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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 4
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Die Stuttgarter internationale Gemäldeausstellung im März und April 1891
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0046

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— 39

Lenbachs bekannte Kaiser- und Bismarck-
bilder mit der schneidigen Schärfe ihrer Auf-
fassung unb ihrem fast erschreckenden Realismus
rühmlich vertreten durch die lebensgroßen Bild-
nisse unserer Majestäten von Herrn v. Angeli
und durch Huth stein er s lebensgroßes Bild
des Grafen von Urach und manche andere recht
tüchtige Leistungen; diesem Gebiet kann noch zu-
getheilt werden die ägyptische Königstochter von
Gabriel Max (Nr. 188) von wunderbarer
Vollendung. Die hi storisch e Malerei pflegen
mit viel Fleiß und Geschick Vanutelli (Juliens
Begräbnis in Verona Nr. 292) und Schwaiger
(die letzten Tage der Wiedertäufer in Münster
Nr. 262). Aus der großen Gruppe der Volks-,
Genre- und sozialen Bilder verdienen be-
sondere Beachtung Rüstiges Heimkehr des
Spielers (Nr. 2451, Defreggers Treibersuppe
(Nr. 71), Echt ler s Ruin einer Familie (Nr. 79).
Der Schwerpunkt und Glanzpunkt der Aus-
stellung fällt aber ins Gebiet der Landschafts-
Malerei, welche eine ganze Reihe von brillanten
und hochbefriedigenden Leistungen aufzuweisen
hat; wir führen der Kürze halber nur die folgenden
Nummern an, die der bcsondern Beachtung der
Besucher empfohlen seien: Nr. 54, 58, 67, 87,
116, 147, 172, 272. Manche dieser Bilder sind
in der modernen Freilichttechnik gemalt und schöne
Beweise dafür, daß die letztere in der That eine
neue Errungenschaft der Malerei bedeutet, richtig
verwendet Herrliches zu leisten vermag, die Palette !
des Malers mit einer ganzen neuen Farben- j
gruppe und Farbenscala bereichert und dadurch
die Fähigkeit künstlerischer Nachbildung der Natur
gewaltig gesteigert hat.

Man macht auch aus dieser Ausstellung die
beruhigende Wahrnehmung, daß die großen Excesse
der Pleinairisten im Anshören begriffen sind und
einer vernünftigen Verwendung der neuen Mittel
das Feld räumen müssen. Die Pleinairmalerei
ist aus dem Zustand der Trunkenheit, in welcher
sie, keines Sinnes mehr mächtig als des Blöd-
sinns, brutal der Vernunft, der Idee und dem
Ideal den Gehorsam kündigte und durch eine
sonderbare Wahlverwandtschaft sich zum Häßlichen
hingezvgen fühlte und erstmals im Lauf der
ganzen Kultur- und Kunstentwicklung einen förm-
lichen Kultus des Häßlichen in Scene setzte,
wieder erwacht und hat sich zur Idee und zur
Schönheit zurückbekehrt. In der Ausstellung be-
gegnet man, was äußerst interessant ist, neben
den schönen und erfreulichen Symptomen der
Resipisceuz auch uoch manchen pathologisch wich-
tigen Erscheinungen jenes Taumelzustandes. Als
Hohepriester der Häßlichkeit gerirt sich noch
Ehrnels mit seinen vier Fischweibern (Nr. 130),
die schwerlich jemand eine halbe Stunde be-
trachten könnte, ohne von Brechreiz befallen zu
werden; auch Keller mit seinen zwei Prole-
tariern (Nr. 145). von welchen der eine ein sol-
ches brutum ist, daß die daneben hängenden
Wildschweine gegen ihn fast menschlich aussehen;
ferner Ferrari mit seiner Wittwe (Nr. 85) und
seiner Männergestalt, endlich I a n s s e n in seinem
„Wochenblättchen" (Nr. 121), welcher in den Ge-
stalten des lesenden Alten und der zuhörenden
Alten ohne Ziveifel die versimpelnden Einflüsse
der Zeitnngspresse ad oculos demonstriren

