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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 8.1890

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Nr. 8
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Keppler, Eugen: Zum Ausbau des Ulmer Münsters, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15907#0076

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Archiv für christliche Kunst.

Organ des Rottenburger Diözesan-Vereins für christliche Runst.

perausgegeben und redigirt von Professor Dr. Keppler in Tübingen.

Verlag des Rottenburger Diözefan-Kunftvereins, für denfelbeu: der Vorstand Professor Dr. Keppler.

Or. 8.

Erscheint monatlich einmal. Halbjährl. für M. 2. 05 durch die württemb.(M. t. 90
im Stuttg. Bestellbezirk), M. 2. 20 durch die bayerischen und die Reichspostanstalten,
fl. 1.27 in Oesterreich, Frcs. 3. 40 in der Schweiz zu beziehen. Bestellungen werden
auch angenommen von allen Buchhandlungen, sowie gegen Einsendung des Betrags
direkt von der Expedition des „Deutschen Volksblatts" in Stuttgart, Urbansstraße 94,
zum Preise von M. 2. 05 halbjährlich.

1890.

Aum Ausbau des Ulmer Münsters.

Von Stadtpfarrer Eugen Keppler
in Freudenstadt.

(Schluß.)

Das größte Glück im Unglück war, daß
wenigstens der Körper des Baues ohne
entstellende Zuthat blieb. Weder wurde,
wie in Straßburg, von dein einmal sest-
gesetzten Plan abgewichen, noch vom Stil,
wie in Heilbronn, und so entschlüpfte das
Werk, glücklicher als viele seiner Brüder,
dem bedauerlichen Verhängniß, hoffnungs-
los seine verlorene Schöne beweinen zu
müssen. Wer weiß aber, ob es hätte ent-
schlüpfen können, wenn damals weiterge-
baut worden wäre! All Böblingers treuem
Festhalten des Alten, vorausgesetzt, daß
er den Bau länger geleitet hätte, wäre
nicht zu zweifeln; wer aber möchte für
seine Nachfolger einstehen? Daher stehen
wir nicht an, die Stockung gerade um die
kritische Zeit für ein Glück anzusehen.
Besser Unvollendung als Entartung; besser
Stillstand als Verschnörkelung, namentlich
da dieser Stillstand den Bau in die Hand
einer Zeit spielte, welche, wir werden es
sehen, vor mancher andern zu einer ge-
diegenen Vollendung berufen war. — Wie
ein Vorwurf und doch wie eine Verheißung
stand derselbe an der Schwelle dieses Jahr-
hunderts. Seine Risse auf beiden Seiteil
(die Hauptfront war glücklicherweise ganz
unverletzt), sie verunzierten ihn so wenig
als die Narben das Angesicht eines Hel-
den, und aus dem Bettelkleid, das der
Unverstand ihm umgehängt, blickte das
unverwüstliche Leben des Werkes allent-
halben hervor, wie weiland der Stolz des
Philosophen ans den Löchern seines Man-
tels. Der Hauch einer neuen Zeit! —
und seine ewige Jugend wird hervor-
brechen und der „Jahrmarkt von Plun-
dersweiler", der zwischen den Strebepfeilern
sich eingenistet, wird zerstieben. Dann

wird auch aus dem Riesenstrunk des
Thurmes jenes tropische Wachsthum brechen,
das wir uns ohne den alten Entwurf
nicht einmal hätten denken können!

An diesem aus dem Jahre 1480 stam-
menden Plan hing, wie an einem Faden,
das Schicksal des Ganzen. Durch ihn
allein sind wir in den Besitz der großen
Idee gekommen, die einst der Meister sich
vom Himmel herabbeschworen und die nun
drei Jahrhunderte lang zwischen Tod und
Leben um den halb fertigen Thurm schwebte.
Niemand hätte ihr den fehlenden Leib er-
gänzen können, wäre dieser Pergament-
streisen von wenigen Qnadratfnß Umfang
verloren gegangen. Jeder Ergänzungsver-
such würde nur d i e Wirkung erzielt haben,
welche z. B. die versuchte Ergänzung und
Vollendung des Schillerschen Bruchstücks
„Demetrius" hatte: nämlich, den ganzen
Abstand zwischen uns Nachahmern und
Sammlern und einem überlegenen, nur
aus sich schöpfenden und ans dem Ganzen
schassenden Geist wieder einmal in helles
Licht zu setzen. Die Kraft zu urwüchsig
künstlerischen Hervorbringungen ist uns ab-
handen gekommen. Wir gehen vom Ver-
stand aus, dem doch niemals eine schöpfe-
rische, sondern nur eine dienende Nolle
zukommt im Reiche der Kunst. Wir
fragen nur immer: Was haben andere
gemacht und wie haben sie es gemacht?
— anstatt auf unser eigenes Innere uns
zurückznziehen und dort zu schöpfen. Wenn
man aber herrschen soll, ist es mißlich,
damit anzufangen, daß man sein Haupt
beugt, und sei es vor einem noch so er-
habenen Vorbild! Was wir so zuwege
bringen, mag hübsch regelmäßig sein, ganz
ohne Fehler — nichts ist nämlich leichter,
als keine Fehler machen —, aber ur-
wüchsig ist es nicht und eben deßhalb
fehlt ihm eine der ersten Bedingungen der
Schönheit. Das Gesagte wird nicht wider-
 
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