieden. Fleht sie aber nicht um Schutz,
so ist auch an keinen Retter zu denken.
Nein, diese mehr als kühne Einschiebung
eines, das gar nicht da und durch nichts
angedeutet ist, erweist sich zum Glück als
überflüssig. Sie allein, Sie sind der
Ritter, der Sie durch Ihren entschlossenen
Stift wie mit Einem Schlag den Knaben
Heinrich entzaubert, die Jungfrau erlöst,
die Ungeheuer träumerischer Ausleger aus
dem Felde geschlagen, endlich den Augias-
stall, in dem Sie kurz zuvor sich noch
selbst befanden, wie ein echter Held ge-
reinigt haben!

Doch wo bleibt Ihr Siegesbewußtsein,
wenn Sie mich ausfordern, „durch eine
Beschreibung auf Grund eigener Beob-
achtungen Ihrer Zeichnung das nöthige
Relief zu geben." Aha! Sie trauen der
Nachhaltigkeit Ihres Sieges nicht. Das
Fortleben der „Weinsberger Schlange",
dieses Seitenstücks zur lernäischen, hat Sie
wohl stutzig gemacht? Ja, diese Viecher
haben ein zähes Leben! Indessen, werden
wohl Worte sie bannen können, wenn es
Ihr Bild nicht vermag? — Immerhin
mag eilt Bild mit Worten durchschlagender
wirken als ohne, und „durch die Aussage
zweier oder dreier Zeugen werde bestätigt
jede Sache". Sind es vollends zwei
Alterthümler, die ein altes Reliquienstück
untersucht und, obgleich sie es unabhängig
von einander untersucht haben, — doch zu
einem übereinstimmenden Ergebniß gelangt
sind, dann ist doch gewiß ein fester Grund
für die exakte Auslegung, gegen phantastische
Ausschreituttgen aber ein heilsamer Damm
gewonnen. Die Punkte nun, die hier über-
haupt ins Spiel kommeu können, und in
Betreff deren unsere beiderseitigen Wahr-
nehmungen bis auf eine schon genannte
Kleinigkeit und eine noch zu nennende,
obwohl kaum nennenswerthe übereiitstimmen,
sind die folgenden.

In Hirsau besteht von den zwei Thürmen,
die einst die Vorhalle der Peterskirche
(erbaut unter Abt Wilhelm 1083—1093)
einrahmten, nur noch der nördliche. Er
 
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