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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 5
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Neue Beiträge zur Frage der Caselform, [2]
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Die Klosterkirchen von Zwiefalten und Obermarchthal
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0054

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47

technischen Standpunkt ans in Angriff neh-
men wird. ' (Forts, folgt.)

Die Alosterkirchen von Zwiefalten und
Obermarchthal.

Den schönen Tafeln, welche die Kloster-
kirche von Neresheim zur Anschauung bringen
und auf welche wir im „Archiv" 1890 Nr. 5
die Leser aufmerksam machten, hat der eifrige
und tüchtige Photograph Sinner in Tübingen
fünf weitere folgen lassen, welche die vier-
zehnte Lieferung seiner „Sammlung schwä-
bischer Bandenkmale und Kunstarbeiten"
(Preis: 12 M.) bilden. Davon befassen
sich drei mit der Klosterkirche von Zwiefalten,
eine mit der von Obermarchthal, eine mit
zwei Aufnahmen ist zwischen beiden geteilt.

Das erste Blatt füllt eine Ansicht des
ganzen Klostergebäudecomplereö von Zwie-
falten, eines Teiles der Ortschaft und des
lieblichen Thales, in welches einst am 29.
September 1089 Abt Wilhelm der Selige
von Hirsau den Grundstein eines Bcnedik-
tinerklosters einsenkte. Jmponirend treten
aus diesem Bilde hervor die beiden 828'
hohen Chorthürme mit ihren eleganten Linien
und ihren formschönen Kuppel- und Laternen-
abschlüfsen, ferner die mächtige Fassade, deren
große Fläche durch hervortretende Pilaster
und Riesensäulen belebt ist. Der Barockstil
hat diese Kirche gebaut, aber ein anderer
Stil hat sie dekorirt. Das sehen wir beim

ersten Blick auf das zweite Blatt, auf das

Innere der Kirche. Folgt das Auge zu-

nächst den Architekturlinien, so erkennen wir
das übliche Barockschema, nur sind die stark
hereintretenden Pfeiler an der Stirnseite

schön maskirt durch Säulenpaare und die
Galerien se zwischen den einzelnen Traveen
balkonartig ausgeschweift und mit luftigem
Eisengitter bewehrt. Den Einblick in die
schöne Chorhalle konnte leider die Photo-
graphie nicht vermitteln. Wenn wir nun
aber das Gewölbe ins Auge fassen, so sehen
wir hier einen ansgelassenen Zopfstil üppig
wuchern und die weite Fläche mit seinem
phantastischeil, regellosen, geringelten und
gekräuselten Schmuck überspinnen. Dieser
Schmuck präsentirt sich auf dem Bilde weit
imangenehmer als in Wirklichkeit, weil die
schatten und photographischen Tinten das
schwarz und schwer erscheinen lassen, was in
Wirklichkeit leicht und durch eine Menge von
Gold gelichtet erscheint. Schon hier wird
unser Auge angezogen durch die feinen und
eleganten Linien des hinter dem Kreuzaltar
angebrachten Chorgitters, welches aber
eine besondere Aufnahme noch besser vor-
führt. Wahrlich dieses Meisterwerk, welches

selbst das Ehorgitter von Weingarten über-
trifft, verdient besondere Berücksichtigung!
Der Mitteltheil des zu gewaltiger Höhe an-
steigenden Gitters (das abschließende Kruzifix
reicht fast bis zum Gewölbe) stellt einen
Altarbau nach dein üblichen Barockschema,
mit Säulen, Architraven und Krönung dar,
die beiden Seitentheile zwei Portale. Es ist
aber kaum glaublich und nicht zu beschreiben,
mit welch feinem Gefühl jene Altarzeichnnng
ins Eisen übersetzt ist, wie elegant die Seiten-
theile mit dem Mittelstück in Verbindung
gesetzt sind, wie herrlich und solid sich die
Portale anfbanen; der ornamentale Schmuck,
namentlich aber die beiden Blumenvasen über
den Portalen sind als Meisterwerke der
Feinschmiedetechnik erster Größe zu bezeich-
nen. Es ist nur noch anzufügen, daß in
das eiserne Altargefüge der Krenzaltar mit
einem großen spätgothischen Madonnenbild
eingestellt ist und beides Ein harmonisches
Ganzes bildet. Gefertigt hat dieses herrliche
Werk Joseph Büffel aus Brandweil 1756.
Ein weiteres Blatt zeigt in zwei Aufnahmen
zwei Trakte des Ehorgestühls von Joh.
Christian von Riedlingen 1747 ; es ist im
Zopfstil gebaut und birgt tüchtige Holz-
reliefs.

Bei Obermarchthal wurde von einer Außen-
ansicht abgesehen, was durch die ganz schlichte
Haltung des Außenbaues gerechtfertigt ist.
Dagegen läßt die Innenansicht vor allein
die Reinheit des Ornaments und die wun-
derbare Zartheit der Gewölbestuckaturen be-
wundern. Wendet man das Auge von der
unruhigen, nach Effekt haschenden Ausstattung
der Zwiefalter Kirche weg auf dieses Blatt,
so kommt einem der ganze gewaltige Unter-
schied zwischen dem wilden Zopf und dein
edlen Barock zum Bewilßtsein; dort ein
Wirbeltanz, der die Sinne verwirrt iliid be-
rauscht, hier eine adelige Kunst, ivelche die
Sinne beruhigt, durch einen jungfräiilichen
und züchtigeil Zilg das Herz veredelt. Außer-
dem ist noch mit einer Aufnahme bedacht
das tüchtige Schnitzwerk des Laienbruders
Paul Speisegger von 1690, das Chorgestühl
mit seinen kräftigen Gliedern und schönen
Engelsköpfchen.

Es freut inich überails, daß seitdem meine
„Wanderung durch Württenibergs letzte
Klosterbauteil" in den „Histor.-polit. Blättern"
(Bd. 102 1888) veröffentlicht wurde und
in „Württembergs kirchlichen Kunstalter-
thümern" diese Bauten eingehendere Berück-
sichtigung saiiden, sich die Aufmerksamkeit
wieder in höherem Maße den lange nicht
mehr beachteten Werken des vorigen Jahr-
hunderts zrlgeweildet hat. Sinners Auf-
nahmen werden ein Hauptnlittel fein, um
 
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