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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 8.1890

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Nr. 10
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Probst, Josef: Bemerkungen über zwei weitere Skulpturen aus der Pfarrkirche in Eriskirch, OA. Tettnang
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https://doi.org/10.11588/diglit.15907#0105

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93

von Figur 8 daselbst: „Die Haltung ist
sehr würdig und der Ausdruck der Si-
tuation entsprechend" ; ferner daselbst bei
Nr. 140 und 146 die gute Haltung und
den edlen Ausdruck hervorhebt. Aehnliche
Prädicirnngen werden auch andern guten
Bildern gespendet; aber es wird unseres
Erachtens nicht zu viel gesagt sein, wenn
man behauptet, daß gerade diese vier Fi-
guren einen ganz e igenthüm lich e n und
überraschenden Eindruck machen, der
um so lebhafter wird, je genauer man
auf sie eingeht. Die Ueberraschung rührt
zunächst daher, daß hier ein Faltenstil
zur Anwendung gebracht ist, der bei der
großen Masse des Materials der Holz-
skulptnren nicht vorkommt. Aber mehr
noch als dieser doch bloß äußerliche Um-
stand ist zu beachten, daß der Meister
derselben in der p s y ch o l o g i s ch e n und
phy sio gnomisch en Auffassung seiner
Figuren sich ans einem Wege bewegt, der
für jene Zeit ganz eigenthümlich ist.

In der Kölner Schule des Meisters
Wilhelm (ca. 1400) herrscht, wie zu jener
Zeit in ganz Deutschland, ein eigener
weiblicher Typus. Schmale Schultern,
schwächliche Glieder werden verbunden mit
hoher gewölbter Stirn, länglichem Oval
des Gesichts, kleinem Mund und schwachem
Kinn. Bei den Figuren ans Eriskirch
tritt dagegen ein fast männlicher Typus
auf: kräftige Gestalt, niedrige Stirn,
kräftiger Mund und starkes Kinn. Die
herrschende Gemüthsstimmung der Kölner
Bilder ist eine in sich befriedigte und be-
seligte Milde; bei den zwei schwäbischen
Statuen Nr. 8 und 140 ist ein säst herber,
vorwurfsvoller Zug ganz bewußt zum
Ausdruck gebracht. Auch selbst die zwei
als kluge Jungfrauen zu bezeichnenden
Nummern 6 und 146 des Katalogs sind sehr
ernst; ihre Tugend ist die fromme Pflicht-
erfüllung und ernste Wachsamkeit; die
beiden andern machen sich selbst Vorwürfe
wegen nicht erfüllter Pflicht.

Das sind wirklich neue Wege; es ist
eine individuelle geistige Belebung
angestrebt und erreicht worden. Der
Meister, der im Stande war, die Aus-
drücke der Seelenstimmungen auf solche
Weise zu geben, bedurfte deshalb auch
nicht der Beigabe der Lampen als unerläß-
liches Emblem; er konnte das bloß äußer-

liche Kennzeichen als nebensächlich behan-
deln und sogar ganz weglassen; er erreichte
seinen Zweck auf andere Weise, durch die
individuelle Charakterisirung seiner Bild-
werke. Aber gerade darin liegt die Neu-
heit des von ihm eingeschlagenen Wegs.

Lübke macht die Bemerkung (Geschichte
der deutschen Kunst S. 428), daß die
alte Kölner Malerei sich allmählich kon-
ventionell verflacht habe und daß dann
Stephan Loch euer einen nenbeleben-
den mehr realistischen Zug in dieselbe
hineingetragen habe. Nun kann man aber
die Frage stellen, wann und wo nahm
Meister Stephan diesen Zug in sich selbst
auf? Erst am Rhein oder vielleicht in
seiner Heimat am Bodensee, in Meers-
burg? Sollten auch ihm vielleicht schon
in seiner Jugend die Werke eines Bild-
schnitzers in der Bodenseegegend bekannt
geworden sein und einen Eindruck ans ihn
gemacht haben, so daß er es verschmähte,
ans dem allmählich konventionell verflachten
Wege zu wandeln? Auch Janitschck sagt
in seiner Geschichte der deutschen Malerei
S. 228: „Die gedrungenen Gestalten
seiner (Stephans) Figuren gehören dem
Formencanon seiner Heimath am Boden-
see an"; er weist aber speziell ans den
Einfluß der damaligen Jllnminatorenschule
in Konstanz hin. Letzterer will selbstver-
ständlich auch von uns nicht ausgeschlossen
werden; aber man wird nicht in Abrede
ziehen können, daß der Anblick der ur-
sprünglich kompleten Zahl von zehn solchen
Figuren nebst vielleicht vielen andern
ähnlichen Werken, die verloren gegangen
sind, ganz geeignet war, auf ein junges
Talent einen direktiven Einfluß ansznüben.

Das ist nach unserer Meinung der hohe
Werth der besprochenen Statuen, der
über die Grenzen einer Provinz hinaus-
reicht, daß §it einer Zeit, als noch der
Faltenwurf der Kölner Schule in Hebung
war, in der Bodenseegegend schon Werke
entstanden, welche mit bestem Erfolg auf
Individualisierung sich einließen.
Der Vermittler dieser neuen Richtung für
die Kölner Malerei war am Bodensee
gebürtig und kann somit den Impuls
schon von seiner Heimath ans empfangen
haben.

Solche Erwägungen veranlaßten uns,
den Gegenstand weiter §it verfolgen und
 
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