wollte. Doch man sieht jetzt diese Bilder mit
Humor und lächelt über sie wie über weit hinter
einem liegende Thorheiten der Jugend; diese Be-
wegung braucht nicht mehr bekämpft zu werden,
sie ist abgethan, gerichtet und vernichtet durch
die doch nie ganz zu ertödtende Vernünftigkeit
und Schönheitsliebe in der Menschennatur. Selt-
same Räthsel giebt uns wieder einmal Gabriel
Max in seinen „Visionen" (Nr. 187) auf: eine
total abgeblühte Frauensperson lehnt etwas
schief gegen eine mit einem Teppich behangene
Wand; ihr Auge ist bis auf einen kleinen Spalt
geschlossen und demselben gegenüber schwebt in
der Luft ein Kränzchen, also wohl der Braut-
kranz , von welchem sie träumt. Eine arme
Person, aber zu helfen ist ihr nicht; sie kann
wahrlich auch das männliche Geschlecht nicht an-
klagen, wenn sie ohne Bräutigam bleibt; aber
gegen den Maler könnte sie Klage erheben, der
in solcher Weise ihre Krankheit, die bereits ins
Mark des Leibes und in den Grund der Seele
hinabgefressen hat, an den Pranger stellt.

Nun zu den religiösen Bildern. Von
Z i m m e r m a n n s Lürwtus consolator (Nr. 320)
haben wir schon einmal gelegentlich einer Mün-
chener Ausstellung gesprochen; viel guter Wille
und treffliche Einzelzüge; aber der Trost, den
dieser Heiland den Kranken spendet, ist doch recht
kraftlos und machtlos, eben auch nichts als guter
Wille. Schwereren Bedenken noch unterliegen
Gebhardts Ecce homo und Auferstandener
mit Thomas (Nr. 97, 98); erstere Scene spielt
im Halbdunkel; unter der Estrade tobt eine
wahre Meute von Gassenpöbel; Pilatus ist psy-
chologisch unrichtig als schmeichelnder Schwäch-
ling gezeichnet, Jesus ohne alle Würde; in der
zweiten Scene trägt der Auferstandene fast
schwarzes Kleid; Thomas weudet sich von Jesus
ab und sinkt um in ganz unmotivirter Weise;
die Gesichter sind von der Gasse. Wir begegnen
ferner drei Madonnen; die eine von Dagnan-
Bouveret (Nr. 342) mit dem im Mantel lie-
genden und durch den Mantel schimmernden
Kind ist uns schon von früher bekannt; der
Lichtschimmer vermag den derben Realismus
der ganzen Gestalt nicht zu verklären; die zweite
von Laurenti (Nr. 155) ist nichts anderes als
eine Italienerin, die mit ihrem Kinde am Wege
sich niedergesetzt hat; die dritte von Bouguerna u
(Nr. 339) ist als eigentliches Kirchenbild ge-
dacht, sehr sorgsam gemalt, edel durchgebildct,
aber etwas weichlich sentimental; dieGesammtstim-
mung trotz der rosigen Engelleiber kalt. In
Bri endts Bild: die letzten Tage der hl. Jung-
frau in Jerusalem (Nr. 301) kann man mit der
Darstellung der sehnsüchtig nach oben blickenden
Mutter Gottes und mit der Gesammtstim-
mung sehr zufrieden sein, was soll aber bei
der hl. Jungfrau der am Boden kauernde jüdische
Rabbi mit seinen Rollen? Eine ähnlich störende
Gestalt ist in seiner andern herrlichen Kompo-
sition: die hl. Cäcilia, auf der wir den Leichnam
der hl. Märtyrin auf der Tragbahre liegen sehen
in einer an Maderno's Statue erinnernden Hal-
tung ; im Hintergrund ein überaus lieblicher Chor
musizirender Engel; dem Leichnam gegenüber
aber sitzt ein alter Mann mit bei allem Schmerz
sehr gewöhnlichem Gesicht. Sehr bedeutend ist
 
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