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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 4
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Keppler, Eugen: Phantastische, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0036

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Archiv für christliche Aunst.

Organ des Rottenburger DiözesanOereins für christliche Kunst.

perausgegeben und redigirt von Professor vr. Kexpler in Tübingen.

Verlag des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins, für denselben: der Vorstand Professor Dr. Keppler.

Erscheint monatlich einmal. Halbjährl. für M. 2. 05 durch die wtirttemb. (M. 1. 90
int Stuttg. Bestellbezirk), M. 2. 20 durch die bayerischen und die Reichrpostanstalten,

4 fl. 1.27 in Oesterreich, Frcs. 3. 40 in der Schweiz zu beziehen. Bestellungen werde» rQf'vy
♦ auch angenommen von allen Buchhandlungen, sowie gegen Einsendung des Betrags J-OWl*
direkt von der Expedition des „Deutschen Volksblatts" in Stuttgart, Urbansstrahe 94,
zum Preise von M. 2. 05 halbjährlich.

phantastische, scherz- und boshafte
Gebilde mittelalterlicher Kunst.

Von Stadtpfarrcr Eugen Keppler in Freudenstadt.

Ja, ein keckes, überschäumendes Leben

— juveniliter exardescens wäre der be-
zeichnende Ausdruck dafür ans gut Latein

— offenbart sich in den Ausgeburten mit-
telalterlicher Künstlerlanne: von all diesen
Thierchen und Figürchen an, die oft mit-
ten im Ornament anheben, die alle Ka-
pitelle llnd Friese umziehen bis zu jenen
Ungethümen von fabelhafter Häßlichkeit,
welche, wie Görres sich ausdrückt, „ans dem
Reich des Heiligen gewiesen, doch in seinem
Dienste als Heloten des Hauses zu den
gröbsten Verrichtungen, zur Abfuhr der
Wasser vom Dache sich bequemen, oder
sonst in Winkeln hockend zu bedeutsamer
Belebung und Verzierung des Ganzen die-
nen". Darin aber ein Zeichen mangeln-
den Ernstes sehen zu wollen, wäre ebenso
ungerechtfertigt, als wenn man wegen ver-
schiedener wunderlicher Spässe und Gestal-
tungen, wegen einiger nach unserem Ge-
fühle allzu derben Sittenschildernngen, wo-
rin die neuere Zeit (nicht zu ihrein Ruhme)
ohne weiteres Unrath witterte, der Kunst
des Mittelalters die Bezeichnung „keusch"
absprechen würde. Es ist wohl zu unter-
scheiden wie zwischen Ernst und Oede, so
auch zwischen Keuschheit und Zimpferlich-
keit. Die beiden letzten dieser Doppelpaare
mit ihrem Gefolge von Abgeblaßtheit,
Dürre und Unnatur konnten freilich bei
der Breite und Fülle, Derbheit und Frische,
Ruhe und Gedrungenheit des Daseins,
wie sie das • Mittelalter auszeichnet, nicht
auskommeu. Der mittelalterliche Mensch
war kerngesund. Er litt weder an Blut-
leere, noch an Hypertrophie des Gehirns,
welche alles Gemüthsleben unterdrückt. Er
hatte das Herz ans dem rechten Fleck und
verstand einen Spaß. Er erfreute sich

starker Nerven und konnte etwas aushal-
ten. Die Schellenkappe des Schalksnarren
ertönte oft laut und die Schläge seiner
Peitsche fielen hageldicht nach oben wie
nach unten, wo sie aber fielen, überall
wurden sie mit Lachen empfangen. Dem
Muthe, die Wahrheit zu sagen, entsprach
von der anderen Seite die Gutmüthigkeit,
die Wahrheit zu ertragen. Man fühlte
sich getroffen und doch nicht persönlich be-
leidigt , denn man wußte die Person von
der Sache zu trennen. Den Dingen den
rechten Namen zu geben war ein Recht,
das keiner sich verkümmern, das aber auch
jeder ohne Widerrede ans sich anwenden
ließ. Selbst die Kirche, welche von jeher
die Freiheit schützte und den Regungen
der Volksseele, insoweit sie nicht gegen die
höhere Regel verstießen, Gerechtigkeit wider-
fahren ließ, selbst die damals so mächtige
Kirche, weit entfernt, die gesunde, obwohl
in ihren Aenßernngen oft gar boshafte
Ader des Volkswitzes zu unterbinden, be-
förderte dieselben vielmehr, indem sie ihnen
sogar ihre gottesdienstlichen Gebäude, ins-
besondere deren Außenseite, als Tummelplatz
anwies, und das nicht erst, nachdem die
Bauhütten in Laienhände übergegangen
waren, nein, das ganze Mittelalter hin-
durch und schon in der romanischen Zeit.
Indem die Kirche dies that — und sie
konnte es thun, weil sie wußte, daß selbst
die stärksten jener Aenßernngen bis znm
beißenden Spott, bis zur vernichtenden
Satire (wie wir sehen werden) ans einem
sittlichen Grunde beruhten — erwies sie
unwillkürlich der Kunst den größten Dienst.
Ihrem Gewährenlassen verdanken unsere
mittelalterlichen Bauten ein eigenthümliches,
reiches, überschüssiges Leben, eine uner-
schöpfliche Fülle phantastischen Schmuckes
und geistigen Gehaltes. Daß hiebei auch
Wildlinge und Auswüchse mitunterlanfen,
wen wird dies befremden? Aber es ist
 
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