Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 8.1890

DOI Heft:
Nr. 9
DOI Artikel:
Keppler, Eugen: Der Hirsauer Bilderfries, [7]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15907#0092

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
81

seiner leidensunfähigen Natur dargestellt
zu sehen, wenn nicht gar (mit Bruno von
Asti) Christum und den Antichrist? Ein
Wort in seiner scharfen Umgrenzung hat
nur einerlei Sinn, obschou uns dieser
Sinn auch nicht in jedem Fall gleich an-
mutet, einfach weil er uns nicht in jedem
Fall gleich gestimmt findet: die Allegorie
dagegen hat einen weiten Mantel und ist
biegsam genug, um sich zu dem Subjekt
herabzulassen und in ihm die seiner augen-
blicklichen Verfassung entsprechendsten Ge-
danken und Gefühle anzuregen, natürlich
innerhalb der jeweils gesteckten Grenzen.

Wenn ich mir aber (werden Sie sagen)
unter Einem Sinnbild Verschiedenes denken
kann, so kann ich mir dock nicht Wider-
sprechendes denken. Wie nun, wenn
sich widersprechende Züge in einer Bilder-
reihe finden? — Dann ist das, was in
die Gedankenreihe nicht paßt, einfach als
nicht vorhanden zu betrachten. Wenn da-
her der Bock, wie ich bewiesen, nicht bloß
die Sinnlichkeit, sondern auch Ueberwin-
dung der Sinnlichkeit bedeutet, so mußten
wir hier diese zweite Bedeutung als die
passende setzen, die erste bei Seite lassen,
nach dem Grnndsatz, daß das Einzelne
stets aus dem Zusammenhang heraus er-
klärt werden muß. — Nun, ein Zusam-
menhang herrscht in unserem Bilderfries.
Sie werden dieses schon bei Besprechung
der verschiedenen Seiten jedes Symbols
gemerkt haben und werden es noch deut-
licher merken, wenn wir die Symbole als
ganze gegen einander halten, und vollends
deutlich, wenn wir die Probe machen, wie
das Ergebniß unserer ganz unabhängigen
Untersuchung zu dem von Ihnen vermu-
theteu Programm des Mönchthums stimmt.
Ich hoffe, es wird Ihnen dann sein, wie
wenn bei einer Rechnung die Probe her-
auskommt. Sie erinnern sich, daß wir
in den Löwen, welche die Ecke des Thurmes
halten, die starke Verfassnng verkörpert
gefunden, welche das Kloster von seinen
Stiftern erhalten hat; denn die Löwen
sind von jeher Sinnbilder der Stärke und
der Autorität. Sie werden eiuseheu, daß
von dieser Stärke des Ganzen nur ein
Schritt ist und zwar ein notwendiger zu
der Seelenkraft des Einzelnen, wie sie sich
uns in den drei tragenden Mönchen und
ihrer individuellen, nicht bloß typischen,

Haltung ausprägte: zu jener Anspannung
aller Kräfte im Dienste des Gehorsams,
welche ein Grundgesetz des Mönchthums ist.
Mit dieser Unterwerfung des Willens
unter die Regel hängt unmittelbar zu-
sammen die Ueberwindung der Sinnlichkeit.
„Meistert die unordentlichen Regungen,
diese Leidenschaften, die schwerer zu bän-
digen sind als die Thiere des Waldes;
das Kloster ist die Stätte der Abtödtung!
Da wird das Fleisch unterjocht, damit der
Geist desto freier werde." So lautet die
stumm - beredte Sprache der Bockfigureu
(Worte aus einer Klosterrede Bossuets).
Wo die Sinnlichkeit mit größter Strenge
unterjocht wird, da entfaltet der Geist
seine größte Kraft, da erhebt er sich frei
in die Himmelsräume der Betrachtung,
da taucht er unverdrossen hinab in die
Tiefen der Gelehrsamkeit, welche die Jung-
frau neben dem Rade veranschaulickt.
Aber auch das Umgekehrte ist der Fall.
Die Pflege der Künste und Wissenschaften
ist ein Hauptmittel zur Förderung des
Tugendlebens (auch studirteu, wie Dom
Mabillou, der ausgezeichnete Mönch des
17. Jahrhunderts seststellt, die Mönche
nicht, um Gelehrte zu werden, sondern
um sich für die Uebuug der religiösen
Tugenden fähiger zu machen), und Gebet
und Betrachtung helfen gar wirksam zur
Ueberwindung der Sinnlichkeit. „Präget
die Worte der heiligen Schrift eurem Ge-
dächtnisse und Herzen ein und überdenket
sie fortwährend unter demüthigem Flehen
um die Gnade eines wahren Verständnisses,
damit ener Wandel Gott wohlgefällig sei",
so ries die Steingais als Vertreterin „der
erhabenen Weide der Betrachtung" jedem^
welcher aufmerkte, zu. Dock nicht aus
Gründen, wie sie den alten Philosophen
eigen waren, soll der Mensch (und voll-
ends der Mönch) das Laster fliehen und
die Tugend üben, sondern aus höheren
Beweggründen, die auf seinem Verhältniß
zu Gott und aus seiner ewigen Bestim-
mung beruhen. „Lasset nns entsagen der
Gottlosigkeit und den weltlichen Lüsten
und sittsam, gerecht und gottselig leben
in dieser Welt, indem wir erwarten die
selige Hoffnung und die Ankunft der
Herrlichkeit des großen Gottes unseres
Herrn Jesu Christi" (Tit. 2, 12. 13):
solches lehrten die Bilder der Gais und
 
Annotationen