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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 8.1890

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Nr. 9
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Keppler, Eugen: Der Hirsauer Bilderfries, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15907#0091

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feststehende und sich gleich bleibende ge-
nannt habe —-, daß man jetzt erst recht
nicht wisse, was sie heißen und vollends
nicht, was sie an diesem Orte heißen
sollen. Um der Lokalbedentnng näher zu
treten, müßte man vor allem den ver-
s ch w n n d e n e n Thurm mit seinem Bilder-
fries zu Nathe ziehen können; bis dahin
bleibe nichts übrig, als zu sagen: Ich
weiß, daß ich nichts weiß! Anstatt Licht
zu schaffen habe meine Erklärung nnw
bewirkt, daß man sich in Zukunft alles
Mögliche unter diesen Bildwerken denken
werde."

„Trotzdem ich diese Sinnbilder fest-
stehende und gleichbleibende genannt habe!"
Aber ist denn „feststehend" und „verschie-
dene Bedeutungen umfassend" ein Wider-
spruch ? Daß die Symbole meist mehrere
Bergleichnngspnnkte bieten, folglich nicht
nur eine, sondern mehrere Wahrheilen,
bezw. verschiedene Seiten einer Wahrheit
sinnbilden, haben wir gesehen. Aber bei
den durch sie versinnbildeten Wahrheiten
bleibt es lind die mit jenen verbundenen
Bedeutungen sind im Alleinbesitz für immer.
Es ist meine Schuld nicht, wenn Sie
dieses nicht begreifen, wenn Sie es ans
dem Bisherigen sich nicht znrechtlegen
können; alles dreht sich darum! — Um
uns noch einmal die Vielseitigkeit des
Ziegensymbols vorznstellen: Die Ziege

bedeutet Gott und Christus, der über die
Seinigen wacht, der Herz und Nieren er-
forscht, der von den guten Werken der
Anserwählten sich nährt — der Anser-
wählten, welche in den Bergeshöhen ver-
sinnbildet sind, ans denen die Ziege weidet;
der als Richter die guten Werke belohnt,
der, als er Mensch ward, obwohl sünden-
los, den Schein der Sünde ans sich ge-
nommen (hier spielt die Doppelseitigkeit
der Gais herein, die im alten Testament
ein reines Thier, doch auch an der An-
rüchigkeit des Bockes Theil hat). Mehr
subjektiv gewendet erzählt dasselbe Sinn-
bild von dem Leben des Glaubens: der
Höhendrang der Ziege wird bezogen auf
den himmlischen Sinn; ihre Weideplätze
sind die prata ardua Scripturarum; das
Abweiden selbst bedeutet den sublirnis
pastus contemplationis; ihre sprichwört-
liche Sehschärfe, wozu noch der Umstand
kommt, daß ans den Eingeweiden der

Ziege angeblich ein Mittel gegen Blindheit
gewonnen wurde, bezeichnet die Beschau-
lichkeit; ihre zwei stahlharten Hörner er-
innern an die Betrachtung des göttlichen
Gesetzes in den zwei Testamenten und an
seine Erfüllung in den zwei Geboten der
Liebe, sowie an die überirdische Stärke
und Sicherheit des Gerechten. Hier gibt
es gewiß allerhand zu denken, nicht wahr?
Ja, chber doch nichts Willkürliches; diese
Grundlinien stehen unverrückbar fest. Sie
findeil dieselben in allen Bearbeitungen
des Physiologns von Spanien bis Island
unb in allen Bestiarien fast gleichlautend
wieder. Drum „behielten die Alten (sagt
Lessing) eine sinnliche Vorstellung, welche
ein ideales Wesen einmal erhalten hatte,
getreulich bei. Denn ob dergleichen Vor-
stellungen schon willkürlich sind und jeder
gleiches Recht hätte, sie so oder anders
anznnehmen, so hielten es dennoch die
Alten (und noch mehr das Mittelalter!)
für gut und nothwendig, daß sich der
Spätere dieses Rechtes begebe und dem
ersten Erfinder folge. Die Ursache ist
klar. Ohne diese allgemeine Einförmigkeit
ist keine allgemeine Erkennbarkeit möglich."

Und bei solcher Bestimmtheit und Be-
ständigkeit sollte ich doch nicht ans ein
romanisches Bildwerk Hinweisen und sagen
dürfen: das bedeutet es? Nein, erwidern
Sie, denn dies ist durch die Vieldeutigkeit
ausgeschlossen. Ein Bildwerk kann doch
nicht am gleichen Ort Mehrer es be-
deuten. — Warum denn nicht? Unsere
Mönche hatten im Hieronymus gelesen:
Jam vero sacrae litterae, dum hircos
haedosque immolandos monent, ne-
quitiam omnemque libidinem jugu-
landam indicant. Außerdem wußten sie
vielleicht etwas von der Lehre, die Theodoret
an das Bockjymbol knüpft: Vult enim
benignus Dominus, ut non modo justos,
sed etiam peccatores studio et cura
complectamur: konnten sie sich nun nicht
durch die Böcke an ihrem Thurm bald an
das eine, bald an das andere erinnern
lassen? Konnten sie nicht auch, je nach-
dem sie gerade aufgelegt waren, in diesem
Bild heute die geistige Hinopfernng ihrer
selbst und morgen wieder denjenigen er-
kennen, der sich für uns alle geopfert?
Was hinderte, in zweien dieser Böcke
Christnm nach seiner leidenden und nach
 
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